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Die 30.000-Euro-Frage
30 000 Euro in 90 Tagen. Davon träumen fünf junge Männer mit ungewaschenen Mähnen und ausgewaschenen Hosen. The Whiskey Foundation nennen sie sich. Die Münchner spielen knarzigen Blues, ein bisschen wie überreizte Doors auf Amphetamin. The Whiskey Foundation sind eine Band, die bei Musicstarter mitmacht, Deutschlands erstem Crowdfunding-Musiklabel.
360 000 Euro in 90 Tagen. Davon träumt Jörg Koshorst – Kurzhaarschnitt, Dreitagebart, Aftershave. Koshorst ist Geschäftsführer von Musicstarter und damit Labelboss und Start-up-CEO in einem. Neben The Whiskey Foundation hoffen bei seinem Projekt noch elf weitere Künstler auf den Plattendeal – für den sie jeweils 30 000 Euro zusammenbekommen müssen.
Im Musikbusiness arbeitet Koshorst seit Jahren, früher als Manager bei Universal und Bertelsmann. Spricht er von Musicstarter, rattern seine Worte zwischen Fachsprech und Romantik hin und her. „Mit unserer Vision können wir die nächste Stufe zünden, um nachhaltig neue Talente zu fördern“, sagt er. „Nicht wie bei klassischem Crowdfunding, wo man Geld generiert und sich am Ende fragt, wie das genau eingesetzt wird.“
Ist Crowdfunding wirklich eine Chance für Newcomer-Bands? Eher nein. Geld bekommt, wer schon bekannter ist
Sammeln The Whiskey Foundation die 30 000 Euro, ist laut Koshorst genau geregelt, was mit dem Geld passiert: Plattendeal, Aufnahme, Veröffentlichung. Dann: spielen, spielen, spielen. „Wir begleiten die Jungs während und nach der Funding-Phase mit Know-How, mit Promo, mit Kontakten“, sagt Koshorst. Dafür greift das kleine Label Musicstarter auf große Namen zurück: Burda macht die Medienarbeit, Universal kümmert sich um den Vertrieb. „Das ist ein geiles Angebot. Und eine Möglichkeit, bei der wir nichts verlieren können“, sagt Franz Klein, der Bass spielt bei The Whiskey Foundation. „Wir machen seit drei Jahren alles selbst und haben gemerkt, dass es wahnsinnig schwierig ist, wenn man sich als aufstrebende Band dem ganzen Medienzirkus nicht anschließt.“ Um bei Musicstarter reinzukommen, musste die Band eine Vorauswahl durchlaufen. „Wir gucken einfach, wer draußen so spielt“, erklärt Koshorst das. „Wenn wir was geil finden, rufen wir an und treffen uns.“„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
The Whiskey Foundation brauchen 30 000 Euro durch Crowdfunding. Dann bekommen sie einen Plattenvertrag.
Kickstarter, Starnext, Vision Bakery – Plattformen für Crowdfunding gibt es viele. Das Prinzip dahinter: Jemand braucht Geld für ein Projekt und setzt einen Zeitpunkt fest, wann es da sein muss. Wer dafür bezahlt, bekommt am Ende ein Dankeschön – vorausgesetzt, die für das Projekt angesetzte Summe kommt tatsächlich zusammen. Auch speziell für Musik haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Crowdfunding-Plattformen gegründet – PledgeMusic, Sellaband oder wemakeit etwa. Musicstarter hingegen verbindet das klassische Musikbusiness mit dem Zugang des Crowdfundings: Ist eine Band erfolgreich, bekommt sie eine Rundumversorgung mit automatischem Plattenvertrag.
Gerade der Musikbereich ist, was Crowdfunding betrifft, im Aufbruch“, sagt Wolfgang Gumpelmaier. Der Kommunikationswissenschaftler berät Firmen und Kulturschaffende zum Crowdfunding. „Das professionalisiert sich allmählich. Oder es schaltet Labels aus, weil Bands direkt mit ihren Fans kommunizieren können.“ Ist Crowdfunding also automatisch eine Chance für Newcomer-Bands?
Einer Studie der Popakademie Baden-Württemberg nach sind vor allem jene Musiker im Crowdfunding erfolgreich, die schon professioneller sind. Netzaffiner. Und: bekannter. „Natürlich hilft am Anfang eine gewisse Bekanntheit, um von Medien aufgegriffen zu werden“, sagt Gumpelmaier. „Aber Crowdfunding funktioniert auch bei kleinen Bands, die sich mit sozialen Medien auseinandersetzen wollen und können.“
The Whiskey Foundation posten viel auf Facebook: 3000 Fans. Oder auf Youtube: Ein Video hat immer 16 000 Aufrufe. Über das Netz scheinen auch sie Bescheid zu wissen. Was The Whiskey Foundation nicht wissen: wie der Plattenvertrag bei Musicstarter genau aussieht. Sie vertrauen Koshorst, der die Konditionen des Deals „branchenüblich“ nennt. Klar ist, dass während des Fundings weder Fans noch Künstler eine Provision an Musicstarter zahlen müssen. Die Firma finanziert sich wie ein klassisches Label über Plattenverkäufe – vorausgesetzt, der Künstler schafft es, die 30 000 Euro zu sammeln. Wird die Summe nicht erreicht, bekommt jeder Supporter seinen zugesagten Betrag zurück. „Wenn’s nicht klappt, dann hatten die Band und wir zumindest eine spannende Zeit“, so Koshorst.
Wenn es so etwas wie eine Galionsfigur des auf Platte gepressten Crowdfundings gibt, dann ist es Amanda Palmer. 2012 hat sie mehr als eine Million Dollar durch Crowdfunding eingenommen. Die Summe hat Palmer unter anderem in ihr Solo-Album gesteckt. Platz zehn der US-Charts. Aber hat sich Crowdfunding danach als Modell im Musikbusiness etabliert? „Crowdfunding ist die Gegenwart. Nur man sieht den Einfluss gerade noch nicht so stark“, sagt Pierre Bee. Er ist Sänger der Berliner Band I Heart Sharks, die 2011 ihr Debütalbum mittels Crowdfunding und ohne Plattenfirma finanziert haben. Sie hatten zuvor aber schon auf großen Festivals gespielt. Dass Newcomer wie The Whiskey Foundation die 30 000 Euro sammeln können, hält Bee für unrealistisch. „Dafür müsste man schon sehr bekannt sein“, sagt er.
Wolfgang Gumpelmaier ist ebenfalls skeptisch. „In Deutschland ist Crowdfunding noch nicht richtig angekommen“, sagt er. „Es etabliert sich so langsam.“ Grundsätzlich befürwortet er die Idee, eine neue Musikplattform in Deutschland zu schaffen, die Crowdfunding mit einem professionellen Apparat koppelt. „Vielleicht hätte Musicstarter aber mit weniger Projekten starten sollen. Zwei Projekte, um zu beweisen, dass solche Summen möglich sind.“ Außerdem sollten seiner Ansicht nach die Bands nicht im Vorfeld von der Plattenfirma ausgewählt werden. „Das widerspricht der Idee von Crowdfunding“, sagt er. Stattdessen sollte jeder Zugang haben. „Auch Projekte, die es auf klassischem Wege nicht schaffen oder sich nicht trauen würden, könnten so eine Community aufbauen und sich finanzieren lassen.“
"Mainstraminge Genres ziehen beim Crowdfunding mehr." Sagt der Experte
Aber welche Musik ist denn nun geeignet für Crowdfunding? Anscheinend Schmachtfetzen zwischen Deutschpop und Schlager. Denn eine Band hat das Hoffen auf den Plattenvertrag bereits hinter sich: Stereo Herz, die Zeilen wie „Du erkennst mich/neben Dir fühlt man sich leicht. Du hast so viel Mut zum Träumen/und Dein Rückgrat macht Dich reich“ singen. Am 6. November dieses Jahres haben sie das Funding-Ziel erreicht und einen Plattenvertrag mit Musicstarter erhalten – eine knappe Woche vor Fristablauf. Auch Künstler aus dem Feld Black Music sind recht erfolgreiche Crowdfunder – nach Pop und Rock die erfolgreichsten, wie die Popakademie Baden-Württemberg in ihrer Studie ermittelt hat. „Mainstreamige Genres ziehen beim Crowdfunding mehr“, sagt Gumpelmaier. „Aber auch jede Nische kann ihre Community finden.“ Laut Bee ist das Genre letztlich nicht so entscheidend. „Crowdfunding ist für Künstler, die nah am Publikum sind.“ Für Gangster-Rapper sei Crowdfunding damit zum Beispiel nichts, denkt I Heart Sharks-Sänger Bee: „Crowdfunding würde zeigen, dass die wenig Geld haben. Das wäre schlecht fürs Image.“ Ob The Whiskey Foundation mit ihrem Knarzblues und drei Konzerten monatlich die 30 000 Euro zusammenkriegen, ist fraglich. Den Fans der Band war der Plattenvertrag mit Musicstarter in den ersten Monaten 459 Euro wert. Um die restlichen 29 541 Euro einzunehmen, bleibt ihnen noch ein Tag. (Stand: 10. November 2014)Text: jurek-skrobala - Bild: oH