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Bist Du alleine hier? Das passiert, wenn du solo weggehst

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Alleine geht man in die Natur, auf die Toilette und manchmal auch ins Kino. Wer aber ohne Begleitung eine Bar oder einen Club besucht, hat entweder keine Freunde oder ist ein bisschen eigen (und das eine, glaubt man, hängt bestimmt mit dem anderen zusammen). Und so ist die Stadt nachts bevölkert von kleinen Gruppen, Cliquen, Freunden und Pärchen. Einsam sind viele, alleine fast niemand. Vielleicht erlebt man aber gerade dann mehr, wenn die sichere Schutzmauer aus Freunden plötzlich nicht mehr da ist und man gezwungen ist, aus sich herauszugehen. Vielleicht trifft man die wirklich interessanten Menschen erst dann, wenn man auf sie achtet. Vielleicht muss man, um auf sie zu achten, allein sein. Denn dann konzentriert sich die eigene Aufmerksamkeit nicht mehr auf die alten Freunde, sondern auf all die neuen Menschen, die in dieser Nacht unterwegs sind. Vielleicht. Vielleicht wird es aber auch einfach nur stinklangweilig. jetzt.muenchen hat fünf Autoren alleine in das Nachtleben der Stadt geschickt. 1. Am Ende kommt Verena – Solo-Kneipentour

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Noch weiß ich es nicht, aber ich treffe heute nacht Tina. Und Verena. Und all diese Menschen, mit denen man in einer normalen Freitagnacht zu reden beginnt, und deren Namen man am nächsten Morgen nicht mehr weiß. Aber das ist keine normale Freitagnacht. Ich stehe in der Favorit-Bar, um mich herum Zweiergruppen, Dreiergruppen, Vierergruppen, aber das fällt einem erst auf, wenn man selbst keine Gruppe ist. Oder seine eigene. Jawoll, sage ich mir, die erste Runde geht auf mich, und hole mir ein Bier. Daheim war ich noch euphorisiert. Ich bin etwas länger vor dem Spiegel gestanden, als müsste ich mich besonders vorbereiten auf das, was heute kommt. Nein, man ist doch nicht allein, an einer Freitagnacht, dachte ich. „We! Are! Your! Friends! You'll never be lonely again!“, ist das nicht das große Versprechen des Weggehens, jedes Wochenende tausendfach in die Nacht gebrüllt? Noch ein Bier. Ich stehe neben dem DJ-Pult, belausche Wortfetzen, beobachte Menschen und etwas hallt mit der Musik durch den Raum: Der Gedanke, dass heute, hier und jetzt, prinzipiell alles möglich ist. Die große Liebe? Einen Kater? Noch weiß niemand, wo diese Nacht enden wird, was diese Nacht bringen wird. Ich stehe zwar herum wie bestellt und nicht abgeholt, aber diese Hoffnung, die wir hier alle teilen, macht es erträglich. Erstmal bringt die Nacht Tina. Ehrlich gesagt, wusste ich gar nicht mehr, dass sie so heißt. Wir kennen uns flüchtig, gemeinsame Bekannte. Wir stellen fest, dass man in München gar nicht weggehen kann, ohne dann doch jemanden zu treffen, den man kennt. Ist doch gar nicht so schlimm, denke ich. Zwei Bier später ist es schlimm. Ich sitze im K&K-Club, starre auf die Leinwand, wo irgendwelche bunten Kreise vor sich hin drehen. Neben mir sitzen Menschen, die auch diese Kreise anschauen, und ich fühle mich einsam. Allein ist okay, einsam ist scheiße. Warum macht man das nur? Warum rennt man jedes Wochenende in die fünf gleichen Bars und in die drei gleichen Clubs, gibt zuviel Geld für Alkohol aus, dass man am nächsten Tag einen gestörten Flüssigkeitshaushalt hat, und macht es dann nächstes Wochenende wieder? Ach ja, man könnte Frauen kennen lernen und sich verlieben. Aber nicht, wenn man allein rumsitzt. Ich sage mir, dass Weggehen vielleicht eine der letzten Möglichkeiten ist, in der sich die durchfragmentierte Stadtbevölkerung wieder als Teil einer Masse fühlen kann. Fremde Menschen gehen wohin und machen etwas zusammen. Das ist natürlich eine Lüge, aber manchmal funktioniert es und dann hat man montags was zu erzählen. Ich bin wütend auf mich, weil ich mein Handy daheim gelassen habe. Wenn nichts mehr geht, geht man ins X-Cess. Ich verkrieche mich in einer Ecke und wünsche mich ins Bett. Und dann steht Verena neben mir und fällt mir um den Hals. Und die Nacht endet damit, dass wir zusammen mit zwei Transen selbst noch den Rausschmeißer-Song mittanzen. Am Ende der Nacht sind wir doch alle zusammen allein. Text: adrian-renner


2. Brüder im Geiste – allein im Biergarten Ohne Anstandsbegleitung Alkohol zu trinken, sieht eigentlich in den seltensten Fällen gut aus. Manche können das, ohne erbärmlich zu wirken: Jemand, der sich tief in der Nacht allein an einer Bar voll laufen lässt und nach außen hin seine Würde bewahrt - das wirkt zwar ein bisschen wie gescheiterte Existenz, aber eben auch ziemlich Rock’n’Roll. Am späten Nachmittag in den Biergarten am Chinesischen Turm zu gehen, ist, wie alleine in ein Café zu gehen – also vergleichsweise leicht über die Bühne zu bringen. Statt Latte Macciato bestellt man halt eine Maß Weißbier. In München darf man das. Das einzig Blöde an Bierbänken sind diese Face-To-Face-Situationen. Es fühlt sich deshalb etwas komisch an, als ich Platz an einem leeren langen Tisch nehme. Andererseits braucht man nicht so tun, als würde man zuhören. Und: Ich bin nicht die Einzige .Über den ganzen Biergarten verstreut entdecke ich eine beträchtlich große Anzahl älterer Männer, denen Bier scheinbar genug Gesellschaft ist. Mit ihnen verbünde ich mich innerlich. Es gibt absolut keine Beschäftigung. Das Handy liegt daheim, der Fußball-Sommer ist vorbei. Ich mag mich an etwas klammern, nicht nur an den Bierkrug. Die anderen, die keinen Menschen dabei haben, haben wenigstens ein Buch oder eine Zeitschrift. Meinen rettenden Strohhalm finde ich schließlich im Zigarettenautomaten. Sind 17 in einer Schachtel, ab jetzt rauche ich Kette. Drei Tische weiter langweilt sich ein hübscher Dalmatinerhund. Der Besitzer hat ihn angeleint. Wir schauen uns ganz tief in die Augen. Die Blaskapelle spielt den Defiliermarsch. Zwei Stunden später bemerke ich auf dem Weg zum Klo, dass meine Solidargemeinschaft, die älteren Herren, weg ist. Allesamt heim zur Familie oder zum Fernseher. Der Dalmatiner, auch weg. Um mich herum nur noch geselliges Beisammensitzen. Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt die ganze Sache irgendwie eine traurige Note anzunehmen. Ich hole Schweinshaxen mit Bratkartoffeln. Eine riesige Portion, locker genug für zwei. Egal, ich esse alles auf und gehe noch mal zum Bierausschank. Der Mann hinter der Theke sagt: „Du heute viel trinken, eh?“ Der kann doch gar nicht wissen, dass ich alleine da bin. Trotzdem lacht er mich aus. Text: xifan-yang
3. Das zweite Bier ist eine Ansage – allein im Stüberl

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Seit mehr als vier Jahren wohne ich in keine 20 Meter entfernt von „Bei Ingrid“, einem verrauchten 15 Quadratmeter-Stüberl. Nur zweimal war ich dort, beide Male sehr spät, sehr betrunken und mit sehr vielen Freunden. Sonst, wenn ich auf dem Weg in irgendeinen tollen Club an der offenen Tür vorbeigekommen bin, habe ich mich meist amüsiert über die immer gleichen Trinker, die dort einsam aber regelmäßig ihr Bier runterkippten. Arme Würstchen ohne Freunde, ohne Leben und wahrscheinlich sogar ohne Fernseher. Ich habe Freunde, ein Leben und einen Fernseher. Trotzdem sitze ich heute hier. Und eigentlich ist es gar nicht so übel. Am Tresen sitzt schon ein Pärchen, das eifrig Bier kippt und mit Ingrid, der stark blondierten Wirtin, schäkert. Alles wirkt intim, eine geschlossene Gesellschaft. Ich lächle ich in die Runde und setze mich an die Bar. Ingrid gibt mir ein Bier und der Rest der Gäste nickt mir zu. Das war’s. Keine Fragen, keine Witze, keine Reaktionen. Ingrid und das Pärchen reißen Witze und lachen dann sehr laut darüber. Ein paar sind tatsächlich ganz lustig und ich grinse freundlich. Vielleicht sollte ich auch etwas sagen, etwas Lustiges, aber ich traue mich nicht. Es ist, als ob ich in einem fremden Wohnzimmer bin. Mein erstes Bier trinke ich deshalb eilig aus. Dummerweise muss ich mich dadurch aber auch schneller entscheiden, denn noch könnte ich gehen, noch ist es nur ein unverfängliches Bier nach Feierabend oder um die Zeit bis zum Kino rumzubringen. Ein zweites Bier aber ist eine Ansage, klar und deutlich: Ich bin allein gekommen und das mit voller Absicht. Ich überlege kurz ob Ingrid mich hier überhaupt haben will, was sie sagt, wenn ich die zweite Halbe bestelle, ob dann die Fragen kommen, was ich hier will und ob ich keine Freunde habe. Eben das, was eigentlich ich dieanderen fragen will. Ingrid schiebt mir ein zweites Bier hin und geht dann Wiener mit Senf servieren. Das wars. Ich verwachse langsam mit der Bar. Mit der Zeit verschwindet das unangenehme Gefühl, nicht dazuzugehören. Das Publikum ist seit zwei Stunden gleich geblieben, ich kenne die Gesichter, lächle freundlich über die Späße. Ab und zu nickt mir jemand zu und Ingrid schenkt mir neues Bier ein. Die nächsten drei Stunden vergehen schnell, die Musik und die Gespräche rieseln an mir vorbei und ich starre in die Gegend. Bierdimpflig nennt man das, und eigentlich ist das ziemlich angenehm. Niemand will mit mir reden, die Gedanken gleiten dahin, ein bisschen so wie beim Zugfahren, wenn man ganz still aus dem Fenster schaut. Um halb zwei leere ich mein letztes Bier. Ich verabschiede mich und gehe über die Strasse, links um die Ecke, heim in mein Bett. Ich werde wieder alleine in ein Stüberl gehen. Dann aber nicht zu Ingrid. Da kennen mich ja jetzt zu viele Leute. Text: christoph-gurk


4. An mir liegt es nicht – alleine im Club Ich hab nicht wirklich Angst davor, ich kann eigentlich sehr gut allein sein, aber ich erwarte, dass diese Nacht unangenehm und unlustig wird. Daheim mit mir selbst Vorglühen ist ja noch ganz spaßig. Beim ersten Bier schaue ich fern, beim zweiten dreh ich die Musik auf, beim dritten veranstalte ich eine Modenschau im Wohnzimmer. Trotzdem ist es nicht dasselbe, es stellt sich keine Vorfreude aufs Weggehen ein, im Gegenteil. Am Liebsten würde ich einfach Zuhause bleiben. Da ist niemand, der anruft und sagt „du musst unbedingt noch kommen“ oder „wo bleibst du denn?“. Die warme Luft draußen euphorisiert mich, es riecht nach Abenteuer. Männer, die alleine an der Bar stehen, haben etwas Cooles, wie einsame Wölfe oder Hemingway. Frauen dagegen wirken irgendwie verzweifelt. Ich setze mich auf eine Couch. Ich inspiziere die paar Leute: Anscheinend tragen alle Mädchen heute Abend wadenlange Leggins und Jeansrock. Mit meinen 25 Jahren fühle ich mich hier wie eine Oma, alle im Club sind 19 oder 20. Ich mag diese Position des Betrachtenden nicht. Ich wäre lieber ein Teil der Menge, lieber mittendrin als nur dabei. Zwei Mädels lächeln mich mitleidig oder freundlich an, ich weiß es nicht. „Du hast doch Freunde die dich mögen, sie sind bloß nicht hier“, sage ich mir. Als ich auf die Uhr schaue sind gerade mal acht Minuten vergangen. Es kommen mehr Leute in den Club, und mir wird mein Alleinsein wurschtiger. Eigentlich ist es genauso, wie wenn man mit nicht so guten Freuden ausgeht, und die sich dann stundenlang mit jemand anderem unterhalten. Zum Reden wäre es ja eh zu laut. Schweigen ist besser als „Bist du öfter hier?“ und „Was machst du so?“. Irgendwann ist der Club voll. Meine Umgebung ist mir inzwischen egal, auf der Tanzfläche ist man sowieso alleine. Zum Schluss treffe ich ein Mädchen, mit dem ich vor zehn Jahren im Urlaub war. Sie meint, dass man in der Ersten Liga niemals angesprochen wird, weil hier alle viel zu cool seien. In diesem Moment klingt das unglaublich beruhigend: Es liegt nicht an mir. Text: theresa-steinel
5. Danke, Ann! Allein in einer Karaoke-Bar

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Mädchen, das neben mir auf der Bühne „Sultans of Swing“ singt, ist die einzige Person, mit der ich heute abend mehr als zwei Worte gewechselt habe. In der Hopfendolde tut sich nämlich ein Problem auf: Die rülpsenden Männer am Stammtisch, das Bier, die klirrenden Gläser, die miesen Boxen, die hüpfenden Teenager auf der Bühne und die Kellnerin, wie sie schreit, mit ihrem fleischigen Dekollete, das alles hat seinen eigenen Rhythmus, einen eigenen Beat, mit dem ich alleine nicht klarkomme. Wie wenn man den Takt eines Liedes nicht kapiert. Ich brauche dringend Hilfe. Den ersten Gin Tonic trinke ich sehr schnell und finde das hier alles auf einmal sehr lustig. Tatsächlich, ich grinse. Das muss irre aussehen. Was ich so lustig finde? Ich fühle mich auf einmal wie ein „Versteckte-Kamera“-Protagonist: Nicht ich bin das Opfer, ich verarsche die anderen. Ich bin mir zwar nicht ganz sicher, warum jemand eine „Versteckte Kamera“-Sequenz drehen sollte, bei der ich mich alleine an eine Bar setze und trinke, doch der „das ist alles von meiner Seite her gestellt und nicht echt“-Gedanke tut mir gut. Ich bin mittlerweile betrunken genug, um folgenden perfiden Plan in Angriff zu nehmen: Ich baggere ein Mädchen an, hoffe, sie mag mich und bitte sie um ein gemeinsames Lied. Ann ist Australierin, für eine Nacht in München und sehr nett. Sie ist laut, textsicher und ich liebe sie im Moment dafür. Das Singen auf der Bühne macht mir zu keinem Zeitpunkt Spaß, doch ohne Ann wäre es nicht auszuhalten. Noch nie habe ich mich bei einem Fremden nach so kurzer Zeit geborgen gefühlt habe. Ich glaube, es gibt eine Art Kommunikationsstau, auf den Menschen bei erstbester Gelegenheit mit emotionaler Entleerung reagieren. Liebe Ann, ich weiß nicht, ob ich im August tatsächlich mit Dir durch Frankreich reisen kann, aber auf jeden Fall ein herzliches Dankeschön für diesen Abend. Ohne Dich wäre es nicht gegangen. Text: Sascha-Chaimowicz

Text: philipp-mattheis - Illustrationen: Christoph Ohanian

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