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Der Runterladen: Benjamin von Stuckrad-Barre veröffentlicht seine Festplatte

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Im Winter war es mal wieder Zeit, etwas Ordnung in die ganze Chose zu bringen – in mein Umfeld, meine Behausung, meine Schubladen, mein Leben. Diesen blöden Postkartenbürowitz von Unordnung als kreativem Urzustand, nein, den hatte ich nie vorgeschoben. „Immer wenn die Putzfrau da war“, sagen die Leute, „finde ich nix wieder!“ Bei mir sah es so aus, dass ich schon länger keine Reinigungskraft mehr reingelassen hatte, und ich selbst bin im Putzen, Aufräumen und Sortieren nicht sehr begabt. Faul bin ich, was das betrifft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn man über einen längeren Zeitraum ernst damit macht, „nichts wegschmeissen zu können“, befinden Freunde, die sich auch durch gröbste Abweisung und Ablenkungsmanöver nicht an einem Besuch haben hindern lassen, dass baldiger Erstickungstod, irreversible Wohnraumsubstanzschädigung und allgemeine Verwahrlosung nur noch abzuwenden seien, indem man alles wegschmeißt. Diese Leute haben vollkommen Recht – und überhaupt keine Ahnung. Sicherlich, wenn ich ein Ladekabel, frische Socken oder etwas bestimmtes Anderes, was auch immer, suchte, war das, als würde man „Sex“ googeln. Man findet im Wortsinn alles Mögliche, bis auf, nun gut, bzw. schlecht: das Benötigte. So begann ein unsystematisches, aber doch kleinere Unterunordungssysteme behauptendes Umschichten und Neustapeln. Man hätte Eintritt verlangen, das ganze zur Warnung, Belustigung und zum Rumstöbern als Messie-Hüpfburg ausloben können, aber man hätte auch sehr wohl für Gesundheit und Ordnung (!) zuständige Ämter benachrichtigen können, möglicherweise in einem – gutes Stichwort – Abwasch. Ich entschied mich für die agrarwissenschaftlich untermauerbare Vorgehensweise und beschloss, meine Zürcher Wohnung – Scheiss auf die Kaution – eine Weile lang brach liegen zu lassen. Wie nach „Sex“ googeln Die mir in ihrer Bewahrungs- und Aktualitätsrelevanz als am nötigsten erschienenen Zettel, Bilder und Schießmichtots hatte ich gescannt, abgetippt oder fotografiert und den ganzen Wust auf Festplatten gesichert, jawohl, Festplatten, der Plural zeigt schon, dass es mir hin und wieder schwer fällt, zu unterscheiden zwischen „nötig“ und „möglich“. Mein realer Schreibtisch, der aus Holz, war nicht mehr zugänglich, und so saß ich mit meinem Computer am Küchentisch, und auf der ja auch Schreibtisch genannten Benutzeroberfläche stellten sich beim Einsammeln nun Fragen, die ja auch meine Wohnung mir immer gestellt hatte: Wo kommt was hin, damit ich es wieder finde? Wie benenne ich was? Was gehört wozu? Auch dieser Schreibtisch hat einen Papierkorb, das stimmt. Aber man kann ja, wenn die Speicherkapazität zur Neige geht, auch einfach eine weitere, eine externe Festplatte ans Gerät „ranfirewiren“, schon ist wieder, was in einer Wohnung nicht so leicht und schnell zu kriegen ist: Platz.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn meine Wohnung denken könnte, wäre sie eh längst ausgezogen, aus sich selbst, doch doch, aber sie ist ja nur aus Stein und Holz, und wer denkt, dass so was denkt, der hat eine schlecht übersetzte Bibel im Schrank stehen. Könnte sie aber doch denken, fühlen und so Schnickschnack, nun, sie wäre beleidigt und eifersüchtig gewesen, auf meinen Computer. Denn an dem zeigte sich plötzlich, dass ich durchaus in der Lage bin, Ordnung zu halten, Ordner, Schubladen, Verzeichnisse anzulegen und zu sortieren. Allerdings, hätte ich der Wohnung dann entgegengehalten, allerdings macht das mit dem auch mehr Spaß, der geht auf mich ein, in seiner Anlage, der hat Suchfunktionen, der stellt zum richtigen Zeitpunkt entscheidende Fragen („Wirklich löschen?“), macht kein Aufhebens darum, Dokumenten ihren Platz und einen Behelfsnamen zuzuweisen, wenn ich das mal vergesse. Er merkt sich alles, aber er ist nicht nachtragend. Den würde ich vom Fleck weg heiraten. Computer in Kunst Aber erstmal von den Flecken weg, fort aus Zürich, auf nach Hamburg! Ich mietete mich im Hotel Prem ein, wo die Sache mit Ordnung und Zukunft noch ein bisschen egaler zu sein schien als daheim in Zürich: Die Geschäftsleitung hatte beschlossen, die angenehm runtergekommene Bude zu verschleudern, in ein paar Wochen, denn nebenan hatte eine Vielbettenburg aufgemacht und es fehlte an Gästen. Ich war der letzte. Die Türen zu den anderen Zimmern waren nicht alle verschlossen, und so konnte ich mich zünftig ausbreiten, die bei Kontrolle und Festhaltversuchen der Welt entstandenen Dokumente wieder aus ihrem Gigabytetiefkühlschrank befreien. Mit meinem Freund, dem Maler und Kunsthändler 4000, beschloss ich beim nächtlichen Gang durch die Flure, das ganze endlich auch anderen zugänglich zu machen: Wir begannen mit der Planung einer Ausstellung. Mein Computer war begehbar geworden, die Ordner waren zu Regalen geworden, die Dateien zu Gemälden und Installationen. Es gab sogar Papierkörbe. Ein Erlebnispark gegen jung und alt, für aber: alle. Was Kunst eben so zu sein gedenkt. Das Hotel konnten wir nicht kaufen, wir waren ähnlich klamm wie dessen Inhaber, und so suchten und fanden wir einen Galeristen, der sich bereit erklärte, einen begehbaren Computerschreibtisch mit uns auszubaldowern. So entstand und entsteht „Der Runterladen“. Es wird dort alles geben, was es auf dem Computer gibt, nur eben in Echt, bzw. in Kunst: Galerie, Suchmaschine, Archiv, Informationsbombardement, Versteigerungstermine, Tauschbörse, Beschallung, Filmchen, Foren zum Flirten, Schimpfen und Malsehen, An- und Verkaufsmöglichkeiten, vor allem: geordnete Unordnung. Und exklusiv für jetzt.de-Leser (User klingt immer so nach Heroin) einen Wechselrahmen, dessen Inhalt täglich verändert wird. Schicke Fotos oder Texte, die du der Welt, der mit den echten Menschen, gern zeigen willst an runterladen@jetzt.de. Der Runterladen ist vom 28. Oktober bis 25. November in Hamburg zu sehen (Galerie Heliumcowboy Artspace, Sternstraße 4). Einige Exponate sind allerdings schon jetzt anzuschauen und anzuhören – im Internet unter www.te-finearts.com/schublade_ben

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