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„Das Glockenbachviertel ist nicht mehr zu retten“

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Sie kleben an Stromkästen, Hauswänden und vor Kneipen, besonders im Glockenbachviertel: Plakate, die sich auf ironische Weise mit der nächtlichen Lärmbelästigung in Szenevierteln auseinandersetzen und mit kurzen Sätzen mehr Ruhe, teurere Mieten und strengere Nachbarn fordern. Unterschrieben sind sie mit „BÜF.F.E.L“, einem Aktionsbündnis, das sich dem Kampf gegen die fortschreitende Gentrifizierung der Stadt verschrieben hat. Auch auf dem Gelände an der Schweren-Reiter-Straße, das Kreative, Ateliers und ein Theater beherbergt und nun vom Abriss bedroht ist, finden sich in den letzten Wochen die mit leicht ablösbarem Klebeband befestigten Plakate. Sie machen nichts kaputt und stören auch nicht wirklich – trotzdem fallen sie auf. Juri Gottschall hat mit drei ihrer Machern, alles Studenten im Alter zwischen 23 und 26 Jahren gesprochen. jetzt.muenchen: Ihr möchtet ja gern anonym bleiben, wie darf ich Euch denn ansprechen? Büffel 7, Büffel 5, Büffel 4. Warum eigentlich „Büffel“? Büffel 4: „Büffel“ hat eigentlich einen bairischen Ursprung. Üblicherweise beschreibt das Wort eine „Couch-Potato“, einen Langweiler oder den nörgeligen Nachbarn. Außerdem ist der Büffel als störrisches, stures Tier bekannt. Das Wort ist also nicht nur eine Abkürzung, sondern hat für uns eine doppelte Bedeutung. Wie viele Büffel seid Ihr insgesamt? Büffel 7: Wir sind viele.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wisst Ihr noch, wann Ihr das erste Plakat geklebt habt? Büffel 7: Das allererste Plakat haben wir gar nicht selbst geklebt. Als wir die ersten Plakate im Copyshop ausdruckten, hat anderen Leuten die Idee so gut gefallen, dass sie sich auch welche kopieren wollten. Als wir dann später auf die Straße gingen, sahen wir schon die ersten hängen. Was war denn für Euch überhaupt das ausschlaggebende Ereignis um diese Aktion zu starten? Büffel 7: Wir haben uns selber über die fortschreitende Gentrifizierung im Glockenbachviertel aufgeregt. Eigentlich findet dieser Prozess ja in ganz München statt, aber im Glockenbachviertel ist es eben am deutlichsten. Als dann im Frühjahr die X-Cess Bar geschlossen wurde, haben wir entschieden, dass wir aktiv gegen diese Entwicklung vorgehen möchten. Damals gab es eine Facebook-Gruppe gegen die Schließung des X-Cess. Obwohl diese Gruppe über 4 000 Mitglieder hatte, gab es wenige Leute, die wirklich aktiv etwas machten. Büffel 5: Das Glockenbachviertel wird sogar bei Wikipedia als Beispiel für Gentrifizierung aufgeführt – und zwar für einen „abgeschlossenen Gentrifizierungsprozess“. Büffel 4: Viele Leute beschäftigen sich mit diesem Thema. Wir haben uns gedacht: Damit müssen wir auf die Straße gehen und nicht nur im Internet diskutieren oder uns bei einem Bier darüber aufregen. Was genau erhofft Ihr Euch von Euren Aktionen? Büffel 7: Das ist eine schwierige Frage. Wenn Ihr so genau wisst, dass ihr nicht nur reden, sondern auch etwas „machen“ wollt, habt ihr doch bestimmt ein Ziel, oder? Büffel 5: Wir wollen ein Bewusstsein für die Situation schaffen. Viele Menschen haben eine Doppelmoral entwickelt und sagen: „Wir ziehen in ein Viertel, weil es dort viele ,coole’ Bars und Cafés gibt“. Dann regen sie sich aber plötzlich über diese Bars auf. Wir wollen ihnen den Spiegel vorhalten. Außerdem möchten wir diejenigen unterstützen, die über diese Situation diskutieren. Büffel 7: Entscheidungsträger der Stadtpolitik sollen darauf aufmerksam werden, dass die Prozesse, die hier gerade ablaufen, nicht unbedingt erwünscht sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und was sollen diese eurer Meinung nach tun? Büffel 7: Jetzt wird es schwierig, das ist eine gemeine Frage. Büffel 4: Es ist ja so: Das Gebäude, in dem sich das X-Cess befand, ist aufgekauft worden. Die Stadt hätte dieses Gebäude kaufen und damit das Überleben einiger Läden sichern können. Genauso könnte die Stadt sich die Entscheidung, die das Gelände an der Schweren-Reiter-Straße betrifft noch einmal überlegen und dort vielleicht doch keine großen Häuserkomplexe und Büros bauen. Büffel 5: Oder das Gelände nicht an den Höchstbietenden verkaufen. Büffel 4: Trotzdem geht es nicht darum, das X-Cess unter Denkmalschutz zu stellen. Eine Szene muss sich ja entwickeln und zieht auch immer weiter. Die Stadt könnte sich aber mehr für Zwischennutzungen stark machen, wie es jetzt beispielsweise mit Puerto Giesing der Fall ist. Habt Ihr denn den Eindruck, dass sich in dieser Hinsicht in München etwas tut? Büffel 7: Es zeichnen sich auf jeden Fall einige positive Entwicklungen ab. Trotzdem ist aber auch klar, dass der Gentrifizierungsprozess im Glockenbachviertel schon so weit fortgeschritten ist, dass das Viertel eigentlich nicht mehr zu retten ist. Genau das wollen wir zeigen. Dass so etwas woanders eben nicht passiert. Also habt Ihr Euch mit Eurer Aktion nicht nur dem Glockenbachviertel verschrieben? Büffel 4: Nein. Das Akronym „Büf.f.e.l“ heißt ja explizit „Bürgerforum für ein leises…“. Es lässt sich jedes beliebige Viertel dahinter einsetzen. Welche Stadtviertel sind denn im Moment am meisten von der Gentrifizierung betroffen? Büffel 7: Eigentlich die ganze Stadt. Gerade wurde in Schwabing das alljährliche Jennerwein-Straßenfest wegen Beschwerden der Anwohner abgesagt. Und auch das Westend ist ein schon länger schwelendes Viertel, in dem es mittlerweile mehr Architekturbüros als Lebensmittelläden gibt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In welchen Stadtvierteln ist die Stadt denn eurer Meinung nach noch ganz „bei sich“ und funktioniert so, wie sie gewachsen ist? Büffel 5: In Teilen des Westends auf jeden Fall. Da kann man sich noch richtig wohlfühlen. Und auch um den Hauptbahnhof herum. Büffel 7: Es geht uns nicht primär um Authentizität, sondern vor allem um Freiräume. Um Orte, an denen man auch einmal laut sein kann und das Zusammenleben trotzdem funktioniert. Habt ihr noch weitere Aktionen geplant? Büffel 7: Weitere Plakataktionen, ja. Über die ganze Stadt verteilt. Büffel 5: Dabei soll uns jeder helfen, der sich mit unserer Idee anfreunden kann. Über unsere Internetseite kann man sich die Vorlagen herunterladen – so kann jeder vor seiner eigenen Haustür ein Plakat anbringen. Die ganze Stadt als Bürgerforum? Büffel 7: Wir sind die Stadtblogger, die offline gegangen sind. Wart Ihr denn vorher im Internet aktiv? Büffel 7: Bis auf eine passive Mitgliedschaft in der „X-Cess-Gruppe“ bei Facebook eigentlich nicht. Büffel 4: Ich finde es so sinnlos, wenn man im Internet irgendwelchen Gruppen beitritt und dann im Endeffekt nichts passiert. Irgendwann verschwindet die Gruppe und hat doch nichts bewegt. Also wart Ihr gar keine „Stadtblogger“? Büffel 5: Nein, wir wollten lieber direkt auf die Straße und den Umweg Internet ganz auslassen. Wo wohnt Ihr eigentlich selbst? Büffel 7: Neuhausen. Büffel 4: Neuhausen. Büffel 5: Westend. Ist es da nachts auch laut? Büffel 5: Ja, durchaus. Aber ich schließe mein Fenster nachts. Ich wusste ja vorher schon, dass ich an eine laute Straße ziehe. Mit dem Argument: „Wenn ich in ein Szeneviertel ziehe, weiß ich ja, dass es dort laut ist – also darf ich mich nicht beschweren“ kann man Menschen, die schon seit Jahrzehnten in einem ursprünglich ruhigen Wohnviertel wohnen und jetzt plötzlich nachts von feiernden Leuten ihres Schlafes beraubt werden aber doch nicht begegnen – oder? Büffel 7: Um die geht es uns ja auch nicht. Wir zielen auf die Generation, die nach den „Pionieren“, den ersten Künstlern und Studenten, hergezogen ist. Aber gerade Menschen, die schon länger in einer Gegend wie dem Glockenbachviertel wohnen, möchten vielleicht wirklich ein „Bürgerforum für eine leise Nachbarschaft“ – ganz ohne Ironie. Und das sind ja nicht zwangsläufig nur alte Leute. Büffel 4: Wir wollen ja auch nicht zum unkontrollierten Rumschreien auf der Straße aufrufen. Wir möchten Inseln schaffen und Inseln erhalten. Büffel 5: Ich glaube man kommt gut miteinander aus, wenn genug Rücksicht aufeinander genommen wird. Warum legt Ihr eigentlich so großen Wert auf Anonymität? Ihr macht ja nichts Verbotenes oder betreibt Sachbeschädigung. Büffel 7: Das stimmt, aber man muss sich ja nicht immer in den Mittelpunkt rücken. Wir sind nicht die Retter des Glockenbachviertels. Büffel 5: Die Anonymität kann auch bedeuten: „Wir sind viele“. Es geht nicht um die Inszenierung des Einzelnen. Jeder soll sich uns anschließen können. Und was findet Ihr in München „gut“? Büffel 5: München hat eine gute Szene. Es gibt viele kleine Sachen, die sehr besonders sind. Büffel 4: Gerade in den letzten Jahren hat sich viel verändert. Als ich 2006 hergezogen bin, war in der Stadt nicht viel los. Man muss eben die richtigen Leute kennen, um zu erfahren, wo etwas los ist. Mehr Informationen gibt es auf: bueffelmuenchen.wordpress.com

Text: juri-gottschall - Fotos: Juri Gottschall

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