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Bei denen, die nichts zu verlieren haben
Wenn sein früheres Ich seinem heutigen begegnen würde – sie würden sich wohl kaum als dieselbe Person erkennen. „Er hätte mich wahrscheinlich gehasst.“ Das sagt der Lukas von heute über den von damals, und es klingt sehr nüchtern und abgeklärt, wenn er über die Zeit spricht. Jahrelang war Lukas in der rechten Szene, stieg zum Führungskader der NPD-Nachwuchsorganisation auf – bis er irgendwann rauswollte. Heute ist Lukas Anfang 20 und studiert Jura, fern der alten Heimat und den Kameraden von einst. Seit Deutschland über die Mordserie der Zwickauer Zelle und ein NPD-Verbot diskutiert, fragen sich viele: Wie wird einer zum Nazi? Woher kommt dieser Hass? Lukas’ Protokoll kann eine Antwort geben, wenn auch sicher keine endgültige. Ein paar Details haben wir verfremdet, auch der Name ist nicht sein richtiger. Seine Kommilitonen ahnen nichts von Lukas Vergangenheit.
Der Einstieg
Ich war elf oder zwölf Jahre alt und saß mit meiner Mutter im Auto, als sie mich bat, eine Kassette aus dem Handschuhfach zu holen. Ich habe sie eingelegt und plötzlich kam Rechtsrock aus dem Autoradio. Landser. Ich wusste gar nichts damit anzufangen. „Das ist die Musik, die ich früher gehört habe“, meinte meine Mutter.
Diese Autofahrt war wirklich ein Schlüsselerlebnis. Meine Mutter war öfter verheiratet und als nicht-eheliches Kind habe ich immer die zweite Geige gespielt. Es gab nie etwas, wofür ich sie begeistern konnte. Ob ich von der Schule mit einer Eins oder einer Sechs nach Hause gekommen bin, war ihr total wumpe. Und da im Auto habe ich gemerkt, dass es ihr gefällt, wenn ich mit ihr über rechte Sachen rede. Mit einem Mal hatte ich einen Draht zu ihr. Ich habe mir im Internet deswegen alles Mögliche über Hitler und das Dritte Reich durchgelesen und mich in rechten Chats rumgetrieben.
Mit der Zeit bekam ich Lust, wirklich etwas zu machen. Bei dem Hass, der auf diesen Seiten geschürt wird, will man irgendwann selbst etwas bewegen. Als ich von einer NPD-Demonstration bei mir in der Nähe las, habe ich denen sofort eine Mail geschrieben, ob mich nicht irgendjemand mitnehmen könnte. Die haben mich an eine Gruppe Autonomer Nationalisten weitervermittelt, sozusagen eine Nazi-Fahrgemeinschaft. Meine Mutter war total begeistert. Die hat sich richtig gefreut und mich zu der Autobahnauffahrt gebracht, wo wir uns verabredet hatten.
In der Szene
Auf der Demo habe ich einen Landesfunktionär der Jungen Nationaldemokraten kennen gelernt, der Jugendorganisation der NPD. Das war ein Kumpel von dem, mit dem ich gefahren bin. Und der hat mich direkt unter seine Fittiche genommen. Ein halbes Jahr später war ich selbst regionaler JN-Beauftragter.
Das klingt nach einem spektakulären Aufstieg. Aber es war wirklich überhaupt keine Riesennummer, in die Kaderstrukturen reinzukommen. Der Landesvorsitzende hat mir zum Beispiel Bücher mitgegeben. Die habe ich zwar nie gelesen, aber immer so getan, als hätte ich sie übelst studiert. Eine totale Farce eigentlich. Die finden es wahnsinnig toll, wenn man ihnen Honig um den Mund schmiert. Ich war 14, ich war überhaupt nicht besonders clever oder gerissen. Ich habe einfach nur nachgeplappert, was die hören wollten. Genau wie schon bei meiner Mutter.
Weil ich natürlich selbst keinen Führerschein hatte, mussten mich meine Mitglieder zu Schulungen fahren. Einmal bin ich zu einem ins Auto eingestiegen und da lag noch eine „McDonald’s“-Tüte auf dem Fußboden. „McDonald’s“ ist arg verpönt in der Szene, das sind ja die Amerikaner, der Feind. Ich habe so krass gemeckert, dass er angefangen hat zu weinen. Ich war 15 und konnte irgendwelche Älteren zusammenscheißen. Das war schon super, der totale Höhenflug. Meine Mutter hat nie was wertgeschätzt und mit einem Mal hatte ich richtig was zu sagen.
Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber die ganze Szene besteht aus lauter gescheiterten Existenzen. Bei jedem gab es irgendwann in der Kindheit oder Jugend ziemlich große Probleme. In meiner ganzen Karriere habe ich niemanden getroffen, bei dem ich gedacht hätte: Mensch, der kommt aus einem intakten Elternhaus, der hat sein Leben im Griff und ist wirklich aus Überzeugung bei uns. Alle haben irgendwann in ihrer Biografie einen kleinen Knacks bekommen.
Es ist traurig, aber wahr. Deswegen sind auch viele in der Szene so gewaltbereit. Man schlägt ja erst zu, wenn man nichts zu verlieren hat. Und es haben wirklich erschreckend viele nichts zu verlieren. Aus heutiger Sicht hatte ich Glück, dass ich so schnell Funktionär geworden bin. Als kleine Nummer muss man sich ständig beweisen. Wenn es mal knallt und man nicht zuschlägt, dann ist man raus aus der Sache. Wenn man in die Funktionärsebene kommt, ist das anders. Man soll ja größere Aufgaben übernehmen und seine Weste sauber halten. Ich musste mich also nicht durch Gewalt bei meinen Kameraden profilieren. Ich wüsste wirklich nicht, wie das ausgegangen wäre. Ich war jung, ich habe das genossen. Ich weiß nicht, ob ich in einer brenzligen Situation genug nachgedacht hätte.
Auf dem Gymnasium habe ich mir am Anfang, als ich noch enthusiastisch dabei war, Wortgefechte mit dem Geschichtslehrer geliefert. Aber mit der Zeit habe ich mich immer mehr als Außenseiter gefühlt. Ich bin dann abgegangen, auf die Realschule. Und so langsam habe ich wirklich Bammel gekriegt, wo das mit mir enden wird. Der Einsatz ist wirklich hoch. Mit etwas rechter Spinnerei kann man sich echt das ganze Leben versauen. Eines Tages hatte ich dann eine polizeiliche Hausdurchsuchung, weil ich an einem Wehrsportlager teilgenommen hatte, von dem später irgendwo Fotos aufgetaucht waren. Der Tatvorwurf lautete: „Bildung einer bewaffneten Bande“. Als ich das las, musste ich erst mal schlucken.
Einer der Beamten hatte nach der Hausdurchsuchung eine Karte von der Aussteigerhilfe dagelassen. Meine Mutter hatte auch Angst und meinte: „Pass auf, du meldest dich da und sagst, du willst raus. Wenn das Verfahren gelaufen ist, kannst du ja wieder mitmachen.“
Der Ausstieg
Der Ausstiegsbetreuer kam regelmäßig zu mir nach Hause und hat mit mir über verschiedene Sachen diskutiert. Zum Beispiel über die Preußischblau-Theorie, mit der die Nazis den Holocaust zu leugnen versuchen. An den Wänden der Gaskammern hätte sich angeblich ein blauer Farbton bilden müssen, wenn dort wirklich mit Zyklon B Menschen umgebracht worden wären. Und weil man dort kein Preußischblau gefunden hat, hätte es auch nie einen Holocaust gegeben. Das wird immer in der Szene erzählt und klingt schön wissenschaftlich. Von dem Ausstiegshelfer habe ich erfahren, dass die Gaskonzentration viel höher hätte sein müssen, damit sich diese Farbe bildet, aber dass schon eine geringe Menge ausreicht, um Menschen zu töten. Das waren lauter so kleine Aha-Erlebnisse für mich.
Meine Mutter hat irgendwann geahnt, dass ich tatsächlich aussteigen wollte. Da ging dann die Hölle los. Ich habe teilweise drei Tage nichts zu essen bekommen. Sie hat mich als Vaterlandsverräter und Wendehals beschimpft und meine jüngeren Geschwister extra mit Hitlergruß durch den Garten marschieren lassen.
Einmal sind nachts Leute aus der Szene aufgetaucht und haben vor unserem Haus randaliert. Es war wirklich ein Riesenglück, dass die Polizei so gut geholfen hat. Zwischenzeitlich hatte ich 24 Stunden am Tag einen Streifenwagen bei mir in der Einfahrt stehen. Ich habe mich damals wirklich bedroht gefühlt. Einer der Kameraden war zum Beispiel bei der Stadtreinigung, und immer, wenn ich jemanden mit dieser orangefarbenen Weste gesehen habe, habe ich es mit der Angst zu tun bekommen.
Das größte Problem aber war, dass ich dem Ausstiegshelfer nicht sagen konnte, dass ich über meine Mutter in die ganze Sache reingerutscht bin. Ich hatte einfach Angst, dass meine Geschwister ins Heim müssen, wenn das rauskommt. Das Problem hat sich dann auf eine etwas seltsame Art von selbst gelöst. Zwei Monate nach meinem 18. Geburtstag hat meine Mutter mich rausgeworfen. Ich wusste nicht, was los ist, habe erst einmal bei einem Kumpel gewohnt und mir dann eine WG gesucht. Ein paar Wochen später hat meine Mutter meine Geschwister zu deren leiblichen Vater gegeben und ist nach Venezuela durchgebrannt zu einem Typen, mit dem sie eine Liaison hatte. Seither habe ich nichts mehr von ihr gehört.
Text: bernd-kramer - Foto: dpa