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Das duzende Früchtchen

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Wo genau der Anfang liegt, ist nicht zu sagen: irgendwo in den Coffee-Companies oder Ikea-Katalogen, bei American Apparel, Google oder doch bei der Bionade. Jedenfalls wollen moderne Firmen nicht länger Firmen sein, sondern Kumpel. Franchise-Ketten wollen nicht mehr genormte Massenversorger sein, sondern genormte Indivdiualistenheimat. Lebensmittel wollen nicht mehr anonym vom Fließband fallen, sondern mit sympathischer Herkunftsgeschichte vom Erzeuger per Handschlag verteilt werden. Man trinkt nicht nur Bionade, man trinkt die Story des armen Brauers, dem eines Nachts die zündende Idee kam. Man trägt nicht nur T-Shirt, sondern kann von seinen fairen Produktionsbedingungen in Los Angeles erzählen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mustergültig verfeinert die britische Marke innocent die Strategie des Kumpel-Konsums. Ihre Produkte sind Smoothies, die auf dem deutschen Markt vor allem von Starbucks verkauft werden. Smoothies sind dickflüssige Obstrülpser, die außer Grobheiten alles von der Frucht enthalten. Sie sind schlürfend zu verzehren und eignen dem Körper dabei eine außerordentliche Menge Tagesbedürfnisse an. Das macht Smoothies unter der Marketinglupe zu grundguten und vor allem jungen Produkten – denn Mutti und Omi bestreiten ihre Vitamin-C-Versorgung noch aus einer Oldschool-Obstschale. Diese junge Zielgruppe wird bei innocent nicht nur mit flotten Fläschchen angespitzt, sondern vom Produkt in einer seltsamen Mundart angesprochen: „Wir versprechen, dass wir niemals Konzentrate in unsere Smoothies mischen. Sonst kannst Du es unseren Müttern verraten.“ „Falls Mutti anruft, kannst du ihr versichern, dass Du heute schon Vitamine getankt hast.“ „Diese Flasche besteht aus 50% recycletem Plastik. Am Rest arbeiten wir noch.“ „Ist Dir langweilig? Dann ruf uns auf dem Bananafon an“ Das Etikett klingt, als würde man mit dem Smoothie-Produzent im Sandkasten sitzen. Der Unterschied zwischen Kumpel und Kleinkind ist beim deutschen Auftritt von innocent offenbar lost in translation. Wenn man auf dem Bananafon anruft, meldet sich keine Bandansage, sondern eine junge Dame der „innocent GmbH Hamburg“. Man ist beim Hersteller des Obstschlürfs gelandet, ohne Warteschleife und Callcenter. Jeder bis rauf zum Chef müsse ans Telefon gehen, erfährt man und so komme es, dass die Smoothie-Belegschaft während der Arbeit mit Schülern quatscht, die im Starbucks aufs Abi lernen. Man duzt sich dann und redet, „meistens übers Weggehen in Hamburg oder über Musik.“ Kumpel-Konsum in Perfektion. In Großbritannien hat ihre aufdringliche Ehrlichkeit der Firma „innocent“ zur Marktführerschaft verholfen und Menschen davon überzeugt, drei Euro für 250 ml Fruchtmix auszugeben. Kein Wunder, dass andere Smoothies-Hersteller diesen Habit kopieren und gemeinsam mit „innocent“ in einen argen Duz-Wettbewerb um den deutschen Experimentalkäufer treten. Die „Ehrlich trinken Gmbh“aus Mindelheim etwa, produziert dieselben netten Fläschchen in denen ähnliche Smoothie-Mixturen schwappen. Den Kumpel-Faktor hofft man dabei mit Tiermotiven zu erfüllen, die den Getränken ihre Namen geben. Sie heißen „Murmeltier“ und „Mops“, „Reh“ und „Schmetterling“. Lobenswert unkonventionell, aber so künstlich, dass die ganze Natürlichkeit des Schlürfs auf der Kippe steht. Dazu kommen grammatikalisch und überhaupt mühsame Produkt-Erklärungen, wie zum Beispiel: DAS MURMELTIER Mit seinen ehrlichen Backen schaut unser Freund frech in die Welt. Verspielt und unbekümmert scheint stets zu Scherzen aufgelegt. Frei nach dem Motto "täglich grüßt das Murmeltier", kann man diesem aufgeweckten Kerlchen einfach nicht widerstehen. Genau wie unser Trinkobst. 100% Pure Frucht. Das ist unser ehrliches Versprechen. Da klopft der Wahnsinn an. Das Produkt verkommt zur Pointe eines unverständlichen Schwurbels. Ähnlich verstolpert sich die FruitRules GmbH aus Hamburg, beim Versuch, ihren Smoothies die nötige Chuzpe zu verpassen. Unter den zehn FruitRules, die auf der Website zu lesen sind, stehen neben „Es lebe die Frucht“, auch Regeln wie „Steh zu deinem Zweitnamen“. In der menschelnden Business-Rubrik Über uns ist nur zu erfahren, dass Dirk, Lutz, Julia und Alex die Firma leiten und bei den FAQ's kriegt man sich vor lauter Gaga nicht mehr ein, wenn dem Verbraucher die Frage „Macht euer Erdbeer/Bananen-Smoothie schwanger?“ in den Mund gelegt wird. Dazu auch hier: massives Ehrlichkeits-Mantra und statt eines Bananafons die Aufforderung, einen Bananendampfer zu bauen. Noch ist das alles nicht so richtig schlimm. Noch ist die harmlose Gutmenschenlichkeit der Indie-Smoothies allemal interessanter, als die massiven Werbekampagnen von Schwartau und Knorr, die für ihre Smoothies, wie gewohnt von "…cremig-feinem Fruchtgenuss aus bestem Obst" sprechen. Noch sind Smoothies mit ihrem lockeren Mundwerk recht allein im Lebensmittelregal. Aber es steht zu befürchten, dass sich die Konzerne bald flächendeckend den Kumpel-Konsum aneignen, der sich dann in Form einer Duz-Flutwelle aus klebriger Jugendlichkeit über uns ergießt.

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