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Das Mitmach-Magazin
Man muss kein Verleger sein, um ein Magazin auf den Markt zu bringen. Alles, was man braucht, ist eine gute Idee. Chris Schiebel ist eigentlich Wirtschaftsinformatiker. Trotzdem hat der 27-jährige Münchner wahr gemacht, wovon andere Verleger nur träumen. Für sein Magazin deinblick arbeiten die Autoren nicht nur gratis. Sie sind auch noch die treuesten Kunden: kaufen oft mehrere Ausgaben und verteilen sie in ihrem Bekanntenkreis. Seine Gegenleistung nennt er „eine Bühne, die jedem offen steht.“
Deinblick ist eins der ersten Printmagazine in Deutschland, die ausschließlich mit „User Generated Content“ arbeiten. Konkret heißt das: Die Leser machen deinblick selbst. Das Konzept ist einfach. Chris Schiebel gibt das Thema der nächsten Ausgabe auf der Internetseite www.deinblick.com vor. Daraufhin laden die Autoren Texte und Fotos hoch. Schiebel wählt die Besten aus und druckt sie alle zwei Monate in einer Magazinausgabe, die er für fünf Euro pro Stück verkauft. Die Einnahmen gehen an ihn.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein Gebäude aus Beton und Glas, nahe des Münchner Hauptbahnhofs. Über wahnwitzig breite Stufen geht es hinauf in den ersten Stock. Eine Unternehmensberatung hat hier ihren Sitz, ein Büro auf dem Flur ist jetzt die Zentrale der Redaktion. Drucker und Kaffeemaschine darf Chris Schiebel mitbenutzen. Er hat eine Stelle als Produktentwickler gekündigt – um sein eigens entwickeltes Produkt auf den Markt zu bringen. Sein Magazin, sagt der Jungunternehmer, greife beim Web 2.0 an. Dort, „wo die Leute begeistert sind, wenn sie mitmachen dürfen.“
Die Idee, das Konzept Web 2.0 auf den Printmarkt zu übertragen und damit Geld zu verdienen, ist nicht ganz neu. I like my style erreicht weltweit eine Auflage von 20 000 Stück mit gedruckten Blogeinträgen. Ähnlich arbeitet das CIRCUS Bookazine. Chris Schiebel geht einen Schritt weiter, da er nicht auf Blogs oder andere Inhalte aus dem Internet zurückgreift. Die Autoren schicken ihre Beiträge direkt an die Redaktion. Das ist nicht mehr „User Generated Content“, es müsste eigentlich heißen: „Leser Generated Content“. Man könnte auch sagen: Journalismus, der kein Geld kostet.
Zu den Menschen, die ihre Geschichten gratis anbieten, gehört Daniel Richter. 31 Jahre alt, trendige Hornbrille. Tagsüber legt er Kapital von Privatkunden an, abends geht er mit Freunden gern ein Bier trinken. Im Cafe Kosmos am Münchner Hauptbahnhof zum Beispiel. Die Flasche Astra Pils gibt es für 1,60 Euro, von den Wänden bröckelt der Putz. Daniel Richter erscheint zum Interview in einer verwaschenen Wollweste, darunter schaut ein weißer Hemdkragen hervor. Er hat Fotos von einem Rucksack-Urlaub in der aktuellen deinblick- Ausgabe veröffentlicht. Dafür hat er drei Seiten bekommen. Die Bilder zeigen einen Strand mit bunten Luftballons an einer Schnur. Einen Wegweiser zur Akropolis an einer Straße, vor abbruchfertigen Wohnhäusern. Die Fotos sehen aus, wie Urlaubsfotos eben aussehen, nicht immer sind sie perfekt belichtet. Der Text ließt sich wie ein Tagebuch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Es sind nicht nur Laien, die für deinblick arbeiten. Sonja Kroll ist Journalistin und schreibt für eine Online-Plattform in Dublin. Dass sie für ihre Fotostrecke über Zeitungsverkäufer nichts bekommen hat, stört sie nicht. „Als Fotografin stehe ich am Anfang. Für mich zählt, überhaupt gedruckt zu werden“, sagt sie. Erst vor wenigen Wochen habe sie einen Foto-Kurs an der Uni in Dublin gemacht, mit dem Beitrag hoffe sie jetzt, Auftraggeber zu gewinnen.
Schiebel nimmt es nicht besonders eng mit den Grenzen der PR – er druckt auch gern mal die Emailadresse von Architekten unter eine Geschichte über Edel-Hausboote. Trotzdem sagt er: „Uns ist wichtig, dass die Autoren etwas zu erzählen haben. Die Leute sollen für sich werben und nicht für ein Unternehmen“.
Drei Ausgaben hat Chris Schiebel bislang drucken lassen. Von rund 1000 Stück hat er zwei Drittel verkauft. Es ist also ordentlich angelaufen. Auch deshalb, weil viele Autoren gleich mehrere Ausgaben bestellt haben. Eine für die Eltern, eine für die Freundin. Nach Abzug der Druckkosten, der Büromiete und dem Lohn für eine Grafikerin, die ihn unterstützt, macht Chris Schiebel keinen Verlust. Aber auch keinen Gewinn. Das soll sich ändern, sobald das Magazin mehr als 48 Seiten bekommt. Die Nachfrage gäbe es her, sagt Schiebel, denn zwei Drittel der Einsendungen lehne er aus Platzgründen ab.
Vom Erfolg seines Konzept ist Chris Schiebel überzeugt: „In erster Linie geht es um Authentizität.“ Beim Leser ankommen solle unbedingt die persönliche Geschichte des Autors. Menschen machen Privates öffentlich – nicht anders funktionieren soziale Netzwerke. Deren Mechanismus will sich Chris Schiebel zunutze machen. „Es geht doch immer um die Frage: Wer bin ich? Darum, sich zu präsentieren. Und wenn Menschen sich authentisch äußern, gibt es nach meiner Erfahrung auch viele andere, die das spannend finden.