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Bonbon aus Fleisch

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Seit geraumer Zeit scheint der junge Großstädter, obwohl ihm Schützenvereine fremd sind, den Witz uriger Jägeridylle entdeckt zu haben. Hübsche Milchbubis lassen sich – ganz ironisch, versteht sich – imposante Schnauzbärte als Gesichtsaccessoire wachsen, Mädchen hängen sich Eulenanhänger um den Hals oder Fuchsschwänze an die Tasche, und abends treffen sich alle in einer schummrigen Bar, über deren Theke Hirschgeweihe vom Flohmarkt angebracht sind. In derselben Liga spielt die Wurst, eigentlich das kulinarische Aushängeschild Deutschlands, aber irgendwie auch das Zeug, das in Galileo-Sendungen von Menschen in Plastikoveralls durch monströse Maschinenanlagen gejagt wird. Das sieht manchmal gruslig, manchmal einfach nur lustig aus.

Allein das Aussprechen des drolligen Wortes (wichtig: immer das „r“ rollen) scheint zuverlässig für allgemeine Heiterkeit zu sorgen. Nur eine Silbe hat es, die einem zähen Teig gleicht, den man aus dem Mund quetscht wie Zahnpasta aus der Tube. Bisweilen nimmt die Faszination für die Wurst auch seltsame Gestalt an. Tausende von Menschen beantworten auf Facebook die absurde Frage „Welche Art von Gesichtswurst bist du?“. wurstblog.de befasst sich monothematisch mit Wurst-Humor und für ein paar hundert Euro kann man sich bei einem Kölner Designbüro maßgeknüpfte Wollteppiche in Form von Salami, Bierschinken und Mortadella bestellen. Die Form entbehrt ja nicht einer gewissen Komik. Helge Schneider, der Urvater des Wurst-Humors, wusste die Damen mit seinem „Bonbon aus Wurst“ zu beglücken. Selbst spaßbefreite Vegetarier scheinen auf phallische Lebensmittel mit zwei Zipfeln am Ende nicht verzichten zu wollen, da die Existenzberechtigung von Wienersubstituten aus Soja sonst eher schwer vermittelbar ist. Vielleicht kann das Gelache über ein traditionsreiches Metzgerprodukt als weiterer Ausdruck davon gesehen werden, wie gern wir gedanklich in unserem Kindheitsfundus kramen. Auf Geburtstagen eierte man mit einem Küchentuch um den Kopf blind unter einer Schnur herum. Wer mit dem Mund von der „Mini-Wini-Würstchenkette“ die meisten Trophäen schnappte, war Held des Nachmittags. Wer später für ein Semester ins Ausland geht, dem wird sie vielleicht sogar von Oma per DHL nachgeschickt. Ansonsten sind die echten Wurstmomente selten geworden. Wir haben insgeheim eine leichte Aversion gegen das Lebensmittel entwickelt, dessen Name als Synonym für geschwollene Finger oder schlimm verschnupfte Zeitgenossen steht („Arme Wurst!“). Viel lieber haben wir Namen wie Salsicce oder Chorizo. Das klingt weniger nach Bahnhofsimbiss und mehr nach Designermöbelwohnung. In so einer Umgebung ist die Wurst dann leider gezwungen, als Ostfriesenwitz für Erwin Wurm-Fans weiter zu existieren. Und wenn wir beim Sommergrillen dann doch wieder fünf Käsekrainer essen, ist sie plötzlich Anlass für eine ausgewachsene Debatte. Denn dann ruft die Wurst den Spielverderber auf den Plan, der fragt: „Wisst ihr überhaupt, was da alles drin ist?“ Sie hat’s nicht leicht mit uns, die Wurst.

Text: xifan-yang - Montage: Franziska Hartmann

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