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Bericht aus dem Abteil
Der Dezember ist traditionell der Bahnmonat, schon wegen der Reisefrequenz vor Weihnachten. In diesem Jahr sind die Fahrten aber ein wenig beschwerlicher, weil viele ICE noch gewartet und deshalb mit IC ersetzt werden. Wie ist gerade eigentlich das Verhältnis zwischen Bahnangestellten und Fahrgästen? Wir lassen jetzt.de-Leser zu Wort kommen (aus dem Tagesticker vom vergangenen Donnerstag) und haben außerdem eine junge Kundenbetreuerin im Nahverkehr und einen jungen Zugbegleiter im Fernverkehr gefragt, wie der Job im Moment so ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Yvonne*, 25, Kundenbetreuerin im Nahverkehr: Ich bin in Bayern in den Bummelbahnen unterwegs. Mal nach Füssen, mal nach Ulm, das ist so unterschiedlich wie die Schichten. Am meisten ist zwischen Augsburg und München los. Abends sind die Leute genervt von der Arbeit und ich bin es ja auch. Aber wenn um die Zeit etwas schief geht, kann ich auch nichts dafür. Viele schimpfen uns dann. Es gibt auch Leute, die auf den Stufen im Gang sitzen und einen nicht durchlassen, wenn sie sauer sind. Das ist ja irgendwie verständlich, wenn es voll ist, aber auch ärgerlich - ich kann nicht einfach Wagen dranhängen. Die meisten beschweren sich über die Verspätungen. Sie wissen nicht, dass die Reisenden selbst sehr häufig die Verspätungen verursachen - weil sie alle an einer Tür ein- und aussteigen wollen. Meistens ist das an der Tür zu den Auf- und Abgängen zur Unterführung im Bahnhof. In München, ein Sackbahnhof, laufen sie im Zug zur ersten Tür hinter der Lok - und müssen länger warten, um raus zu kommen.
Ich gehe generell mit einem Lächeln durch den Zug, aber leider grüßen die Leute nicht soviel. Die fühlen sich eher genervt, wenn ich komme. Ich würde mal sagen . . . gut 65 Prozent grüßen nicht. Zu Weihnachten hin ändert sich das. Da ist die Stimmung fröhlicher, die Leute fahren zu den Christkindlesmärkten.
eisengrau.jetzt.de: Ich habe vor 14 Tagen erst mit dem Zugfahren angefangen. Es ist weniger schlimm als ich dachte, aber der Nachteil zum Auto: Ich sitze einfach nicht gerne so eng mit anderen Leuten zusammen. Ich brauche meine Individualdistanz von 1,5 Meter. Außerdem stehe ich neuerdings vor dem Problem, dass man sich zweimal am Tag eine Stunde lang die Zeit verteiben muss. Als Autofahrer kannte ich das nicht. Es hat was Krisenhaftes, diese Leere im Leben . . .
Serdar*, 30, Zugbegleiter im Fernverkehr: Nächste Woche fahre ich an einem Tag von Hamburg nach Bremen, von Bremen nach Hamburg, von Hamburg nach Bremen, von Bremen nach Hamburg, von Hamburg nach Berlin und von Berlin am Abend wieder nach Hamburg.
kikuju.jetzt.de: Eines der Highlights war, als mein Regionalzug wirklich mal pünktlich war und dann 500 Meter vor dem Mannheimer Bahnhof einfach mitten auf der Strecke anhielt. Man sieht den Bahnhof und kann nichts machen. Nichts. Wir standen da so zehn Minuten und der Anschluss-ICE war natürlich weg. Da kommt keine Durchsage, keine Entschuldigung, da bekommst du keinen Kaffee für die zwei Stunden, die du dich nun auf dem Bahnhof rumdrücken musst. Nichts!
Yvonne: Neulich ist mir ein junger Kerl in Ohnmacht gefallen. Er hatte nichts gegessen und getrunken. Ich habe ausgerufen, ob ein Arzt im Zug sei und tatsächlich: Es war wieder ein Arzt im Zug. Es passiert ja häufiger, dass Leute in Ohnmacht fallen - vielleicht, weil es zu heiss ist? - und immer war ein Arzt in einem unserer sechs Wagen. Das ist schon wunderbar, dass das so klappt.
milagro.jetzt.de: Ich hasse im Zug: Kleinkinder, Schulklassen, dicke Platznachbarn, redselige Rentner, grölende Bundis, Möchtegern-Rapper, die den ganzen Waggon mit ihrer Musik beschallen und eigentlich alle, die sich neben mich setzen.
Yvonne: Man muss selbstbewusst durch den Zug gehen. Ich bin zwar klein und zierlich, denke aber, dass ich meinen Reisenden Sicherheit vermitteln kann - auch in der Nacht. Deswegen gehe ich auch, wenn ich mit der Kontrolle fertig bin, nochmal durch den Zug. Die sollen wissen, dass ich da bin.
butterflycaught.jetzt.de: Wer einmal Nürnberg Hauptbahnhof an einem Sonntagabend erlebt hat, weiß wieso Bayernticketfahren so lustig ist. Da geht es zu wie auf einem orientalischen Basar. "Fährt wer nach München?" - "Nee, aber die da drüben". Am Ende hat man eine lustige, bunt gemischte Bayernticketgruppe.
Serdar: Ich war vorher Lokführer und wollte in den Zugbegleitdienst, weil man dort mehr mit Menschen zu tun hat. Als Lokführer ist man schon sehr alleine.
Yvonne: Seit 1. April 2007 darf ich im Zug keine Fahrkarten mehr verkaufen. Trotzdem gibt es immer noch Leute, die mit mir diskutieren wollen, wenn sie keine Karten haben - weil man doch früher nachkaufen konnte. Ich muss sie aufschreiben, viele wollen aber ihren Ausweis nicht zeigen oder behaupten, sie hätten ihn nicht dabei. Spätestens wenn ich drohe, zum nächsten Halt die Polizei zu holen, haben sie ihn aber immer dabei.
aporia.jetzt.de: Die Zugbegleiter können wahrlich nichts für ihr Schicksal. Die habe ich in aller Regel als sehr freundlich und hilfsbereit erlebt. Die haben teilweise einen unerschütterlichen Humor, und sie bringen auch häufig eine sympathische regionale Prägung mit.
Yvonne: Ich denke, ich bin sowas wie der Blitzableiter für viele Reisende. Es gibt welche, die fangen an zu diskutieren, so bald ich komme - die haben nichts anderes vorgehabt als nicht verstehen zu wollen, warum wir zum Beispiel später losgefahren sind. Aber irgendwie schaffe ich es dann doch immer, nach einer Weile, die Luft aus den Leuten rauslassen.
puster.jetzt.de: Bei Verspätungen geben sich die Beteiligten heute mehr Mühe, Informationen aufzutreiben. Auch wenn das nicht in jedem Fall klappt, wird es wenigstens versucht. Es gibt definitiv eine Verbesserung, denn früher fühlte sich jeder Schaffner in seiner hoheitlichen Amtsausübung hochgradig gestört, wenn ihn der bahnfahrende Plebs mit Fragen nervte. Und da ich noch den alten Schlag Schaffner kennen und fürchten gelernt habe, bin ich zu den heutigen "Zugbegleitern" immer nett und höflich - schließlich sind sie es auch.
Yvonne: Die Arbeitszeiten sind halt schwierig. Oft muss ich arbeiten, wenn meine Freunde weggehen. Vergangenes Jahr musste ich an Heiligabend arbeiten, von Mittag bis 22 Uhr. Und es sind komischerweise um jede Uhrzeit noch verhältnismäßig viele Leute mitgefahren. Für mich selbst war es nicht so schlimm. Ich bin orthodox, da feiere ich erst einen Tag später Weihnachten.
Serdar: Man muss ganz klar eine psychologische Ader haben für den Beruf; man muss Feingefühl für Menschen haben, das haben vielleicht einige Leute nicht. Ich sage, auch wenn es platt klingt: Wie man in den Wald reinschreit, so schreit es heraus. Der Job als Zugbegleiter ist so, wie man selber ist.
*Namen auf Wunsch von der Redaktion geändert.
Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl