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Das coole Comeback der Zahnspange
Vier Schuldistrikte haben die Notbremse gezogen: Mit Beginn des neuen Schuljahres ist das Tragen von Mundjuwelen in Nordost-Texas im Unterricht und Pausenhof verboten. „Es fing an“, begründet ein Mitglied der Schulbehörde das Verbot, „zu einem Wettbewerb auszuarten: Wer kann mit dem größten Grill zur Schule kommen?“ Das Funkeln aus den Mundhöhlen habe vom Unterrichtsstoff abgelenkt. Doch was hat es mit dem HipHop-Schmuck auf sich, dessen Name ältere Semester bestenfalls an Steakbratgeräte erinnert? Und wie konnte eine milliardenschwere Modewelle daraus werden? Wer heute über „grills“ spricht, meint diamantverzierten Zahnüberzüge, die einem von Zeitschriftencovers, aus HipHop-Videos und Juwelierläden entgegenstrahlen. Kein Tag, an dem nicht ein neuer Superstar seine Edelmetallbeisser in die Kamera hält. HipHop-Unternehmer wie P. Diddy, der R’nB-Sänger Usher und selbst Kanye West tragen ihr Image inzwischen bevorzugt auf den Zähnen. Immer mehr Jungunternehmer, Schauspieler und Sportler leisten sich ein diamantenes Lächeln. Letzte Mode-Opfer: Profi-Wrestler Hulk Hogan, Marilyn Manson, Johnny Depp, Madonna und die Tennisschwestern Venus und Serena Williams.
Weisheitszähne raus, Grills rein. (Foto:ap) „I put my money where my mouth is“, hatte US-HipHop-Star Nelly letztes Jahr auf seinem Nummer-Eins-Hit „Grillz“ gereimt. „30 Riesen unten, 30 weitere Riesen oben . . .“ 60 000 Dollar also für einen goldenen, mit Diamanten besetzten Zahnüberzug? Seitdem sind Grills in jedermanns Mundhöhle, stürmen die Fans die Juwelierläden: Auf der Suche nach ein bisschen Extra-Glamour. Einer gefühlten Nähe zum Erfolg der Millionen-schweren HipHop-Stars. Und dem dentalen Beweis, „nicht mehr pleite zu sein“. „Ich hab was übrig für gangsta grillz", singt etwa die Houstoner R’nB-Sängerin Le Toya auf ihrem aktuellen Charttopper „Gangsta Grillz“: „Oberleiste, Unterleiste, wie wenn du mit den großen Scheinen um dich wirfst . . .“ Der 75 Dollar Grill Auf Grills spezialisierte Schmuck-Geschäfte sprießen inzwischen in den Einkaufszentren jeder größeren amerikanischen Stadt. Nur sechs Stunden dauert es im Idealfall vom medizinischen Zahnabdruck zur goldenen Prothese. Einsteigermodelle kosten ab 75 Euro: Dafür kann man etwa im Internet einen über sechs Zähne reichenden und aus vergoldetem Edelmetall, Zirkoniasteinen und Silikon gefertigten „Paul Wall Iced Gold Red“- Grill erwerben – mitsamt der Mahnung, das Teil doch bitte beim Sport, Schlafen, Essen und Kaugummikauen aus dem Mund zu nehmen und „niemals Menschen oder Tiere damit zu beißen.“ Auch amerikanische Zahnärzte haben eigene Grill-Websites eingerichtet: Sie warnen vor Karies durch Essensreste, Billigmetall-Allergien und einer bisweilen äußerst schmerzhaften Anpassungsprozedur. Doch was zählt das schon gegen den Beweis, endlich dazuzugehören? Dabei verhält es sich mit den Grills, im HipHop-Jargon „Grillz“ genannt, wie mit Bodybuilding, Piercingringen und Tattoos. Sie kamen einst aus der Unterschicht, galten als Domäne von Zuhältern, Schaustellern, Matrosen. Bis das Bürgertum sie als Insignien einer verlorengegangenen Körperlichkeit entdeckte, so dass heute selbst Biedermänner abends im Fitness-Studio stolz ihre Tribal Tattoos entblößen. Alles nur Auswuchs eines spätkapitalistischen Narzissmus-Wahns? Grills bedeuten mehr. Im rauen Klima des Ghettos symbolisieren die Schmuckleisten eine quasi-magische Rüstung – und den Willen sich über alle Widrigkeiten hinweg als Individuum in Szene zu setzen. Nicht zufällig waren es Rapper aus den ärmsten Vierteln von New Orleans, die Bling Bling zur internationalen Modewelle machten. „Es ist im Süden Tradition, sich Goldzähne machen zu lassen“, erklärt etwa Rapper Juvenile. „Vater, Onkel, Opa: Sie haben es alle im Mund. Ursprünglich war es ein Zeichen der Armut, ein Behelfsmittel, weil man sich keinen Zahnarztbesuch leisten kann. Bis die Hustler, Zuhälter und Gangster daraus ein Symbol des Respekts machten.“
Beiß dich reich! Bei den Modeschauen in New York trugen Models auch ihren Zahnschmuck zur Schau (Foto: Reuters) Bling-Bling, die Faszination der HipHop-Kultur mit teuerstem Schmuck, zieht seit jeher ihre Inspiration aus der Zuhälter-Kultur. Stichwort Pimp Culture: Die romantische Figur des Zuhälters feiert gerade eine Rennaissance im schwarzen Pop. Nicht zufällig, so glaubt der afroamerikanische Kulturkritiker Robin D. G. Kelley, taucht der mythologische Pimp immer dann als Identifikationsfigur auf, wenn das schwarze männliche Amerika in der Krise steckt. Im Ghetto bietet er oft das einzig sichtbare Vorbild für materiellen Erfolg und Selbstbestimmung. Rapper Slick Rick eiferte einem Pimp in der Nachbarschaft nach, als er sich 1986 einen dreikarätigen Rubin in seinen Goldzahn einsetzen ließ. Damals erreichte die Schmuckorgie im HipHop ihren Höhepunkt: Schiffstau-dicke Goldketten, Diamanten-besetzte Augenklappen, Vierfinger-Namensringe und Goldmedaillons so groß wie Faxgeräte gehörten plötzlich dazu wie Kangol-Mützen und Adidas-Sneaker. LL Cool J, Eric B & Rakim, Big Daddy Kane, Run DMC und der Wu-Tang Clan folgten der Goldspur, nahmen das Gewicht ihres Edelmetall-Schmucks als Beweis ihres persönlichen Rangs. Read my lips Slick Rick konnte kaum ahnen, dass sein Gebiss 20 Jahre später als Bescheidenheit durchgehen würde. Seit dem Aufstieg von Südstaaten-Rappern wie Master P und Lil’ Jon in den späten 90er Jahren scheint die Diamanten-verzierte Schneidezahnpartie als Erfolgsausweis beinahe zwingend. Einige Stars sind inzwischen gar bekannter für ihren Zahnschmuck denn für ihre Reimkünste. Etwa Paul Wall. Der weiße HipHopper aus Houston –typischer Rap „Mein Mund glitzert wie eine Discokugel“ – betreibt nicht nur in seiner Heimatstadt ein Geschäft für exklusive Zahnüberzüge, sondern vertreibt diese auch weltweit per Internet. Sie kosten zwischen 50 und 50 000 Dollar und hören auf so phantasievolle Namen wie „Read My Lips“, „Money In Your Mouth“, „King Of The South“, „Iceman“ oder „Count Ice-Ula“. „Speziell für die Damenwelt“ bietet Wall auch Modelle mit rosa-farbenen Steinen, etwa „Disco Ball“ und „Sno Cone“ an. Und für 10 000 Dollar Aufpreis kann man sich gar eine Landesflagge aus Edelsteinen setzen lassen. Oder den eigenen Namen aufblitzen lassen. In einem Milieu, in dem der Schein das Sein bestimmt, garantiert das Authentizität: Ketten man kann zur Not ausleihen, Gebisse nicht. Und dann erst der Diebstahlsschutz! „Ich habe meine Grills nicht mal versichert“, prahlt der Rapper Baby. „Weil mir der Typ, der sie klauen will, erst einmal den Kopf abreißen müsste.“ Doch was sagen die HipHop-Alternativen, die einst Ledermedaillons statt Goldketten propagierten? Hatten gesellschaftlich engagierte Rapper wie De La Soul, A Tribe Called Quest oder KRS-One nicht einst versucht via Ledermedaillons, Perlenketten und Beduinenkleider die HipHop-Couture an das afrikanische „Mutterland“ und eine schwarze „Natürlichkeit“ zurückzubinden? „Wir Schwarzen tun eine Menge, um gesehen zu werden und den mangelnden Respekt, der unserer Hautfarbe entgegengebracht wird, zu kompensieren„, hat Chuck D erst kürzlich erklärt. „Wenn wir nur endlich einsehen würden, dass Juwelen nicht das wertvollste sind: Schwarze Haut ist der wahre Bling des neuen Jahrtausends.“ Kanye West und Talib Kweli klingen da schon realistischer: Grillz sind okay, lautet ihre Message. „Aber bitte keine Diamanten aus Konfliktgebieten!“ Die Schüler mit ihren Zirkonia-besetzten Spangen wird es kaum jucken.