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Chicks on Speed

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An den Zäunen der Rennstrecke neben der Al Istiqlal Universität im palästinensischen Jericho drängen sich verschwitzte Körper aneinander – aber Frauen sind in der Zuschauermenge kaum zu sehen. Es ist heiß, und die Luft ist erfüllt von Benzin und Testosteron. Doch das interessiert die vier junge Frauen nicht, die gelassen zwischen den Männern stehen. Sie tragen Rennanzüge, warten darauf, Gas zu geben. Hinten auf ihren Overalls prangt ein Schriftzug: „Speed Sisters“. So nennen sich die vier Palästinenserinnen, die ein gemeinsamer Traum zusammengeführt hat: Professionelle Rennfahrerinnen zu werden, am besten irgendwann in der Formel 1. Dieser Ansporn hat die Vier im Nahen Osten berühmt gemacht – wenn auch nicht unbedingt beliebt.

„Wir leben hier in einer patriarchalischen Gesellschaft“, erzählt Marah Zahalka, blauer Overall, über den Motorenlärm hinweg. Sie ist mit 21 Jahren die jüngste Pilotin der Speed Sisters. „Mädchen gehören hier an die Seite ihres Ehemanns, nicht auf die Rennstrecke.“ Doch was andere von ihr halten, hat Marah nie sonderlich interessiert. Das erste Mal saß sie bereits als junges Mädchen hinter dem Steuer. Sie stahl regelmäßig das Auto ihrer Eltern, um damit Spritztouren in der Nähe des Flüchtlingslagers von Jenin zu unternehmen, in dem sie aufgewachsen ist. Ihre Eltern, beide Fahrlehrer, erkannten ihr Talent und haben Marahs Leidenschaft von Anfang an unterstützt. Mit 18 konnte sie endlich den lang ersehnten Führerschein machen. Er bedeutete vor allem eins: Freiheit. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Speed Sister Betty

Und Befreiung. Von den konservativen Regeln der palästinensischen Gesellschaft, aber auch von der israelischen Besatzung. Im Westjordanland kontrolliert das Militär die meisten Straßen. So dauert eine vermeintlich kurze Fahrt von einem Dorf ins nächste oft mehrere Stunden, weil die Insassen Durchsuchungen am Checkpoint über sich ergehen lassen müssen. So schnell zu fahren, wie man will, ist deswegen der Inbegriff von Freiheit. „Und es ist meine Art des Widerstands“, sagt Marah. Deshalb stört sie der schwere Helm nicht, nicht der dicke Anzug bei 30 Grad Hitze an diesem Freitag im Oktober, nicht der enge Gurt. Der Wettbewerb wird von der Palästinensischen Motorsport und Motorrad-Föderation organisiert. Dabei fahren die Teilnehmer nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Gegen die Zeit. 

  Doch als Marah an der Reihe ist, gibt es Probleme. Ihr Auto startet nicht. Marahs Vater versucht, die Ursache zu finden, aber auf die Schnelle lässt sich der Schaden nicht beheben. Die Rennfahrerin beginnt zu weinen und versteckt sich hinter ihrem Wagen. Die anderen Teilnehmer, vor allem die Männer, sollen sie jetzt nicht sehen. Dass immerhin ihre Kolleginnen mitfahren können, tröstet sie kaum. Denn die Mädchen sind zwar ein Team, aber auch Konkurrentinnen.
  Anstelle von Marah darf also Noor Daoud, 23, ihre Runde starten. Zeit für die Sentimentalitäten ihrer Freundin hat sie jetzt nicht. Zu wichtig ist ihr der Rennsport. Zu lange hat sie sich gegen das Unverständnis ihrer Familie durchgesetzt. Jetzt aus Solidarität nicht mitzufahren, ist für Noor keine Option. Die schwarzen Locken verschwinden unter einem Helm, konzentriert schaut sie aus der Windschutzscheibe, die Fotografen um sie herum beachtet sie nicht. 

  Als sie über die Ziellinie fährt, drehen die Reifen ihres weißen BMW durch. Die Menge johlt, während aus den Lautsprechern Chartmusik dröhnt. Noor manövriert das Auto zwischen den roten Hütchen hindurch, fehlerfrei. „Unter zwei Minuten“, sagt sie, als sie wenig später aus dem Auto steigt. Sie lächelt zufrieden. Eine gute Zeit. Besser als die der anderen Speed Sisters. Trotz des Neids, der gelegentlich unter ihnen ausbricht, haben sie Vorteile davon, ein Team zu sein. Denn obwohl es noch mehr arabische Frauen gibt, die Motorsport betreiben, hat keine jemals so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie die vier Palästinenserinnen. Reporter erscheinen zu den Rennen ihretwegen, ein Kamerateam begleitet sie seit Monaten, 2013 soll der Dokumentarfilm über die Speed Sisters erscheinen. Mona Ennab, 26, ist am längsten bei den Speed Sisters dabei und kann die Faszination der Medien verstehen: „Vier Frauen in Overalls fahren mit hoher Geschwindigkeit, das ist natürlich erotisch.“

  Es war das Britische Konsulat in Jerusalem, das die Pilotinnen zusammengeführt und ermutigt hat, sich als Team zusammenzuschließen. Es sponserte Fahrstunden und einen Rennwagen, seitdem fahren die Frauen regelmäßig bei Wettbewerben im Westjordanland und in Jordanien. Allerdings hat es eine Weile gedauert, bis sie von ihren männlichen Kollegen akzeptiert wurden. „Dieses Geschäft ist voll von Machos, anfangs wollten viele Männer nicht gegen uns antreten“, erzählt Noor. „Doch jetzt haben sie gesehen, dass wir Profis sind, sie respektieren uns.“

Noor ist ehrgeizig, letztes Jahr hat sie sogar an einem Autorennen in Israel teilgenommen und den dritten Platz belegt. Im Gegensatz zu ihren Kolleginnen kann Noor Rennen in Israel fahren, weil sie in Jerusalem geboren wurde und daher die israelische Staatsbürgerschaft besitzt. Für die anderen Speed Sisters ist das nicht möglich. Palästinenser aus dem Westjordanland dürfen meist nicht nach Israel. Das frustriert Betty Saadeh, mit ihren 31 Jahren ist die üppige Blondine derzeit das älteste Mitglied der Speed Sisters. „Ich habe Fans auf der ganzen Welt, auch in Israel. Aber ich kann nicht zu ihnen und sie können nicht zu meinen Rennen kommen, weil es ihnen nicht erlaubt ist, nach Palästina einzureisen“, beklagt sie sich. Konkurrenz, Besatzung, Patriarchat: Die Frauen stehen vor vielen Herausforderungen. Momentan verdienen sie auch noch nicht genug, um mit dem Motorsport ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Trotzdem hoffen sie darauf, sich irgendwann professionell fürs Rennfahren zu engagieren oder an hochkarätigen Wettbewerben teilzunehmen. 

  An diesem Tag reicht es zwar für keine der Speed Sisters zum Sieg, aber Noor schafft es immerhin in die Top Ten. Grund genug für ihre Kollegin Mona, am Ende des Tages noch mal grinsend über die Zukunft zu sinnieren: „Heute ist es noch Jericho. Aber warum nicht bald auch Le Mans oder Dakar?“

Text: theresa-breuer - Fotos: Breuer

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