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Barkeeper im Youth Hostel: Jonas ist Münchens erster Gastgeber

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Chantal und Maik tragen dasselbe Sportschuhmodell, haben sonst aber fast nichts gemeinsam: Sie kommt aus Frankreich, er aus Amerika, sie will nach Spanien, er nach Italien. Zwei Dinge aber haben die beiden zusammengebracht: Beide machen eine Rundreise durch Europa und beide sind mit dem Rucksack nach München gekommen. Jetzt spielen sie Monopoly. Rechts von Chantal und Maik sitzen vier Koreaner, die Bier trinken und im stummgeschalteten Flachbildfernseher eine Reportage über die möglichen Auswirkungen der Gesundheitsreform verfolgen. Ihnen gegenüber sitzt ein Engländer vor seinem Laptop und spricht vor sich hin, er telefoniert über „Skype“. Leise läuft im Hintergrund „Wonderwall“ von Oasis. Die besten Partys der Stadt Hier herrscht eine merkwürdige Stimmung: ein bißchen ist es wie in einem Kollegstufenzimmer, ein bißchen wie in einer Hotellounge. Und eigentlich ist es genau das – Chantal, Maik, die vier Koreaner und der Engländer befinden sich in der Bar des „Euro Youth Hotel“, des größten von drei Youth Hostels in der Senefelderstraße neben dem Münchner Hauptbahnhof.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Heute ist nicht viel los“, sagt Jonas, der Barkeeper, während er hinter dem Tresen steht und Weißbiergläser abtrocknet. „Aber manchmal sind hier die besten Partys der Stadt.“ Weil die Bar täglich bis vier Uhr morgens geöffnet hat, weil das Bier nur zwei Euro kostet, weil das Publikum aus der ganzen Welt stammt und ständig wechselt, kommen in die Bar des „Euro Youth Hotels“ außer den Backpackern auch immer häufiger Münchner, die sich warm trinken oder einfach nur feiern wollen. Außerdem, so heißt es, sind die Mädchen hier flirtwilliger. „Von meinem Vorgänger heißt es, er habe jeden Abend eine mitgenommen“, sagt Jonas. Er selbst hat eine feste Freundin. Nach der Schule hatte Jonas nicht den passenden Notenschnitt, um Medizin zu studieren. „Ein anderes Studienfach kam für mich aber nicht in Frage“, sagt er heute. Deshalb absolvierte Jonas eine Ausbildung zum Sportkaufmann, suchte Arbeit, hatte aber nur die unbefriedigende Aussicht auf einen Job als „Radlverkäufer bei Karstadt“, wie er sagt. Danach hat Jonas mehrere Jahre gejobbt: „Ich habe von Flyerverteilen bis zum Reiche-Saudis-im-BMW-Chauffieren in Anzug und Krawatte wirklich alles gemacht.“ Nebenher ist er immer wieder durch die Welt gereist: „Venezuela, Neuseeland und so weiter. Außerdem bin ich mindestens acht, neun Mal pro Jahr am Gardasee gewesen. Als Surfer kann man sich eigentlich nicht aussuchen, wohin man reist. Die Wetterstatistik bestimmt das Ziel.“ Heute – mit 29 Jahren – studiert Jonas, nach langer Wartezeit, im dritten Semester Medizin und arbeitet hinter der Bar des „Euro Youth Hotel“. In diesem Winter sind, im Unterschied zu den vorangegangenen, erstaunlich viele Gäste da: „Wir sind fast jedes Wochenende ausgebucht. Vor allem kommen Australier, Amerikaner und Asiaten.“ – „Triple A“ nennt man diese Gruppe unter Backpackern, in Anlehnung an die Anfangsbuchstaben ihrer Heimat. Diese „Triple A“-Touristen stellen den Großteil der Backpacker. Die meisten von ihnen bereisen auf ihrer Europa-Tour in vierzehn Tagen sechs oder sieben europäische Großstädte. „Barcelona, Rom, Paris, München, Prag, Amsterdam. Und das in zwei Wochen“, sagt Jonas und zapft ein Bier. „Das macht die Sache manchmal anstrengend: Alle erzählen dir dasselbe.“ Sie haben – wenn es gut geht – in Paris da Vincis „Mona Lisa“ und die „Venus von Milo“ gesehen, dann kurz versucht die laut Dan Brown 666 Glasfacetten der Louvre-Pyramide zu zählen, waren am Brunnen von Niki de Saint Phalle, sind schließlich schnell die etwa 200 Stufen zu Sacré-Cœur hinaufgestiegen, um danach den Nachtzug nach Prag zu nehmen. „Die Stories kennt man dann immer schon“, sagt Jonas. „Aber als Barkeeper hat man auch immer etwas zu tun und kann sich ablenken.“ Urlaub – Sau raus lassen Auch die Münchner Youth Hostels empfehlen den Backpackern vornehmlich vier Ziele: Die Ausflüge gehen nach Füssen zum Schloss Neuschwanstein, nach Dachau zur „Memorial Tour (Concentration Camp)“, nach Andechs zur „beer brewing monastery“ oder in die Münchner Innenstadt, zum Platzl ins Hofbräuhaus. „Man lotst die Leute richtig dorthin“, berichtet Jonas. „Nach einem oder zwei Tagen reisen die dann wieder ab und denken, sie hätten etwas von München gesehen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn die Rucksacktouristen ihn aber direkt fragen, wo man denn am besten ausgehen könne, gibt er ihnen andere Tipps: „Ich empfehle ihnen das ,Für Freunde’, meine Lieblingsbar im Glockenbachviertel.“ Im Sommer schickt Jonas die Rucksacktouristen auch an den Sendlinger Flaucher. Auf seinen Reisen hat er die langen Sommerabende schätzen gelernt. „Man kann das erst dann richtig würdigen, wenn man mal in einer Gegend war, wo die Sonne einfach ,runterfällt’ und innerhalb kurzer Zeit weg ist“, sagt er. Die meisten Reisenden fragen ihn aber nicht. „Sie bestellen hier in der Bar ein paar Bier und gehen dann in die großen, bekannten Clubs, die überall gleich aussehen“, erzählt Jonas. Man kann viele von ihnen nach ihrem Trinkverhalten und ihren Herkunftsländern in Kategorien einteilen: „Die Asiaten trinken nichts und wenn, dann probieren sie sich durch. Die Amerikaner fühlen sich wie in Disneyland, weil sie auf der Straße Bier trinken dürfen und tun das auch. Die Australier trinken, bis sie nicht mehr stehen können“, sagt Jonas. „Aber das ist ja auch verständlich: Wenn du in den Urlaub fährst, lässt du halt die Sau raus. Aber wenn dir jemand vor die Bar kotzt, ist es trotzdem nervend.“ Die interessanten Gäste, die Jonas getroffen hat, ließen sich nicht in diese Schubladen ordnen: „Wenn jemand wirklich eine Geschichte zu erzählen hat, kann man davon ausgehen, dass er sich Zeit nimmt.“ Zum Beispiel junge Nordamerikaner, deren Vorfahren aus Europa kommen oder die den Orten nachreisen, an denen ihr Großvater als Soldat im Zweiten Weltkrieg stationiert war. Besonders gerne erinnert sich Jonas an die Geschichte eines jungen Schotten, eines gestrandeten Backpackers, also eines Rucksacktouristen, dem das Geld ausgegangen ist: Der Schotte, der nicht mehr aus München wegkam, hatte einen Traum – er wollte nach Australien auswandern. „Er ist immer wieder in die Bar gekommen und man konnte am frühen Abend noch wirklich gut mit ihm Reden. Irgendwann war er dann immer so betrunken, dass er gegangen ist, ohne zu zahlen.“ Vor ein paar Monaten hat dieser Schotte Jonas dann erzählt, dass er in Australien einen Job gefunden hat. „Seitdem habe ich ihn nicht mehr wieder gesehen“, erzählt Jonas. Die Bar hat sich inzwischen langsam gefüllt. Chantal und Maik spielen schon die dritte Partie Monopoly, zu den vier Koreanern haben sich Freunde gesellt, eine große Gruppe australischer Studenten hat mehrere Tische zusammengerückt. Sie planen ihren nächsten Tag und fordern lautstark Bier. Jonas zapft jetzt im Akkord. Sieht ganz so aus, als würde es noch eine gute Party werden.

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