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Der Mann, der über die Mauer sprang
Dieser Blick: stechend, ohne zu blinzeln, bereit zum Sprung. Rockys „Eye of the Tiger“ ist nichts dagegen. Aus Danny Ways Augen spricht eine Entschlossenheit, die keine Gnade kennt. Nicht gegenüber sich selbst und erst recht nicht gegenüber dem nervigen Journalisten, der es wagt, ihn als modernen Evil Knievel zu bezeichnen und angesichts der vielen Verletzungen nach der Sinnhaftigkeit seines Tuns fragt. „Ich mache einfach nur meinen Job, okay?“, presst er aus sonnenverbrannten Lippen hervor. Okay, okay, alles klar. Doch warum hat er sich gerade diesen Job ausgesucht?
In Danny Ways Fall lag der Einstieg zum Skaten nah. 1974 in Oregon geboren, wuchs er ohne den früh verstorbenen Vater im südkalifornischen San Diego auf, wo bereits erste Funparks existierten. „Skaten war Anfang der 80er Punk-Rock“, erzählt er mit Nachdruck. „Und ich war ein rebellisches Kind, also konnte ich kein Football- oder Baseballspieler werden. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen, Aggressionen loswerden. Dazu passte Skateboardfahren perfekt!“
Schnell wurden die ersten Sponsoren auf den blonden Jungen aufmerksam, der scheinbar schmerzfrei die härtesten Tricks versuchte und mit eisernem Willen übte, bis er sie stand. 1989 unterschrieb der damals 15-Jährige seinen ersten Profi-Vertrag. Und während seine Mutter versuchte, mit mehreren Jobs die Familie zu ernähren, stand dem Teenager plötzlich eine neue Welt offen: Fotoshootings, Promo-Touren und Wettbewerbe führten Danny rund um den Globus.
Rückblickend sagt das einstige Wunderkind heute über diese Zeit: „Ende der 80er Jahre wurde Streetskaten immer populärer und ich war einer der Anführer dieser neuen Disziplin“. Die großen Contesterfolg blieben damals zwar aus, dafür setzten seine Video-Parts regelmäßig neue Maßstäbe – sowohl beim Streetskaten, als auch in der Halfpipe, wo er zahllose Tricks erfand.
Way wurde verehrt. Doch in der Spaßgesellschaft der Skater stand er auch für Verbissenheit, Ehrgeiz und vor allem eine Rücksichtslosigkeit gegenüber dem eigenen Körper, die beispiellos war. Darauf angesprochen, wird sein Ton im Interview wieder scharf: „Ich lebe extrem gesund, gesünder als die meisten anderen Menschen. Ich trinke keinen Alkohol, ernähre mich ideal und pflege meinen Körper wo ich nur kann – so what? Verletzungen gehören nun einmal dazu.“ Was im Interview so abgeklärt klingt, wurde schon manches Mal lebensgefährlich. 1994 brach sich Way beim Wellenreiten das Genick, es folgte eine einjährige Auszeit. Mit seinem Sieg beim ersten Wettbewerb nach der Pause meldete er sich damals zwar eindrucksvoll zurück, doch wurde ihm in der Phase klar, dass die bisherige Selbstvermarktung des Sports an ihre Grenzen gelangt war.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Jahrzehntelang hatte die Skate-Industrie versucht, im Mainstream Fuß zu fassen und Contests im Fernsehen zu etablieren. Doch Skateboarden ist für den ahnungslosen Zuschauer schwer zu greifen, da es in den Wettbewerben eben nicht nur um das in der Sportwelt so wichtige und meist in Hundertstelsekunden messbare „höher, schneller, weiter“ geht. Das Ziel der Skater ist es, schwierigste Manöver besonders lässig aussehen zu lassen. Doch was unterscheidet die verschiedenen Tricks? Und wie soll der Zuschauer Lässigkeit bewerten, wenn er selbst nie die Gelegenheit hatte, ein Gefühl dafür zu entwickeln?
Beim 1994 ins Leben gerufenen Actionsports-Event „X-Games“ dominierten in den 90er-Jahren Snowboarding und Freestyle-Motocross. Disziplinen, in denen deutlich weitere und viel spektakulärere Sprünge möglich sind. „Wenn jemand mit dem Motorrad über 30 Autos springt, dann ist das natürlich in den Massenmedien populärer, als ein Skateboard-Contest“, erinnert sich Way. „Ich hatte damals das Gefühl, ich müsste auf die Bedürfnisse der Medien eingehen, um Skateboardfahren zu pushen.“ Und das tat er: 1997 wurde die von ihm entworfene „Mega Ramp“ gebaut, die 40 Prozent größer als alle bis dahin existierenden Halfpipes war. Mit dieser gigantischen Rampe schuf er sich seine eigene Sphäre in der Skate-Welt. Auf der Mega Ramp stellte er immer neue Weltrekorde auf, sprang für MTV aus einem Hubschrauber in die Vertikale und machte ihre Installation bei den X-Games 2004 zur Bedingung für seine Teilnahme. So entstand dabei die Disziplin Big Air, die Way drei Mal hintereinander gewann – selbstredend meist schwer verletzt und jeweils wie Phoenix aus der Asche auferstehend. Im Juli 2005 verschiffte er das Monstrum nach China, wo er in der Nähe von Beijing mit einem nach dem ersten Versuch verstauchten Knöchel die chinesische Mauer übersprang. Es war dieser 20-Meter-Satz, der ihn weltweit in die Abendnachrichten brachte und seinen Ruf als „Greatest Skateboarder of all Time“ festigte.
Natürlich folgten Ausverkaufs-Vorwürfe aus der Szene. Ein Showman sei er, der für Geld jeden Scheiß mache. Darauf angesprochen reagiert er verständnislos: „So ein Quatsch! Als ich über die Chinesische Mauer gesprungen bin, habe ich drei verschiedene Airs gemacht, also technisch schwierige Jumps.“ Und seine diversen Einträge im Guiness Buch der Rekorde, wie etwa der für Skater sinnlose Geschwindigkeitsrekord? „Solche Aktionen mache ich einfach aus Spaß. Ich langweile mich schnell und dann suche ich mir eben eine neue Herausforderung. Mir geht es bei allen meinen Rekorden nur darum, zu zeigen, was alles auf einem Skateboard möglich ist. Es geht darum, kreativ zu sein. Denn die Kreativität im Skatebording ist endlos groß, es geht immer weiter.“
Und was wäre, wenn er nach der nächsten Verletzung das Brett an den Nagel hängen muss? „Dann würde ich mich ganz der Musik widmen. Und der Architektur. Das Skateboarding hat meinen Blick auf die Stadt und auf die Formen, die man dort findet, völlig verändert. Architektur ist unglaublich faszinierend!“ Danny Way ist früh gefördert worden und hatte so schon als Teenager die Möglichkeit, Skateboarding als State of the Art zu erleben. Wie wäre er wohl mit den Repressionen umgegangen, die die Skater der DDR anfangs erlebten (siehe Interview)? Für den großen Rollbrett-Kämpfer aus Oregon ist die Antwort eine klare Sache: „Hätte jemand versucht, mich am Skaten zu hindern, dann hätte ich es erst recht gemacht. Koste es was es wolle!“ Sein Blick lässt keinen Zweifel zu.