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Der Domino-Effekt
„Wir haben gerade eine Band aus Glasgow namens Franz Ferdinand unter Vertrag genommen: Sie haben tolle Songs und sind sehr bunt und frisch, deshalb setze ich große Hoffnungen in sie“. So spricht jemand, der bereits Großes ahnt, sich aber nicht annähernd ausmalt, wie sehr bald die ganze Welt auf die beschriebene Band spinnen wird. Laurence Bell spricht so, der Gründer der britischen Plattenfirma Domino Records. Das Interview stammt aus dem Jahr 2003, damals gab es Domino seit genau zehn Jahren. Eine Firma, die vor allem Musikgourmets für Lizenzen von US-Labels wie Sub Pop oder Drag City bekannt war. Laurence Bell hatte für eine andere Plattenfirma gearbeitet, bis er sich mit Jacqui Rice zur Selbständigkeit entschloss. Eine Selbständigkeit, die zunächst bedeutete im Keller neben einem Telefon und einem Faxgerät zu sitzen und Bands wie Sebadoh oder Pavement sowie gemütliche Singer-Songwriter wie Bill Oldham auf britisches Vinyl pressen zu lassen. Inzwischen ist die Firma auf neun Leute angewachsen, residiert im Londoner Stadtteil Wandsworth und feiert mit Bands wie Franz Ferdinand oder den Arctic Monkeys gigantische Erfolge. Der vergangene Oktober war ein guter Monat für Bell und Rice: Erst kam das zweite Franz-Ferdinand-Album „You Could Have It So Much Better“ auf Platz Eins der Charts, kurz danach schaffte die Single „I Bet You Look Good On The Dancefloor“ der Arctic Monkeys dasselbe. Durch die schrecklichen Britpop Jahre gewurschtelt Die Arctic Monkeys, die laut Bell klingen wie „The Who angeführt von Mike Skinner“ waren durch das Internet sehr schnell sehr bekannt geworden – und das ohne Manager, Label oder sonstige Bindungen zur Musikindustrie. Warum sie schließlich doch bei Domino landeten, obwohl andere Firmen deutlich lukrativere Angebote machen konnten? Man kann es vielleicht am ehesten mit dem engen Verhältnis erklären, dass Domino zu seinen Künstlern aufbaut. Das jahrelange Durchwurschteln während der „schrecklichen Jahre des Britpop“ (Rice), als kaum jemand die Musik von Domino hören wollte, beweisen, dass die beiden Labelmacher es ernst meinen. Dass es um Musik geht, nicht um Geld. Franz Ferdinand präsentieren das Label-Logo stolz auf der Bassdrum ihres Schlagzeugers – dort, wo andere Bands lieber ihren eigenen Namen sehen. Und in ihrer Biographie erinnern sich die Schotten an die Treffen mit den zahlreichen Labelbossen, die sie anfangs umgarnten: „Manche waren beeindruckende Einzelgänger, die die Welt mit ihrer Arbeit verändert hatten. Manche waren Wichser, die sich zuviel Kokain in die Nase stopften, während sie Mist redeten“. Schließlich trafen sie Laurence Bell, „der ganz eindeutig in die erste Kategorie gehört“. Während es sonst üblich ist, dass Veröffentlichungstermine nach hinten verschoben werden, macht es sich Domino Records zur Angewohnheit, die Auslieferung vorzuziehen: So kam das jüngste Franz-Ferdinand-Album früher als angekündigt in die Läden, bei den Arctic Monkeys war es ebenso: „Das Album war zu heiß, um darauf herumzusitzen“, erklärte Laurence Bell damals die Eile. „Es hatte definitiv nichts mit Internetpiraterie zu tun. Der Erfolg der Band hat bereits gezeigt, dass das Internet nichts ist, wovor man sich fürchten muss“. Die Zahlen geben ihm Recht: Mit über 365 000 verkauften Alben allein in der ersten Woche ist „Whatever . . .“ in Großbritannien das erfolgreichste Debüt aller Zeiten. Bell ist begeistert: „Ich glaube nicht, dass man das mit irgendetwas vergleichen kann“. Das Geheimnis seines Erfolges? „Die Bands bleiben bei uns, weil wir uns den Arsch abarbeiten und beweisen, dass wir alles genauso gut, wenn nicht besser können als die großen Firmen.“ Die wichtigste Regel, verrät er etwas später: „Gib deinen Bands immer rechtzeitig ihr Geld – immer!“ Dieser Text stammt von der POP-Spezialseite, die am Dienstag 14.2.2006 in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Hier kannst du die komplette Seite als PDF ansehen.