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„Das Magische ist weg“

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Das Blut sprudelt schwarz, Holzkreuz, Hämmer und ein Kästchen Nägel liegen bereit. Drei groß gewachsene Gestalten stehen in weißen Ganzkörperanzügen und mit schwarzen Nylonsocken über ihren Gesichtern auf dem Bürgersteig vor dem Klub der Republik. Einer von ihnen hat sich gerade hinuntergebeugt zu einer Art Sack aus grauem Filz. Mit einem langen Küchenmesser hat er den Sack aufgeschlitzt, an der Stelle, an der sich die Kehle befände, wäre der Sack ein Lebewesen. Eine dunkle Flüssigkeit ergießt sich daraus wie Blut.

  Ungefähr 100 Leute stehen am vergangenen Donnerstag um die Szene herum. Mit Zigarette, Kamera oder einer Bierflasche in der Hand beobachten sie den Fortgang der makabren Performance. Der Sack bleibt auf dem nassen Boden liegen, die weißen Gestalten wenden sich dem Holzkreuz zu, das hinten an der Hauswand lehnt. Sie nageln etwa ein Dutzend Bretter an das Kreuz, darauf stehen Namen wie NBI, Knaak oder KdR. Als sie fertig sind, zieht jemand das Kreuz an einem Seil von oben in den ersten Stock, es verschwindet durch eines der bis zum Boden reichenden Fenster des Klubs der Republik, des KdR, wie die meisten hier ihn nennen. Die Leute unten beginnen Kerzen anzuzünden und legen Blumen an der Hauswand nieder.

  Es ist eine theatralische Aktion, ähnlich denen, die man von Demonstrationen kennt, wenn die Bildung oder sonst ein bedrohtes Gut zu Grabe getragen wird. Heute sind es die Clubs im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, deren Tod die Demonstranten beklagen.

  Denn der KdR muss schließen. Das Gebäude hat in den vergangenen Jahren mehrere Besitzer erlebt. Immer wieder mussten die KdR-Betreiber neue Mietverträge aushandeln, und nachdem sie gerade einen über zehn Jahre ergattert hatten, tauchte eines Abends ein Mann am Tresen auf, trank etwas und fragte, was hier eigentlich los sei. Er sei nämlich der neue Eigentümer und davon ausgegangen, dass das Gebäude leer stehe. 

  Die Immobilie war ohne Wissen der KdR-Macher verkauft worden. Der Mann wollte ein Hotel bauen, bekam aber keine Genehmigung und verkaufte wieder. Nach einigem Hin und Her und einem weiteren Besitzerwechsel ist jetzt Schluss. Am Donnerstag begann der zehntägige Abschieds-Partymarathon, am ersten Februar werden die Bagger kommen und beginnen, das zweistöckige DDR-Gebäude abzureißen. In den Sechzigerjahren saß hier die „Produktionsgenossenschaft des Handwerks Linoleum und Teppichboden“, seit 2002 wird mit Blick über die Pappelallee getanzt, beleuchtet von orangefarbenem Licht. Die Lampen hingen früher im Café Moskau und sind baugleich mit denen aus dem Palast der Republik. Bis 2013 soll hier jetzt ein Palast der Eigentumswohnungen gebaut werden, die Hälfte der 31 Objekte ist schon reserviert. Die, die noch zu haben sind, kosten zwischen 170.000 und 300.000 Euro. 



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Protest am KdR

  Das Ende des Klubs ist besiegelt, die Demo wird daran nichts ändern. Die Leute sind aber auch gekommen, weil ihr Viertel nicht mehr das ist, was es mal war. Einer von ihnen, er heißt Marc und hat eben eine Kerze an die Wand gestellt, ist vor zehn Jahren nach Prenzlauer Berg gezogen, weil ihm die Mischung dort gefiel. „Aber die Mischung ist jetzt keine Mischung mehr. Da ist nur noch Cola, ohne Rum drin.“

  Aus Perspektive eines Nichtberliners können einem solches Wehklagen und eine Demo gegen Clubsterben seltsam vorkommen. Die Clubszene in Berlin ist größer als in jeder anderen deutschen Stadt. Berlin ist auf der Landkarte moderner elektronischer Musik eine Weltmacht, Wochenende für Wochenende zieht es tausende Touristen aus ganz Europa hierher, die sich auf der Euphoriewelle der Bässe durch die Stadt tragen lassen. Die Afterhour dauert hier noch an, wenn sich andernorts die Leute so langsam für die neue Arbeitswoche fertig machen. 

  Aber die Rechnung „Berlin ist gleich pulsierende Clubkultur“ gilt nicht mehr überall in der Stadt. In manchen Vierteln, die sich in den Neunzigern zu Party-Neuland entwickelt hatten, sind die Clubs auf dem Rückzug – ganz besonders in Prenzlauer Berg. Und so ist der Protest vor dem KdR mehr als Empörung über die Schließung einer Party-Location. Er ist ein letzter Aufschrei in einer Auseinandersetzung der Lebensentwürfe in diesem Viertel. Es kämpft der alte Prenzlauer Berg gegen den neuen, es verteidigt sich Feiern gegen Wohnen, Experimentierfreude gegen Kapital, Abenteuerlust gegen gesetztes Leben mit schicker Wohnung und SUV vor der Tür.

  „Man kann hier schon noch ausgehen – wenn man einfach nur Bier trinken will“, sagt Deacon Dunlop, einer der KdR-Betreiber. „Aber das Besondere, Magische, das den Prenzlauer Berg mal ausgemacht hat, ist weg. Es gibt nichts mehr zu entdecken.“ In der Tat kamen in den vergangenen Jahren keine neuen Clubs hinzu, stattdessen verschwanden viele. In der Greifswalder Straße machte 2010 das Knaack nach fast 60 Jahren dicht, weil sich Anwohner eines Neubaus über den Lärm beschwert hatten. Im selben Jahr verließ der Magnet Club sein Quartier in Prenzlauer Berg und zog nach Kreuzberg. Für die Drum’n’Bass-Institution Icon war die Silvesterparty Ende 2011 nach 15 Jahren die letzte. Auch hier grenzt ein Neubau an das alte Backsteingebäude, in dessen Kellergewölben gefeiert wurde. Die Bässe waren nicht das Problem, die Anwohner störte der Lärm vor der Tür. Wenn auch der KdR weg ist, bleibt nicht mehr viel übrig: die Kulturbrauerei, ein großes, hübsch saniertes Gelände mit Nachtleben, Theater und Kino. Aber selbst die hat immer wieder massive Probleme mit Lärmbeschwerden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Das Clubsterben in Prenzlauer Berg ist eine markante Zäsur in einem Prozess, der nach der Jahrtausendwende spürbar wurde. Möglichkeiten zur Zwischennutzung, niedrige Mieten, Raum für Gestaltung und Entfaltung zogen die Menschen in den Neunzigern an. Aber diese Freiräume schrumpften. Den Kreativen folgten diejenigen, die es spannend fanden, dass hier so viel los war. Weil einige von ihnen auch Geld mitbrachten, kamen Investoren und boten ihnen sanierte Altbauwohnungen an. Oder stellen ihnen, wie im Fall des KdR in der Pappelallee 81, einen Neubau mit Eigentumswohnungen hin. Jens-Holger Kirchner, Bezirksstadtrat und zuständig für die Abteilung Stadtentwicklung, sagt: „Die Hälfte des Prenzlauer Bergs ist mittlerweile Wohneigentum.“ Deacon Dunlops Worte fallen etwas schärfer aus: „Es geht hier nur noch darum, möglichst viel Geld rauszuholen.“ Das Image des hippen Bezirks zieht dabei noch immer. Auf der Internetseite des Neubauprojekts in der Pappelallee werden stolz Bars, Kneipen und Cafés in der Umgebung aufgezählt, die Firma P&P bewirbt ihr Neubauprojekt mit dem Slogan „Mehr Stadt geht nicht“. 

  Nur handelt es sich dann um eine Stadt, deren Bewohner keine Orte zum Tanzen finden. Vielleicht wollen sie das aber gar nicht. Denn auch der Lebensstil so mancher Kreativer und ihrer Nachzügler hat sich gewandelt. Sie wurden älter, und der erholsame Schlaf des Nachwuchses überholte das Feiern auf der Prioritätenliste. Sie reproduzierten die Verhältnisse, aus denen sie einst einen Ausweg suchten. Dazu passt der Spruch, der momentan in roten Buchstaben auf einem großen Transparent am Fenster des KdR prangt: „Erst wenn die letzte Eigentumswohnung gebaut, der letzte Klub abgerissen, der letzte Freiraum zerstört ist, werdet ihr feststellen, dass der Prenzlauer Berg zu der Kleinstadt geworden ist, aus der ihr einmal geflohen seid.“ Stadtrat Kirchner beschäftigen die Clubschließungen auch. „Ich sehe das mit großem Bedauern, denn Clubs gehören natürlich zum reichen Leben des Prenzlauer Berg. Ich sehe es aber auch mit Gelassenheit. Denn das Leben hier wird dadurch nicht langweiliger, es wird nur anders. Eine Stadt wie Berlin ist ständig im Wandel.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



  Die Frage ist, ob und wie die Politik diesen Wandel gestaltet. Dafür, dass sich der Stadtstaat Berlin seinen kulturellen Reichtum auf alle verfügbaren Fahnen schreibt, tut die Politik nicht allzu viel für die Clubs, findet Lutz Leichsenring. Er ist Sprecher eines Interessenverbands namens Club Commission und damit so etwas wie der Lobbyist der Berliner Szene. Am Nachmittag der Demo vor dem KdR sitzt er in Jeans und schwarzem Sacko in einem Café in Berlin Mitte. Vor sich hat er eine Cola und seinen Laptop, er arbeitet noch ein bisschen, bevor er weiter muss zu einer Diskussionsrunde am Potsdamer Platz. Titel der Veranstaltung: „Reicher und trotzdem sexy? Berliner Clubmacher treffen auf die neu gewählten politischen Player.“ 

  Die neue Berliner Regierung aus SPD und CDU hat in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, dass sie ein „Musicboard“ gründen will, das nach Vorbild des Medienboards, der Anlaufstelle für Kreative in der Film- und Medienbranche, die Interessen der Musikwirtschaft und also auch der Clubs bündeln soll. Wie dieses Board aussehen soll, wird gerade diskutiert. Die Gründung sei ein wichtiger Schritt, sagt Lutz Leichsenring, aber die entsprechenden Taten müssten noch folgen: „Wenn man akzeptiert, dass die Clubszene für das Renommée und die Entwicklung dieser Stadt wichtig ist, braucht man einen Plan, wie man sie fördern kann“, sagt er. Mit Förderung meint er nicht unbedingt Geld, sondern dass die Stadtplaner weniger Gegenden zu Wohngebieten machen, in denen keine Clubs eröffnen dürfen. 

  „Was wir brauchen, sind Freiräume. Und die werden in einer reicher werdenden und enger bebauten Stadt knapper. Mittlerweile muss man sich genau überlegen, wie sich eine Gegend entwickelt und wo man Clubs ansiedeln kann und will.“ 

  Denn es ist ja nicht auszuschließen, dass das Clubsterben in Prenzlauer Berg ein Schicksal ist, das auch anderen Bezirken in ein paar Jahren droht. „Das verlagert sich“, sagt Deacon Dunlop. „Nach Neukölln, nach Wedding, vielleicht noch nach Moabit. Aber dann ist auch schon nichts mehr da. Die Aufwertungswalze wird irgendwann alle innerstädtischen Viertel überrollt haben.“ Sollte es tatsächlich so kommen, wird sich vielleicht der ein oder andere an die jetzige Debatte und an den Abend der Demo vor dem KdR erinnern. Mittlerweile ist es 22 Uhr, hinter der Glasfassade tanzen schon ein paar Gäste, als jemand das Holzkreuz mit dem Clubnamen an der Wand aufhängt. Es ist auch von außen sichtbar. Der Filzsack mit der aufgeschlitzten Kehle hingegen liegt draußen unter der Freitreppe im Regen. 

Text: christian-helten - Fotos: Autor

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