- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Das Wirtschaftswunderkind
In seiner Freizeit geht Conrad Caine gerne ins Atomic Café – mit einer Plastikukulele um den Hals. Er beschallt den Gärtnerplatz, mit einem Kinderwagen, auf den er mehrere Verstärker geschnallt hat. Oder er baut eine vier Quadratmeter große Zimmerlampe, mit Internetanschluss. Das macht er so nebenbei. In der Zeit, in der er keine Aktionskunst fabriziert, leitet Conrad eine Firma. Der 21-Jährige ist für acht Angestellte verantwortlich, er programmiert komplexe Software, ohne irgend eine Informatik-Ausbildung. Conrad hält Hochschul-Seminare, ohne jemals Abitur gemacht zu haben. Und natürlich heißt er in Wirklichkeit gar nicht Conrad Caine, aber seinen Künstlernamen findet er einfach viel cooler als „Dominic Hartmann“. Dieser Name steht in seinem Pass. Seine Firma, die „Conrad Caine Media Applications“, hat ihr Büro in der Mandlstraße, direkt am Englischen Garten, im Erdgeschoss eines idyllischen Altbaus. Conrad sitzt auf einem großen schwarzen Ledersofa in der Ecke. Das heißt: Conrad beugt sich vor, lehnt sich zurück, fährt sich durch die Haare. Beim Reden springt er immer wieder leicht in die Höhe. Er hat einfach zu viel Energie, um bloß so auf einem Ledersofa zu hocken. „Krass“, sagt er immer wieder, wenn er von seinem Leben als Unternehmer erzählt. Oder: „Irre“. Oder: „Ist das hart“. Seine Haare wellen sich lang. Das Jackett des schwarzen Anzugs trägt er offen. An den Füßen hat er schwarze Adidas-Sneaker. Conrad sieht aus wie ein Skater, nicht wie ein Unternehmer. Auf den ersten Blick könnte man sich den Conrad Caine, den Dominic Hartmann gibt, gut in der Hochphase der New Economy Ende der 90er Jahre vorstellen. Damals war es nicht ungewöhnlich, dass 21-jährige Jungs riesige Unternehmen leiteten, absolut wahnsinnige Umsätze machten und sich gegenseitig darin überboten, möglichst verrückt zu wirken, kreativ, bekümmert – und das alles womöglich mit einem Künstlernamen. Buchhaltung war Pipifax, Lifestyle alles. „Da ist ziemlich viel verrücktes Zeug passiert“, weiß Conrad. Und bilanziert ganz nüchtern: „Ich hätte damals enorm viel Profit schlagen können, wenn ich älter gewesen wäre.“ Entlassen tut weh Dabei hat er schon sehr früh angefangen: Mit 14, als Conrad sich noch Dominic rufen ließ und brav in die Schule ging, begann die Geschichte von Conrad Caine. Am PC schnitt er für Freunde und Bekannte Videofilme, für damals noch 200 Mark pro Film. Als einer seiner Kunden einmal eine Rechnung wollte, überredete Dominics Vater den damals 14-Jährigen, eine eigene Firma zu gründen, der Richtigkeit halber. Dominic gewann mit einem Schulfreund einen Multimedia-Wettbewerb des Bundespräsidenten und durfte fortan ein wenig am Größenwahn der New Economy teilhaben. Er jettete für einen großen Verlag durch die Republik. Wenn Kunden vormittags anriefen, entschuldigte er sich, er sei „im Meeting“. In Wirklichkeit war das Meeting der Chemie-Unterricht. Mit 17 Jahren brach Dominic die Schule ab. Sie war ihm zu langweilig. „Dort passierte nie etwas“, erinnert er sich. „Daheim hat sich währenddessen die Arbeit gestapelt.“ Was er kann, hat er sich selbst beigebracht. Aus Büchern oder gleich bei der Arbeit. So wie einmal, als er eine Wirtschafts-Controlling-Software entwickeln sollte. „Dafür musste ich mir die Grundlagen der Buchhaltung beibringen“, sagt er, so als wäre Buchhaltung gar nichts. Immer wieder betont Conrad, wie ernst und nüchtern es in seiner Firma zugeht, ja sogar steif. An der Wand neben ihm hängt ein spießiges Leonardo-DaVinci-Poster. Sein kleines Zimmer im Schwabinger Altbau teilt sich der junge Chef mit einem Kollegen. Dafür stehen auf seinem Schreibtisch drei riesige Flachbildschirme. Und zu seinen acht festen Mitarbeitern hat Conrad vor wenigen Wochen eine eigene PR-Frau unter Vertrag genommen, die sich um sein Bild in der Öffentlichkeit kümmern soll. Das Spezialgebiet der Firma ist komplizierte Internetsoftware. Zur Zeit entwickeln sie ein Programm zur Datenanalyse, Conrad nennt es wortreich „ein synergetisches Prozessmanagement-Tool zur Auswertung psychotherapeutischer Daten auf chaostheoretischer Grundlagen“. Wie das genau funktioniert, mit der Chaostheorie, den Prozessen und allem, erklärt er nicht. Aber er weiß, wie man Eindruck schindet. Dann wird Conrad ernst: „Die Verantwortung haut dich schon um“, sagt er. „Ich musste auch schon Leute rausschmeißen – das war schon hart. Die Leute haben ja auch Freunde in der Firma.“ An die Verantwortung, die er als Firmenchef hat, sagt er, fängt er gerade erst an, sich zu gewöhnen. Obwohl Conrad kein Abitur hat, hat er einen Lehrauftrag an der Fachhochschule. Alle zwei Wochen bringt er in Dessau Design-Studenten bei, wie man Benutzeroberflächen für Handys und iPods programmiert. Eine Professorin hatte ihn bei einem Projekt kennen gelernt und gleich für ihre Hochschule vorgeschlagen. Als Mann mit Praxiserfahrung. Mit seinen 21 Jahren ist der Dozent der Jüngste im Hörsaal. „Das ist schon krass, was die an der Hochschule für Möglichkeiten haben“, schwärmt Conrad. „Was da alles rumsteht.“ Er streckt die Arme zur Seite. „Sooo große Filmschnittplätze.“ Er springt in die Höhe: „Da könnte man so viel daraus machen. Die Studenten nehmen das alles viel zu locker.“ Er schreit: „Das geht halt gar nicht.“ Conrad ist auch der Meinung: „Die richtig guten Leute, haben die Uni eh alle abgebrochen.“ So wie er die Schule. Mit „Lampan“ ins Netz Auf einmal springt er auf, rennt raus, kommt mit einem handygroßen Mini-PC in der Hand wieder, tippt ein wenig darauf rum und zeigt stolz das Digital-Foto seiner neuesten Erfindung: die Internet-Lampe. Auf dem Foto sieht man eine weiße Platte an Conrads Zimmerwand, zwei auf zwei Meter, darauf sind 81 Ikea-Lampen – Modell „Lampan“ – montiert. Jede davon ist einzeln übers Internet steuerbar. Noch ein bisschen tüfteln, dann leuchten auf der Lampe Bilder oder sogar Nachrichten. „So Zeug mach ich nebenbei“, meint Conrad. Wenn er keine Lampen baut, macht er Musik, „Schrabbelmusik“, wie er es nennt, auf der Ukulele, manchmal auch als „mobile Punkband“ mit einem in einen Kinderwagen montierten Verstärker, den er dann über den Gärtnerplatz zieht. Doch auch hier ist Conrad Autodidakt. Drei Akkorde, mehr kann er auch gar nicht. Trotzdem ist er sich sicher: „Mit ‚Amazing Grace’ könnte man sein ganzes Leben finanzieren“, er grinst. Der Künstlername „Conrad Caine“ ist bei einem Auftritt im Schaufenster einer Boutique im Glockenbachviertel entstanden. Mittlerweile sei er auch schon durch die Musik zu Aufträgen für seine Firma gekommen, erzählt Conrad. Wer braucht schon Visitenkarten, wenn er einen Kinderwagen voller Verstärker hat? Wenn Conrad dann am Abend wieder einmal mit der Ukulele um den Hals im Atomic Cafe steht, macht er das auch aus Prinzip: Nur kein Computerstreber werden. Allein schon aus geschäftlichen Gründen. „Wenn du der totale Nerd bist“, weiß der Geschäftsmann, „ist es einfach schwierig, dem Kunden ein tolles Projekt zu verkaufen.“ Autor: Bernhard Hübner Foto: Maria Dorner