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„Das wär so geil, wenn der Richie uns umarmen würde!“

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Eine bleiche Nase lugt unter der grauen Filzdecke vor und zwei Hände, die die Decke in Position halten. Bevor die deutsch-amerikanisch-britische Boyband US 5 sich überhaupt auf der Bühne des Zenith blicken lässt, ist der Abend für das Mädchen mit der bleichen Nase schon gelaufen. Außer ihr hatten die Johanniter an diesem frühen Abend bislang noch weitere 40 kreislaufschwache Mädchen zu versorgen. Alexander Schröder, Herr über die Kolonie von Feldbetten, findet den Abend deshalb eher langweilig: „Beim Konzert von Tokio Hotel im Winter hatten wir schon in der Nacht vorher die ersten Versorgungen. Da ist das heute schon zivilisiert.“ Laura, 11, und Michaela, 12, überlegen derweil drinnen in der Halle, dass ohnmächtig werden eine nicht zu verachtende Option für den Abend wäre: Manchmal nämlich, sagt Laura, kümmerten sich die Stars um ihre von Schwächeanfällen geplagten Fans. „Und das wäre so geil, wenn der Richie uns umarmen würde.“ Der Richie ist einer der fünf Jungs, die seit der RTL II-Casting-Show „Big in America“ unter dem Bandnamen US 5 unterwegs sind und unzählige T-Shirts, Zeitschriftencover und Jugendzimmerschrankwände zieren. Zweieinhalbtausend Menschen warten an diesem Abend in Freimann darauf, dass US 5 die Bühne betreten. Die meisten davon sind weiblich und geboren, als Kurt Cobain schon nicht mehr lebte und der zweite Golfkrieg längst vorbei war. Die anderen stehen im hinteren Teil der Zenithhalle, haben dicke Wattepfropfen in den Ohren und fühlen sich selbstlos, weil sie ihre Töchter hierher begleitet haben. Es ist kurz vor halb acht und kurz vor 45 Grad Raumtemperatur, als das Vorprogramm in Gestalt von Jamie Shaw die Bühne betritt. Die meisten Mädchen kennen den britischen Sänger zwar nicht, kreischen aber vorsorglich trotzdem mal. Genau davon hatte Jamie schon vor seinem Auftritt in der nach Sauerkraut riechenden Kantine geschwärmt: Die deutschen Fans seien fantastisch laut. Momentan könne er, Jamie, sich nichts Besseres vorstellen, als jeden Abend vor einem Meer kreischender deutscher Mädchen zu stehen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Laura und Michaela haben inzwischen vor Aufregung gerötete Wangen und werden immer nervöser. Seit Wochen freuen sie sich auf das Konzert, in stundenlanger Handarbeit haben sie Fotos aus Zeitschriften ausgeschnitten, gemalt, geklebt und mit dickem Filzstift „We love US 5“ auf ihr Fanposter geschrieben. Jetzt hat Laura Gänsehaut. Als die Tür zum Backstagebereich aufgeht, fangen die Mädchen in der Halle an zu schreien. Es kommt aber nur ein Security-Mensch raus, dann geht die Tür wieder zu. Michaela und Laura werden US 5 auch als 80-jährige Omis noch lieben, davon sind sie überzeugt. Warum auch nicht? „Meine Eltern finden die Beatles ja auch noch voll cool“, argumentiert Michaela. Das Phänomen der Boy-Group hält sich standhaft, seit die Comedian Harmonists ab Ende der 1920er Jahre die Mädels mit „Mein kleiner grüner Kaktus“ betörten. Was sich geändert hat, ist die Publikumszusammensetzung: „Dass meine Eltern mit zu einem Konzert gekommen wären – undenkbar!“, sagt Lauras Mutter Esther. Sie hat sich mit einem Plastikbecher voll Bier locker an eine Säule gelehnt und findet die 80 Fanposter im Kinderzimmer ihrer Tochter eigentlich ganz in Ordnung. „Also, wenn die Laura Tokio Hotel mögen würde – dann wäre ich wahrscheinlich nicht hier. Aber US 5 find ich auch süß.“ In Lauras Klasse gibt es zwei Lager: Die Tokio Hotel-Anhänger und die US 5-Fans. Und dann gibt es noch ein Mädchen, das am liebsten Rolf Zuckowski mag. Mütter wiegen die Hüften Der Lärmpegel steigt jetzt ins Unermessliche und dann stehen sie endlich auf der Bühne, die fünf Jungs. Sie nehmen die schwarzen Sonnenbrillen ab, lächeln ein Zahnpastalächeln edelster Sorte und sind umwerfend. Am linken Bühnenrand kreischt Sarah und hüpft dabei von einem Bein aufs andere. Sie ist selig. Dass manche Menschen keine Boybands mögen, führt die 13-Jährige auf einen eingeschränkten Bildungshorizont zurück. „Die müssten das nur einmal mitmachen, Poster sammeln und so. Wenn man es einmal ausprobiert hat, dann wird jeder Fan.“ Der Grund, warum die meisten Jungs US 5 doof finden, liegt für Sarah ebenfalls auf der Hand: „Die sind mit Sicherheit eifersüchtig.“ Aber auch wenn Richie supersüß ist und die US 5-Jungs „attraktiver aussehen und auch reifer sind als die in unserer Klasse“, Sarahs männliche Klassenkameraden müssen sich nicht mit einer Zukunft als Single abgeben: „Die haben schon noch ’ne Chance.“ Nach spätestens drei Liedern haben die fünf Buben auf der Bühne wirklich alle in der Halle überzeugt. Viele hundert Mädchen singen aus voller Kehle „your body drives me crazy . . . “,die Mütter und Väter wiegen im Takt die Hüften. Und ein älterer Herr mit graumelierten Haaren erklärt mit verklärtem Blick: „Also, süß sind die ja schon, die Jungs.“ Alexander Schröder von den Johannitern steht vor der Halle im Nieselregen und lässt ein bisschen die Luft raus aus dem Star-Mythos. Dass die Mädchen reihenweise in Ohnmacht fallen, das hat seiner Erfahrung nach wenig mit Richies bezauberndem Lächeln zu tun: „Die Eltern geben ihren Kindern nicht genug Geld für ein Spezi mit. Dann stehen die da stundenlang, ohne was zu essen und zu trinken.“ Und dann landen sie unter einer grauen Filzdecke im Sanitätszelt.

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