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Bill Kaulitz im Gespräch: „Ich will nie wieder um 5.30 Uhr aufstehen“

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Bill Kaulitz setzt sich, nimmt eine Tasse Kaffee und fläzt auf dem Sofa eines Hamburger Hotels, ein Kissen unter den Arm geklemmt. Der Sänger von Tokio Hotel sieht aus, wie man ihn kennt. Ringel-Kapuzen-Pulli, Cowboystiefel, Jeans mit Nietengürtel, schwarze Löwenmähne. Er sprudelt, es ist das erste Gespräch des Tages. Wenn er antwortet, nutzt er Füllwörter wie „irgendwie“, „so“, „halt“, „schon“ und „total“ – aus dem Interview sind die meisten gekürzt. Er ist ein Junge, aber manches, was er sagt, klingt sehr erwachsen. Zu erwachsen? Am 1. September wird Bill 18 Jahre alt. jetzt.de: Hast du gerade viel Stress? Bill: Wir haben viele Termine, aber wir kommen aus dem Urlaub und deshalb ... Wo wart ihr? Malediven! Stimmungsmäßig ein Gegensatz zu euren Songs, in denen es oft darum geht, die Welt zu überwinden. Obwohl die neue Single „Bis ans Ende der Welt“ eigentlich ein positiver Song ist. Wir erzählen, dass man keine Angst haben soll, aus seinem Alltag auszubrechen. Wie sah dein Alltag vor Tokio Hotel aus? Ich bin jeden Morgen um 5.30 Uhr aufgestanden – was für mich der Horror ist, mein Zwillingsbruder Tom und ich sind totale Langschläfer. Eine Stunde später fuhr der Bus zur Schule, dann acht Stunden Unterricht bis 15.30 Uhr und danach wieder mit dem Bus über alle Kleckerdörfer zurück nach Hause. Unser Dorf war immer das Letzte und irgendwann um halb fünf war ich endlich daheim; dann ging es gleich wieder los mit Lernen. Unsere Schule in Wolmirstedt war hart im Vergleich zu den Schulen in Magdeburg, die meine Freunde besucht haben. Ich wollte da unbedingt raus. Wann hast du die Schule verlassen? Drei Wochen war ich noch in der zehnten Klasse, dann wurden wir beurlaubt. Hast du noch Kontakt zu den Klassenkameraden? Mein bester Freund ging auch auf meine Schule. Wir telefonieren ständig. Was macht dein bester Freund heute? Er ist jetzt in der elften Klasse – das wäre ich ja auch – und macht nächstes Jahr sein Abitur. Er ist auch ein ziemlich durchgeknallter Vogel, (denkt nach), ich mag den total gern. Er will später was mit Computern machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tom und Bill Kaulitz. (Foto: ddp) Im Moment bist du ja, eigentlich, noch in der Schule; an der Web-Individualschule in Bochum. Etwa 35 Schüler werden von dort unterrichtet. Wie funktioniert das? Das ist wie Fern-Uni. Tom und ich kriegen Ordner, die wir abarbeiten müssen. Alles handschriftlich, damit sicher ist, dass wir es auch selber machen. Über E-Mails kriegen wir zusätzlich Aufgaben und Lernprogramme geschickt. Aber es geht schleppend voran, weil wir viel zu tun haben. Die „echte“ Schule kann zwar nervig sein, aber sie prägt auch. Man lernt sich in der Klasse kennen, hängt zusammen rum – fehlt dir das nicht? Nein, ich fand das schlimm. An meiner Schule hatte ich wenig Freunde. Ich kam morgens rein und war furchtbar schlecht gelaunt. Viele aber kamen nach den Ferien zurück und meinten: „Cool, jetzt sehe ich alle wieder!“ Ich hätte immer Sommerferien machen können und hatte sowieso nur Ärger mit den Lehrern. Warum? Tom und ich wurden in der siebten Klasse strafversetzt und auseinander genommen. Die Lehrer konnten nicht damit umgehen, dass wir immer eine klare Meinung hatten. Ich kannte außerdem sehr gut meine Rechte. Welche Rechte? Wenn eine Lehrerin in einem gewissen Zeitraum die Klassenarbeit nicht korrigiert und zurückgibt, dann verfallen die! So ’ne Sachen wusste ich und da gab es immer Ärger. Versuchen deine Eltern noch, dich zu erziehen? Streitet ihr? Ich habe mit meiner Mutter nur wenig gestritten. Sie hat uns so erzogen, dass wir früh selbständig waren. Sie hat auch nie Hausaufgaben mit mir gemacht. Und wenn ich doch ’ne schlechte Note hatte, bin ich nach Hause gekommen und sie hat mich in den Arm genommen und getröstet. Weil sie weiß, dass ich ehrgeizig bin. Ich bin Perfektionist. Schule hat mich angekotzt, aber ich wusste, dass ich das brauche. Seit zwei Jahren ein Superstar: Was sich seither für Bill Kaulitz geändert hat und warum er Handykameras verflucht - auf der nächsten Seite


Kannst du drei Dinge sagen, die du in den vergangenen Jahren gelernt hast? Verantwortung ist die größte Sache. Für andere Leute? Genau, aber auch für mich selber. Und Respekt, und: sich durchsetzen. Natürlich wollen dir alle Leute sagen, wie du es machen sollst: „Ach, wir sind schon 20 Jahre im Geschäft, wir wissen, wie der Hase läuft.“ Es fällt mir schwer, andere Meinungen anzunehmen. Warum weißt du so genau, was du willst? Weil es unsere Band vorher schon so lange gab. Gustav, Georg, Tom und ich haben uns früher alleine Auftritte besorgt, haben selbst unsere CDs beklebt und Poster aufgehängt. Ich wollte nicht, dass auf einmal wer kommt und sagt: „Das ist jetzt unsere Band. Jetzt seid ihr hier unter Vertrag und müsst alles machen, wie wir wollen.“ Ist es nicht ein seltsames Gefühl, mit 15 Jahren mit Erwachsenen zu verhandeln, die Geld mit euch verdienen wollen? Das war für uns ein großes Problem. Es kamen Sachen wie: „Ach, das sind doch noch Kinder und die wissen doch gar nicht, welche Entscheidungen man hier treffen muss!“ Dagegen habe ich mich von Anfang an richtig gewehrt. Und unsere Produzenten haben uns auch so kennen gelernt – wir haben ja zwei Jahre lang das erste Album produziert, bevor wir damit zu den Plattenfirmen gegangen sind. Sie haben den Plattenfirmen gesagt: „Die wollen das so.“ Was denn zum Beispiel? Vor allem den Style. Der war mir wichtig. Dass nicht jemand sagt, hm, ihr seid jetzt eine Boygroup und müsst alle das Gleiche anhaben oder alle weiße Hemden anziehen und schwarze Hosen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kaulitz mit Fans. (Foto: dpa) Wir haben mal gezählt, welche Stilrichtungen man in deinem Äußeren sehen kann: da ist Punk dabei, Rock, Wave, Manga, 80er Jahre mit David Bowie. Woher kommt dieser Mix? Ich habe immer angezogen, worauf ich Lust hatte, ich wollte damit nie was Bestimmtes sagen. Es entstand nach einer Halloween-Party, auf die ich als Vampir gegangen bin. Die schwarzen Fingernägel zum Beispiel fand ich total cool. Du bist zum Lautsprecher der Jugendlichen geworden, hast aber selbst keine Jugend mehr – du kannst nicht normal ausgehen, nichts ausprobieren … Das stimmt. Ich kann nicht einfach ins Kino gehen, wann ich will. Da gehört immer was dazu! Kapuze aufsetzen, ein bisschen verkleiden. Das ist schade. Und ich sehe meine Freunde und meine Familie nur wenig. Aber letztendlich kucke ich zurück und denke mir: Ich will nicht wieder um 5.30 Uhr aufstehen und zur Schule gehen! Handykameras haben dir das Leben nicht einfacher gemacht, oder? Manchmal verfluche ich diese Erfindung! Früher dachte ich, als ich die Stars über Paparazzi habe reden hören: „Die sollen sich mal nicht so haben!“ Aber wenn man das Leben selber führt, merkt man, wie anstrengend das sein kann. Diesen Paparazzi-Vögeln bin ich nicht gut gesonnen. Ich hasse die. Warum Tokio Hotel von den einen geliebt und von den anderen gehasst wird - weiter auf der nächsten Seite


Viele können mit Tokio Hotel nichts anfangen und sagen es auch. Ist es schwer, den Spott zu ertragen? Hm. Tommy und ich hatten das in der Schule schon immer. Wir sahen immer ein bisschen anders aus. Ich kam ja auch geschminkt in die Schule. Da konnten viele Lehrer nicht mit leben. Was die da im Lehrerzimmer erzählt haben, möchte ich nicht wissen. Ich hatte daran aber Spaß. Ich wollte, dass die Leute mich und die Band diskutieren. In den Clubs gab es schon damals „Buh“-Rufe. Aber das ist okay, ich möchte auch heute kein Publikum haben, das normal applaudiert. Bei uns klatschen die ja nie, bei uns schreien die immer. Ich finde das viel geiler! Warum polarisiert ihr so? Ich weiß es nicht so richtig. Es gibt Leute, die kommen extra zu Konzerten und machen sich T-Shirts und Poster mit Sprüchen wie „Fuck Tokio Hotel“. Ich finde es erstaunlich, dass die sich eine solche Arbeit machen, das muss man sich mal überlegen! Ich glaube, diese Reaktionen haben viel mit unserem Aussehen und unserem Alter zu tun. Ältere Jungs tun sich ja auch total schwer, jüngere Jungs als Vorbild zu nehmen. Was glaubst du, was du deinen Fans bedeutest? Was sehen die in dir? Manche leben richtig nach den Songs, denken sich Geschichten aus, schreiben Bücher. Ich habe mir auch immer angekuckt, was Nena in ihren Songs macht; ich habe überlegt, was sie wohl in dem Moment macht, wenn ich auf der Schulbank sitze. Mein bester Freund ist Ärzte-Fan und der macht das bei denen auch. Man muss ’ne bestimmte Zeit von was Fan sein und vielleicht ’ne Zeit lang danach leben. Das ist, glaube ich, wichtig, um seine Persönlichkeit zu finden. Weißt du, wer du bist? Ich bin ein Bauchtyp und sehr aufbrausend. Da komme ich nach meiner Mama. Tom ist, wie soll ich sagen, professioneller. Er kommt nach meinem Papa. Auch wenn wir ansonsten eineiige Zwillinge sind. Wir träumen sogar manchmal dasselbe. Eine Frage noch (von Peter): Ich habe Autogramme gesammelt und auch immer meine Unterschrift geübt – für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich mal welche geben muss … … ja, das habe ich auch! Hat sich deine Unterschrift verändert? Ja, ein bisschen. Erst habe ich immer so unterschrieben (Unterschrift 1). So. Und mittlerweile, weil das ja immer schnell gehen muss, ist das alles ineinander übergegangen und sieht jetzt so aus. (Unterschrift 2). Ich fand das total cool, mit so ’nem großen „B“ und habe das ganz oft geübt! Georg hat zum Beispiel ’ne total langweilige, der hat das nie geübt. Der schreibt wie mit Links, so Krikelkrakel. Ich wollte aber immer, dass das stylish aussieht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Unterschrift 1

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Unterschrift 2

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Illustration: Julia Schubert

Und so unterschreibt Georg - zumindest, wenn Bill Kaulitz es andeutet. Jetzt hast du ja schon einige Übung. Ja, aber das ist für einen Künstler auch ein ganz großer Punkt – wenn man zum ersten Mal ein Autogramm gibt. Am 23. Februar erscheint das neue Tokio Hotel-Album „Zimmer 483“. Das Interview führten: caroline-vonlowtzow und peter-wagner

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