Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Der wird mal Ingenieur"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Als Irina Schumski vor zwei Jahren ihr Abiturzeugnis in der Hand hält, steht da „1,0“. Die Traumnote. Doch so groß bei Vielen die Freude über Irinas tollen Abschluss war, so groß war auch die daran gekoppelte Erwartung. „Als es darum ging, mich für ein Studium zu entscheiden, haben mich alle unter Druck gesetzt. Es gab Lehrer die sagten: ,Du musst unbedingt mein Fach studieren!‘ Es gab Bekannte, die sagten: ,Du musst jetzt Medizin studieren! Viele tun sich so schwer, da reinzukommen. Und du kannst es einfach studieren.‘“ Aber Irina, 21, schreibt sich in Mannheim für ein Bachelorstudium mit dem Kernfach Germanistik und dem Beifach Philosophie ein. „Da war die Entrüstung groß“, erinnert sie sich. „Es hieß, dass das doch nur Leute studieren, die nicht wissen, was sie werden sollen.“ Während der Schulzeit entdecken wir, was wir können und Lehrer entdecken, was wir können. Sie geben uns dann Noten und bald stecken wir in Schubladen: Wer eine Eins in Mathe hat, könnte es zum Ingenieur bringen. Wer eine Eins in Deutsch hat, könnte vielleicht Lektor werden. Die ersten Belege für Dinge, die uns leicht von der Hand gehen, werden herangezogen, Prognosen für unsere Zukunft zu erstellen. Das ist fatal, findet Nikolaus Korber. Er lehrt Anorganische Chemie an der Universität Regensburg und sieht in der Auswahlkommission des Cusanuswerks, des Begabtenförderungswerks der katholischen Kirche, viele Abiturienten. „Die Idee, dass es Leute gibt, die für eine Sache besonders begabt sind oder die entweder theoretisch oder praktisch begabt sind, ist lange überholt“, sagt er. Musische oder mathematische Sonderbegabungen könne man erkennen, sagt Korber. „Aber wie wollen Sie feststellen, dass ein Schüler schon die Denkweise eines guten Juristen beherrscht?“ Manchmal hat Korber Bammel vor einem „Begabungskult“ an den Schulen, mit dem „biografisches Unheil“ angerichtet werde. Der Professor, selbst Stipendiat des Cusanuswerks und der Studienstiftung des deutschen Volkes, hält nichts von frühen Festlegungen. Er findet es zum Beispiel nicht so prickelnd, wenn bloß die Chemie-Stars der Gymnasien zu seinen Studenten werden. „Mir sind die genauso lieb, die an der Schule Altgriechisch gemacht haben. Was die für die Chemie brauchen, bringen wir ihnen hier von Grund auf bei.“

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn in der Schule Neigungen und Potenziale in uns entdeckt werden, dann geht es dabei auch um Chancen in der Berufswelt, um Karriere und materielle Sicherheit. Viele Eltern freuen sich, wenn ihre Kinder Jobs haben, in denen es Geld und Anerkennung gibt. Irina ist Stipendiatin der Studienstiftung des Deutschen Volkes. In einer Sommerakademie lernte sie andere Stipendiaten kennen. Viele studierten Fächer wie Medizin, Jura oder BWL, die immer noch attraktiv sind, weil sie Renommee und Erfolg versprechen. Irina versteht aber nicht, warum begabten Schülern immerzu nur diese Studiengänge ans Herz gelegt werden. „Das würde doch bedeuten, dass man sich nur in Studiengängen wie BWL und Jura nützlich machen kann“, sagt sie. Nikolaus Korber sieht es ähnlich. „Das würde bedeuten, dass Fächer wie Medizin ein anderes Potenzial fordern als nicht zulassungsbeschränkte Fächer“, sagt er. „Dieser Schluss ist falsch.“ Der Chemieprofessor blickt betont nüchtern auf den Wert der Abiturnote. Wenn sich das Cusanuswerk an die Auswahl neuer Stipendiaten mache, sei sie wohl die „bestmögliche Krücke“, um eine Aussage zum künftigen Studienerfolg eines Schülers zu treffen. „Aber die Note als Entscheidungsgrundlage für die gesamte Zukunft zu nutzen, ist eine ganz krasse Fehlentscheidung“, sagt er. Irina verstand irgendwann, dass ihre Note nicht dazu da ist, ihr Leben vorzubestimmen. „Für mich bedeutet sie die Freiheit, machen zu können, was ich will.“ Der Ansatz gefällt Nikolaus Korber. Er mag die Idee vom Abitur als Stunde Null, in der ein Schüler beginnt das zu werden, was er werden will. Und nicht das, was er nach Meinung anderer Menschen sein sollte.

Text: peter-wagner - Foto: zettberlin/photocase.com

  • teilen
  • schließen