- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Der letzte Versuch 585876
Der Kickflip
Der Typ, der mich auslacht, ist 12 Jahre alt und trägt eine Zahnspange. Gerade hat er schon über mein Uralt-Skateboard gegrinst. Als ich ihm jetzt erzähle, dass ich in einer Woche einen Kickflip lernen will, lacht er: „Das schaffst du nie!“
Zu Grundschulzeiten waren mein Batman-Skateboard und ich die schnellsten im Kreideparcours vor unserem Haus. Mit etwa 14 wollte ich Sprünge lernen. Der Ollie ging noch, den schaffte ich nach ein paar Wochen. Dann nahm ich mir den Kickflip vor. Und verzweifelte.
Man muss dazu mit dem Brett hochspringen und es mit dem vorderen Fuß so kicken, dass es eine Schraube macht, bevor man wieder darauf landet. Klingt logisch. Sieht auch logisch aus, wenn Tony Hawk das macht. Meinem vorderen Fuß erschloss sich diese Logik leider nicht.
Je öfter ich scheiterte, desto mehr wollte ich den Kickflip schaffen. Einen Ollie kann jeder, der ein bisschen übt; der ist Grundausstattung. Ein Kickflip macht einen zum Checker. Erst wer den kann, darf auf die Frage „Kannst du skaten?“ guten Gewissens mit Ja antworten.
Jetzt stehe ich also wieder in einem Skatepark. Außer den 12-Jährigen ist auch Conny Mirbach da, Münchner Skater und Skatefotograf, der heute mit seinen Freunden an einem Trailer für einen neuen Film arbeitet und mir nebenbei Tipps geben will. Er schickt mich zurück in die Anfängerliga. Ich solle erst mal fünf saubere Ollies hintereinander stehen. Dann endlich Kickfliptraining: Ich soll „mal anflippen“, also schauen, ob die Grundbewegung stimmt und das Brett sich richtig dreht. Das tue es, sagt Conny, das sehe nicht so falsch aus. Nur: Mein Fuß gibt dem Brett zwar den richtigen Impuls für die Schraube, aber die findet meistens fernab eines Ortes statt, der es erlauben würde, dass ich wieder auf dem Skateboard lande.
Conny analysiert und justiert nach: Er zeigt mir die richtige Position für meinen vorderen Fuß, erklärt, in welche Richtung ich damit kicken muss. Er setzt meinen hinteren Fuß, der den Impuls für den Sprung gibt, weiter nach hinten. Rät mir, beim Sprung mehr Gewicht nach vorne zu legen, damit das Brett unter mir bleibt. Skaten ist in Bewegungsabläufe übersetzte Physik. Die Korrekturen zeigen Wirkung, Conny ist zuversichtlich. Noch eine Woche üben, dann könne das was werden.
Vier Tage später, die Sonne geht gerade unter, als ein leises Raunen durch den Skatepark geht. Auch wenn ich mit Abstand der Schlechteste hier bin, Conny und seine Freunde fiebern jetzt bei meinem Experiment mit. Mein Sprung gerade hat ihnen gefallen: Das Brett hat sich perfekt unter mir gedreht, ein Fuß landet drauf, der zweite nur knapp daneben. Kickflip, denke ich, so nahe war ich dir noch nie.
So nah werde ich ihm auch vielleicht nie wieder kommen. Denn wenig später knicke ich bei der Landung um, es schnackelt, der eindeutige Sound eines reißenden Außenbands. Der Knöchel schwillt über Nacht an, das Kickfliptraining ist damit beendet. Vielleicht sollte ich mich einfach damit abfinden: Ich bin kein Skate-Checker. Und ich werde auch keiner mehr.
Text: Christian Helten
Auto fahren
Offiziell kann ich Auto fahren. Ich habe meinen Führerschein seit sieben Jahren. Aber ich bin seit der Fahrprüfung nicht mehr am Steuer gesessen. Bis jetzt, bis zu unserem Roadtrip durch die Türkei.
Zwei Wochen lang drücke ich mich auch hier vor dem Fahren und blättere, um guten Willen zu zeigen, durch virtuelle Bögen der Führerschein-App auf meinem Smartphone. Aber als mein Freund vom Fahrersitz klettert und sagt „jetzt du”, kommen mir fast die Tränen. Es dauert eine halbe Stunde, bis das Auto ein paar Meter vorwärts rollt. Zehn Sekunden später steht es wieder still. Ich hebe die Hände vom Steuer – „Hab ich’s nicht gleich gesagt?”
Ich bin auf dem Weg zu meinem Führerschein zwei Mal durch die Fahrprüfung gefallen. Ich wechselte drei Mal den Fahrlehrer, überfuhr ein Huhn und verbrachte mehr Zeit mit Extra-Fahrstunden als mit der Abiturvorbereitung. Als ich den Führerschein endlich in der Hand hielt, jubelte mir der ganze Schulhof zu. Zur Feier des Tages gönnte ich mir eine sechsmonatige Fahrpause und zog dann zum Studium in eine Stadt mit U-Bahn. Den Führerschein benutzte ich nur, um mich in Clubs auszuweisen.
Jetzt aber, auf dem Roadtrip, muss ich es endlich lernen. Mein Freund lässt nicht locker. Am zweiten Tag verzweifle ich am Kuppeln und Schalten. Am dritten Tag fahre ich beim Berganfahren das Auto in einen Graben; ein türkischer LKW-Fahrer muss es herausziehen. Aber egal, was ich verbocke, mein Freund sagt: „Weiter geht’s!“ Am vierten Tag würge ich beinahe den Motor mitten auf einer Schnellstraße ab. Ich nöle, fluche, will nicht mehr. Mein Freund bleibt auf dem Beifahrersitz sitzen. Am fünften Tag umkurve ich – mit einem Anflug von Spaß – Kühe auf einer löchrigen Landstraße. Am sechsten traue ich mich, ein anderes Auto zu überholen, am siebten Tag macht mein Freund sogar für eine halbe Stunde ein Schläfchen, während ich fahre. Ein Verkehrspolizist hält uns an – mein Fahrstil kam ihm vielleicht verdächtig vor. Er fragt nach meinem Führerschein. Ich zeigte ihn ihm mit Stolz. Ich bin zwar immer noch ein ziemlich miserabler Fahrer. Aber zum ersten Mal kann ich behaupten: Mein Führerschein ist mehr als ein Accessoire in meinem Portemonnaie.
Text: Wlada Kolosowa
Die Kaugummiblase
Kaugummi auf der Zunge flach drücken, vor die Zähne schieben und durchpusten! Das habe ich seit meiner Kindheit Millionen mal gehört. Ich habe diese Anleitung immer wieder genauestens befolgt, habe gekaut und gepustet, bis mir die Backen schmerzten. Aber ich habe nie auch nur den Hauch einer Blase zustande gebracht. Irgendwann zwischen Grundschule und Pubertät habe ich aufgegeben. Die Kaugummiblase und das Kaugummikauen an sich. Es klebte ein Geschmack der Niederlage daran.
Noch lange Zeit brach es mir das Herz, wenn ich Schulkinder sah, die trotzig, aber locker gigantische Kaugummiblasen vor sich hertrugen. Es erinnerte mich daran, was mir in meiner Kindheit so gefehlt hat. Damit soll jetzt Schluss sein, die jetzt-Redaktion hat mich ermutigt, dem Trauma entgegenzutreten, hat mir ein paar Stangen HubbaBubba hingelegt und gesagt: „Komm Junge, da müssen wir was machen!“ Im Internet suche ich nach Youtube-Tutorials und genaueren Erklärungen. Aber da gibt es nur Tipps, wie man seine Blasengröße noch optimieren kann. Von Kaugummiblasenprofis an Kaugummiblasenamateure. Für den absoluten Kaugummiblasenloser: nichts dabei.
Doch dann finde ich eine neue Anleitung: Kaugummi zur Kugel formen, vor die Zähne schieben, die Zunge durchstecken und pusten. Ein feiner Unterschied nur, aber wer weiß, vielleicht der alles entscheidende. Tatsächlich: Ich brauche nur noch halb so lange, um den Kaugummi in die richtige Position zu bringen. Von einer Blase bin ich zwar noch meilenweit entfernt, aber ich verspüre einen vagen Optimismus.
Trotzdem ist da noch ein scheinbar unüberwindliches Problem: Ich weiß nie, wann der Kaugummi die Zunge vollständig bedeckt. So kann ich ewig erfolglos pusten. Ein Spiegel muss her. In der Redaktion haben wir keinen, ich verlege die Übungseinheiten zunächst auf die Toilette, dann in den Aufzug des SZ-Hochhauses. Beides wird mir nach einiger Zeit sehr unangenehm, das Training vor dem Spiegel bringt aber den erhofften Durchbruch. Ich bekomme Zug in den Kaugummi und schaffe ein ums andere Male kleinere Bläschen, die mit jedem weiteren Versuch wachsen.
Von den Blasen meiner Youtube-Idole bin ich noch weit entfernt. Ich glaube aber behaupten zu dürfen, dass ich jetzt mit dem ein oder anderen Drittklässler mithalten kann. Das macht mich sehr stolz.
Text: Piet Vaniesenbeck
Bayerisch sprechen
„Griaß God!“, sagt Udo Wachtveitl. „Gries Gott“, wiederhole ich und versuche parallel, mir die Schuhe zu binden. „Griaß God“ sagt Udo noch mal zu mir und brav spreche ich ihm nach. Seit einer Woche treiben er und ich dieses Spielchen, jeden Morgen nach dem Aufstehen. So richtig gut spreche ich die „ia“-, „oa“- und „ei“-Laute noch nicht, aber es ist schon viel besser als vor einer Woche, wo mein „Pfiat di“ noch nach einem verniedlichenden Wort für die Stadt „Fürth“ klang. In einer Woche Bayerisch zu lernen ist für mich eine doppelte Herausforderung: weil ich aus der Hochdeutsch-Hochburg Niedersachsen komme. Und weil ich gänzlich untalentiert im Lernen von Dialekten bin. Konnte ich nie. Nicht mal Hamburgerisch kann ich imitieren.
Jetzt aber lebe ich in München, und in dieser so selbstbewussten Mia-san-Mia-Stadt ist es hilfreich, wenigstens die grundlegenden Floskeln in der Sprache der Eingeborenen zu verstehen und zu beherrschen. Mit Bayerischkenntnissen kann ich auch irgendwann im Dirndl aufs Oktoberfest gehen. Bisher wäre das spätestens beim Bestellen der ersten Maß als Verkleidung aufgeflogen.
Die Sache mit der Wachtveitl-CD war die Idee meiner Bayerisch-Coachin Barbara de Koy. Zwei Privatstunden hat mir die Schauspielerin bereits gegeben, für die CD hat sie die Texte geschrieben. Als ich ihr von meinem Experiment erzählte, sagte sie, man bräuchte mindestens drei Wochen, um sich in die Sprache einzuhören. „Meine bislang zweieinhalb Jahre in München müssen reichen“, erwiderte ich. Also habe ich im Unterricht fleißig Leberkassemmeln und Maß Biere bestellt, meinem Chef immer wieder „I mog heid ned oabatn“ zugerufen und ein paar handfeste Schimpfwörter gelernt („Saupreiß, chinesischer!“).
In der zweiten Stunde stellt Barbara bereits Fortschritte fest, ich freue mich sehr, dass ich das Weißwurstfrühstück vorbildlich bestelle. Ihr nächster Tipp, wie ich am wenigsten als Dialektdepp auffalle: „Entweder redest du schnell und leise, so dass du alle Wörter zusammenziehst. Oder du betonst die Vokale besonders vorwurfsvoll.“ „MOgst A GUttl?“ sage ich daraufhin, als sei dieses Bonbon die Höllenstrafe. Ich finde mich sehr authentisch.
Das Tribunal über meine Bayerisch-Fortschritte sind am Ende natürlich die Kollegen. Der Chef lobt bereits mein neues „Pfiat di“. Und die Bayerisch-Checker-Kollegin Kathrin? Lächelt milde und sagt „Es wird besser.“
Text: Charlotte Haunhorst
Das Bitcoin-System begreifen
Versteht mich nicht falsch. Mir sind die Eckdaten inzwischen auf Phrasenniveau klar. Ich weiß: Bitcoins sind eine digitale und dezentrale Währung, an der die Freigeister schätzen, dass kein staatliches Machtmonopol ihren Wert garantiert. Ein anonymer Programmierer hat die Anzahl der Bitcoins auf 21 Millionen Einheiten begrenzt (wie?!). Man kann sie handeln, man kann sie selbst erzeugen, also „schürfen“, man kann sie in der echten Welt (also hauptsächlich in Berlin) gegen Milchkaffee tauschen. Aber im Sinne von wirklichem Verstehen bin ich gescheitert. Umfassend. Und das nach einer Woche mit 27 Zeitungsartikeln, zwei Expertengesprächen, zwei Dossiers und einem Buch.
Seither glaube ich aber auch: Kaum einer da draußen versteht wirklich, was bei Bitcoins passiert (das folgere ich aus den Zeitungsartikeln). Die, die es vielleicht verstehen, sprechen eine andere Sprache als der Rest von uns (das haben mich die Gespräche gelehrt). Und das ist gefährlich (glaube ich). Schuld daran ist zum Beispiel dieser Satz aus einem Dossier der Uni Paderborn: „Zum Verständnis der Arbeitsweise des Bitcoin-Systems ist es zunächst nötig, das Konzept hashbasierter kryptographischer Arbeitsweise zu beleuchten.“ Es gibt ganze Bücher nur über dieses Thema, was erahnen lässt, wie flach die sonst gerne angebotene Erklärung ist: „Das Schürfen der virtuellen Währung findet statt, indem Computer komplexe Rechenaufgaben lösen.“ Ebenso gut könnte man sagen, der FC Bayern sei Meister geworden, weil seine Spieler gegen eine runde Lederkugel getreten haben.
Deshalb bleiben mir auch nur noch ein paar Dinge, die mich besonders verwirren: Der Algorithmus, den die Computer beim Schürfen lösen (ich glaube mittels dieser Hashs?), verifiziert die Währung eigentlich erst? Wenn es dabei inzwischen Schürfgemeinschaften gibt, die mehr als 50 Prozent der Rechenleistung stellen: Können die nicht alles beeinflussen? Aber vor allem: Wenn die besonders leistungsstarken Spezialcomputer zum Schürfen wirklich funktionieren (Stichwort Wettrüsten): Wieso nutzen die Hersteller sie dann nicht selbst?
Text: Jakob Biazza
Ein Bild malen
Nein, die Jungs-fehlt-ein-Sinn-für-Kunst-Klischees können wir direkt überspringen: Ich liebe Kunst, das war schon immer so. Ich liebe malen und zeichnen. Ich kann es nur nicht. Konnte es schon in der Schule nicht. Neidisch sah ich meinen Mitschülern zu, wie sie mit Stiften und Pinseln und Farben die tollsten Bilder auf die leeren, weißen Blätter zauberten, die mir so große Rätsel aufgaben. An Ideen mangelte es mir zwar nicht. Regelmäßig zeichnete ich dies: Typ steht auf Wiese, guckt hoch zum Mond. Fand ich damals ganz cool, war aber genau betrachtet auch nicht mehr als gehaltloses Gekritzel. Mir mangelte es an Mal- und Zeichen-Skills. Die waren bei mir praktisch nicht vorhanden. Dabei hätte ich so gerne meine eigenen tollen Bilder gehabt und mein Zimmer damit tapeziert.
Aber jetzt! Jetzt endlich will ich es lernen. Mein Plan: jeden Tag eine Stunde üben. Mein Ansporn: meine Freundin. Sie kennt meine Mal-Sehnsucht, also holt sie einen Bilderrahmen und hängt ihn an die Wand. Der Bilderrahmen ist leer. Meine Freundin sagt: „Wenn’s cool wird, kommt das Bild da rein.“
Am ersten Tag leihe ich mir Bücher aus: Techniken, Anleitungen, Infos über das richtige Zubehör. Eine Stunde ist mit Lesen schnell vergangen – und ich habe nichts kapiert. Alles, was da über Farbgebung und Komposition und zig zu beachtende Regeln steht, klingt interessant, leuchtet mir aber nicht ein. Zweiter Tag: einfach drauf los, mit Stift und Papier, kann doch nicht so schwer sein. Ergebnis: nicht besser als der alte Typ-Wiese-Mond-Mist. Am dritten und vierten Tag probiere ich gezieltes Abmalen bestehender Bilder. Würfel, Flaschen, Möbel. Gelingt mittelgut. Fünfter Tag: Entscheidung für ein finales Motiv, es soll ein Kaugummiautomat sein. Ich gehe raus und mache Fotos von allen rostigen Kästen mit bunter Füllung, die ich finden kann. Als Vorlagen. Sechster Tag: Motiv verworfen, viel zu schwer. Als Alternative wähle ich eine Flasche mit einem Vogel, der auf der Flasche sitzt. Siebter Tag: Ich komme voran. Das Zauberwort kurz vorm Ziel heißt Geduld. Langsam, ganz langsam zeichne ich Strich für Strich, male Farbe für Farbe ins Bild und zwinge mich immer wieder, nicht zu schnell zu viel zu wollen. Eine, zwei, drei Stunden vergehen, und irgendwann bin ich drin. Irgendwann bin ich entspannt genug, um selbst kleinste Details in der Zeichnung unterzubringen. Nach vier Stunden bin ich fertig. Meine Freundin guckt, grinst – und steckt das Bild in den Rahmen.
Text: Erik Brandt Hoege
Kraulen
Ich habe etwa zwei Liter Chlorwasser geschluckt, einen weiteren habe ich durch die Nase gezogen. Meine Augen brennen, sogar hinter den Augenhöhlen tut es weh. Aber ich bin glücklich. Ich hänge mit dem Kinn am Beckenrand im Münchner Südbad und habe 60 Minuten Kraulkurs hinter mir.
Ich gehe jede Woche Schwimmen. Brustschwimmen. Kraulen kann ich nicht. Die, die das können, habe ich immer bewundert. Wie sie da so geschmeidig durchs Wasser gleiten. Schon in der Schule im Schwimmunterricht habe ich das nicht kapiert und seitdem aufgegeben. Aber es ärgert mich jede Woche, wenn mich die Kampfkrauler wieder von meiner Bahn verdrängen. Deswegen starte ich noch einen letzten Versuch.
Der Anfang ist einfach. Ich kaufe eine Schwimmbrille. Sehr professionell fühlt sich das an. Dann mache ich das, was ich immer mache, wenn ich keine Ahnung habe. Ich tippe – in diesem Fall „Kraulen“ – in das Suchfeld in meinem Browser. Und finde: ein Lehrvideo eines Sport-Leistungskurses. Hinterlegt mit „My Heart Will Go On“. Einer der Schüler sagt etwas von „Wirbelwiderstand“ und „biomechanischen Merkmalen“. Ich merke gleich: Das wird nichts. Außerdem kann ich meinen Laptop ja nicht mit ins Hallenbad nehmen.
Also die Privatstunde. Schwimmlehrerin Nicole Merkt reicht mir Taucherflossen, wir beginnen mit Basics, rückwärts paddeln, ohne Armbewegung. Alle zwei Bahnen kommt ein Detail dazu: Hüfte und Beine abwechselnd zur Seite drehen, dann auch den Kopf. Einen Arm über den Kopf strecken, den anderen an die Hüfte legen. „Superman“ heißt die Übung. Nach einer Dreiviertelstunde geht Superman in Kraul-Armbewegungen über. Und ich bin wieder die Kathrin, die sich in der Tanzschule nicht mehr als zwei Schritte merken konnte. Nach jedem passablen Zug habe ich alles wieder vergessen.
Eine Stunde Unterricht war nicht genug. Also übe ich daheim auf der Couch die Armbewegungen, den Laptop neben mir. Hier, wo ich mir das Atmen nicht für die „Schulterblicke“ aufheben muss, ist das mit dem Kraulen nicht mehr so ein großes Geheimnis.
Ein paar Tage später bin ich wieder im Hallenbad. Ich beginne mit Brustschwimmen, zum Aufwärmen. Links und rechts von mir wird wild gekrault. Ich will auch, weiß aber nicht, wie ich anfangen soll zwischen den vielen Menschen. Das Kinderbecken dagegen ist völlig leer. Ich schaue den Kraulern noch mal genau zu und gehe rüber.
Ohne Flossen ist es schwieriger, mich oben zu halten, aber es geht. Ich vergesse immer noch manchmal, dass ich die Arme über dem Wasser nach vorne und unter Wasser zurückziehen muss. Und ich strecke zum Atmen meinen Kopf oft einfach nach oben statt zur Seite. Aber ich komme vorwärts. Und bekomme ab und zu Luft. Eine ganze Bahn lang. Irgendwann bestimmt auch im großen Becken.
Text: Kathrin Hollmer
Schafkopfen
Einmal die Woche saßen meine Großväter mit ihren Nachbarn polternd am Küchentisch und haben Schafkopf gespielt. Als Kind hatte ich keine Ahnung, warum die bei manchen Karten freudig schreien und bei anderen fluchen. Aber dieses Rumtaktieren fand ich ziemlich cool. Irgendwann habe ich nach den Regeln gefragt, um auch mitpoltern zu können, worauf immer der gleiche Satz kam: Schafkopfen kann man nicht erklären, man lernt es nur durch Zuschauen. Hat bei mir nie funktioniert.
Auch meine Versuche während der Schulzeit oder auf Abi-Fahrt blieben erfolglos. Meine kartenspielenden Mitschüler waren genauso erklärfaul. Am Freitagvormittag treffe ich deshalb Wilhelm Blum (70) in einem Pasinger Wirtshaus. Der pensionierte Philologe ist Ehrenvorsitzender des Ersten Schaffkopfvereins München e.V.. Wenn der es mir nicht erklären kann, wer dann?
Es dauert keine Stunde und ich verstehe plötzlich, wann man besser ein Rufspiel statt eines Solos spielt, was ein Wenz ist und was „schmieren“ bedeutet. Von wegen Schafkopfen lässt sich nicht erklären! Nur richtig spielen können wir nicht, dazu fehlen uns zwei Mitspieler. Darum soll ich am Sonntag zum Vereinsturnier kommen. Für die volle Ladung Praxis.
Ich trainiere stundenlang auf sauspiel.de, am Turniertag fühle ich mich trotzdem wie bei der Führerscheinprüfung. Nur, dass ich diesmal keine einzige Fahrstunde hatte. Ganz wohl ist mir dabei nicht. Bevor es losgeht, weist mich der Turnierleiter dann aber samtpfotig darauf hin, dass ich vielleicht doch lieber nur zuschauen sollte. Um nicht den Ärger meiner Mitspieler auf mich zu ziehen. War auch besser so – ich Greenhorn wäre hier kläglichst untergegangen. Zum Spielen komme ich trotzdem noch. Nach der Preisverleihung fordern mich Wilhelm Blum und zwei Vereinsmitglieder zu einem kleinen Übungsspiel auf. Bei dem ich glatt Zweiter werde! Ich gebe zu, mir wurde ein paar Mal geholfen. Aber zumindest habe ich kapiert, warum nun jeweils die eine Karte mehr Sinn gemacht hat als die andere. Hat das Zuschauen am Ende doch was gebracht?
Text: Josef Wirnshofer
Text: jetzt-Redaktion - Fotos: Conny Mirbach, Katharina Bitzl, oh