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Der Mann fürs Fiese
Wenn man Joel Basman das erste Mal sieht, möchte man ihm gerne auf die Fresse hauen. Natürlich nicht ihm persönlich, eher den Figuren, die er spielt. Einen völlig überdrehten Neonazi in Burhan Qurbanis "Wir sind jung, wir sind stark", dem Film über die Anschläge in Rostock Lichtenhagen. Ebenfalls einen Nazi in "Monuments Men". Einen unbelehrbaren Junkie in Andreas Dresens "Als wir träumten". Nur im Tatort "Borowski und der Himmel über Kiel" hat man dieses Bedürfnis nicht so sehr – da ist Joels Kopf mit dem Kindergesicht nämlich von der ersten Minute an abgetrennt und die depressiven Kommissare suchen nach seinem Torso. In den Rückblenden allerdings ist Joel wieder völlig überdreht und nervtötend – eine Art Junkie mit ADHS, der ekstatisch seine Freundin vögelt. Joels Rollenwahl ist konsequent.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mal charmant-rebellisch, mal Familienmensch – und manchmal auch ein kleines Bisschen brutal: Joel Basman
Aber jetzt, als Joel Basman an einem Sonntagabend auf der Bühne eines Zürcher Arthouse-Kinos steht, möchte man ihn einfach nur in den Arm nehmen. Gerade wurde sein neuer Film "Dawn" gezeigt und es wirkt, als würde der 25-Jährige jeden Moment von der Bühne kippen. Joel hat seine Arme vor dem dünnen, kleinen Körper verschränkt, als müsse er sich an sich selbst festhalten. In seinem T-Shirt mit Comic-Print ist ein Brandloch, sein Gesicht ist blass und aufgeschwemmt, dieses Gesicht, das man so schnell nicht vergisst, das ein bisschen nach kleiner Junge aussieht, aber auch ein bisschen verschlagen. Wie nett kann einer sein, der immer diese fiesen Rollen spielt? Wirklich so nett, wie er jetzt gerade wirkt, im Comic-Shirt auf der Bühne?
Joel ist erst heute Morgen aus Berlin nach Zürich gekommen. Zwei Abende zuvor hat er dort die Lola, den großen deutschen Filmpreis, als bester Nebendarsteller gewonnen, für seine Rolle als Robbie in "Wir sind jung, wir sind stark". Er hat an diesem Abend auf der Bühne seine Dankesrede mit rauer Stimme vom Display seines Handys abgelesen. Man könnte das frech finden, aber das Publikum im Saal fand es charmant.
Der heutige Abend in Zürich ist ein Heimspiel für Joel. Er ist hier aufgewachsen, seine Eltern haben ein Modeatelier in der Stadt. Drei Jahre hat er zwischenzeitlich in Berlin gelebt, das war, nachdem man ihm 2008 den "Shooting Star"-Award auf der Berlinale verliehen hatte – einen Preis, den auch sehr erfolgreiche Schauspieler wie Moritz Bleibtreu und Jürgen Vogel vor Jahren bekommen haben. Mitgenommen hat er aus dieser Zeit sein hervorragendes Hochdeutsch. Trotzdem wollte er irgendwann wieder zurück nach Hause. "Für andere mag Zürich nicht die geilste Stadt der Welt sein. Für mich ist es, auch wegen der Familie, eine Oase der Ruhe", sagt Joel. Was er damit meint, wird nach der Kinovorführung deutlich: Die Leute umarmen ihn, sagen, wie sehr sie sich mit ihm über den Preis freuen. Ein paar wollen Selfies oder Autogramme. Seine Eltern sind auch gekommen und betonen, wie stolz sie auf ihren Sohn sind. Bei jedem Kompliment schlägt Joel sich demütig mit der linken Faust aufs Herz und macht eine leichte Verbeugung. Ein ziemlich bescheidener Umgang für jemanden, der bereits einer der größten Stars der Schweiz ist, und über den Boulevardmedien spekulieren, wer wohl seine Freundin ist.
Ein Mal kam er nach einem Dreh nicht so gut runter. Da hat er in einem Wutanfall seinen Koffer aus dem Fenster geworfen
Am nächsten Morgen kommt Joel zu Fuß zum Atelier seiner Eltern im Zürcher Kreis vier. Schwer zu sagen warum, aber er wirkt wie einer, der keinen Führerschein hat und trotzdem immer überall hinkommt – und das stimmt tatsächlich. "Den Führerschein brauchte man in Zürich und Berlin einfach nicht", sagt er, aber auch, dass er ihn in diesem Sommer unbedingt machen will. Wenn denn genügend Zeit ist. Heute ist Joel ausgeschlafener, bietet Getränke an, vergisst dann aber, ein zweites Glas auf den Tisch zu stellen. Er ist halt einer, der einem die Tür aufhält und gleichzeitig eine SMS beantwortet.An der Wand des Ateliers hängt ein Plakat, es zeigt Joel im Anzug auf einer Wiese, im Hintergrund fliegen mehrere Helikopter. Den Anzug hat er selbst entworfen, seit vergangenem Jahr designt er Klamotten, die man sich sogar mit Schweizer Gehalt schwer leisten kann. Hier im Kreis vier ist Joel aufgewachsen, seine Eltern haben den Laden seit mehr als 20 Jahren. Sie haben ihn immer unterstützt, schon als er ihnen mit zwölf mitteilte, dass er gerne Schauspieler werden möchte und zu Castings nach Bern fuhr. Und auch, als er mit 16 die Schule schmiss, um auf eine private Schauspielschule zu gehen. Kurz vor dem Filmpreis ist Joel Onkel geworden – das Baby ist auch das Hintergrundbild auf seinem Handy, er zeigt es auf dem zersprungenen Display.
Joels Zürcher Welt wirkt wirklich sehr heile. Wie fühlt er sich da immer wieder in diese wahnsinnig aggressiven Rollen rein? "Du hättest mich mal beim Dreh zu ‚Wir sind jung, wir sind stark‘ sehen sollen. Da habe ich alle in den Wahnsinn getrieben, weil ich in den Drehpausen ständig ein Zippo zum Rumfummeln brauchte und mich überall hochgezogen habe", erzählt er und man hat direkt wieder Robbie vor Augen, der im Film wirklich keine Minute ruhig bleibt. Joel erzählt weiter, dass er nach einem Dreh eigentlich ganz gut runterkommen könne, Method Acting sei nicht so seins. Nur nach einem der letzten Drehs in Dänemark, er spielte wieder einen richtigen Arsch, habe das nicht so gut geklappt: "Da kam ich nach Hause und mein Koffer blieb an der Treppe hängen. Den habe ich dann in einem Wutanfall aus dem Fenster geworfen."
>>> Warum Joel sich das hebräische Schriftzeichen für "Nein" auf die Hand tätowiert hat und welche Rolle die "Schoggi-Soap" in seinem Leben spielte
Von dieser Wut ist nichts zu spüren, als Joel jetzt im Atelier all die verschiedenen Stoffe und Schnitte zeigt. Um den Hals trägt er eine auffällige, sehr lange Kette – hat die vielleicht eine besondere Bedeutung? "Nee, die hab ich einfach als Kind geschenkt bekommen und finde sie immer noch cool", sagt er und steckt sie schnell wieder unter sein T-Shirt. Die Kette sei nur so lang, damit sie nicht gegen seine Brust schlage, wenn er zum Bus rennen müsse. Und er müsse oft zum Bus rennen. Und dann grinst Joel zwischen seinen leicht abstehenden Ohren und man fragt sich, ob das jetzt Koketterie ist oder sein Ernst.
Neben der Kette fällt auch das Tattoo auf seiner linken Hand auf. Es ist das hebräische Schriftzeichen für "Nein". Mit 19, sagt er, sei er mal nach einem Film lange nicht bezahlt worden und habe es sich deshalb stechen lassen – um zukünftig eher nein zu sagen, auch wenn’s schwerfällt.
Hebräisch ist eine Sprache, die Joel tatsächlich spricht. Sein Vater ist Israeli, seine Mutter Schweizerin. Beide haben bis kurz nach der Geburt von Joels älterer Schwester in Israel gelebt, dann sind sie zurück nach Zürich gegangen. In "Dawn", der in diesen Tagen in den Schweizer Kinos anläuft, spielt Joel einen jungen israelischen Freiheitskämpfer, der im Jahr 1947 einen britischen Offizier erschießen soll – viele Journalisten schreiben darum, dass Joel sich in "Dawn" an seiner eigenen Geschichte abarbeitet. Er selbst sagt, dass das Judentum für ihn lange keine Rolle gespielt habe, er praktiziert den Glauben nicht. Die israelische Kultur hingegen sei Zuhause immer präsent gewesen, in der Musik, beim Essen und in der Sprache. "Wir haben halt untereinander Hebräisch gesprochen, das war so ein bisschen unsere Geheimsprache, in der man bestens über andere lästern konnte", erzählt Joel.
Als seine Schwester allerdings als Kind in einen jüdischen Kindergarten kommen soll, wird sie abgelehnt, weil die Mutter nicht jüdisch ist. Das muss der Vater den Kindern erst mal erklären. Joel fühlt sich daraufhin in der Schule primär als Schweizer. Erst mit 18 fährt er alleine nach Israel, um auch den anderen Teil seiner Identität kennenzulernen. "Weil ich gemerkt habe, dass da doch mehr in mir ist", sagt er. Und trotzdem: "Wenn jetzt auf einmal viele Medien den Juden aus mir machen und deshalb Interviews wollen, finde ich das schon faszinierend. Ich mache dann mit – aber eben mit meinen Worten" sagt Joel. Und das heißt: auch mal kritisch sein dürfen, sich nicht instrumentalisieren lassen.
Es gibt den charmant-rebellischen Joel auf der Bühne der Lola und den Joel in seiner heilen Zürcher Welt. Und je mehr Zeit man mit ihm verbringt, desto mehr kommt auch mal eine weniger glatte, etwas brutalere Seite zum Vorschein. Dann ordnet er Städte mit Sätzen ein wie "Wenn Berlin und Zürich ficken, entsteht Wien". Oder er sagt über seinen Kollegen Frederick Lau, er habe "einfach eine Hammer-Fresse". Um dann allerdings im nächsten Moment, wenn eine Kindergartengruppe in Warnwesten vorbeiläuft, in "Awww"-Laute auszubrechen.
Erst spielte Joel die weichen Loser. Und dann den aggressiven Skinhead
Warum sucht so einer sich für seine Rollen immer diese kaputten Typen aus? Joel überlegt und zündet sich im Türrahmen noch einmal eine Zigarette an. Früher habe er oft Loser-Rollen angeboten bekommen und dann natürlich auch gespielt, sagt er. "Den Typen, der unterdrückt wird, und den besten Freund, der keine abbekommt. Vielleicht interessieren mich deshalb extreme Rollen momentan", sagt Joel. Fragt es eher.Tatsächlich war Joels erste Fernseherfahrung eine Rolle in der Schweizer Serie "Lüthi und Blanc", die in den Medien auch liebevoll als "Schoggi-Soap" bezeichnet wurde, weil sie sich um eine Schokoladendynastie drehte. Aber eben auch, weil sie eher weich war. Der deutschen Filmszene wurde er dann vor allem durch "Picco" bekannt, wo er neben Frederick Lau den Häftling Tommy spielte, der von seinen Knastkollegen in den Selbstmord getrieben werden soll. Erst bei seiner kleinen Rolle in "Wer ist Hanna" mit internationalen Stars wie Cate Blanchett wird er zum aggressiven Skinhead.
Abschied vor Joels Haustür, mitten in der Zürcher Altstadt, eine enge Holzwendeltreppe führt zu seiner Wohnung hinauf. Hier kennt ihn jeder vom Restaurantbesitzer bis zum Graveur, alle klopfen ihm für den Filmpreis auf die Schulter oder sagen: "Ich hab Freitag versucht dich anzurufen, aber nicht erreicht." Joel wohnt hier im Dachgeschoss – und dadurch bekommt die Geschichte mit dem Koffer, den er wutentbrannt aus dem Fenster wirft, noch einmal eine ganz neue Bedeutung. Denn wenn von da oben aus ein Gepäckstück auf die Straße fliegt, könnte es am nächsten Tag in der Zeitung stehen.
Joel ist jetzt 25 Jahre alt und hat keinen nennenswerten Bartwuchs. Er kann sicher noch zehn Jahre den jugendlichen Rebellen spielen – wenn er denn möchte. Und dann? Joel sagt: "Dann mach ich’s wie Tom Schilling! Der war auch ’ne Weile von der Bildfläche verschwunden und jetzt kann er erwachsene Männer spielen." Und dann guckt er wieder so ein bisschen schlitzohrig. Vermutlich stimmt das sogar – sein Gesicht ist so einprägsam, das wird auch nach einer längeren Sendepause keiner vergessen haben. Und dann ist Joel wahrscheinlich immer noch der Typ, der keinen Führerschein hat und deshalb dauernd dem Bus hinterherrennen muss – und ihn immer irgendwie noch bekommt.
Text: charlotte-haunhorst - Foto: Maximilian de Vree