Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Altes Fleisch gibt keine gute Wurst“

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Andreas Kaufmann, 29, ist Metzgermeister und Betriebswirt. Gemeinsam mit seinem Vater leitet er in Roßhaupten im Allgäu eine Landmetzgerei mit mehreren Läden, für die zehn Metzger und 20 Verkäuferinnen arbeiten. jetzt.de: Andreas, wieviele Tiere hast du in deinem Leben schon geschlachtet? Andreas: Zwei. jetzt.de: Bitte? Andreas: Ich habe in einem Betrieb angefangen, in dem ich mich auf Feinkost und Konserven spezialisiert habe. Da habe ich nur gelernt, aus dem geschlachteten Tier das Endprodukt herzustellen. jetzt.de: Du bist seit drei Jahren Meister – dann hast du deine Ausbildung eher spät angefangen, oder? Andreas: Ja, mit 23. Nach dem Abi wollte ich erst Pilot werden, nur leider ist es mit der Aufnahmeprüfung nichts geworden. Dann habe ich vier Semester Lebensmitteltechnologie studiert und bin schließlich doch in die Ausbildung. jetzt.de: Eine Zeitlang wollte keiner mehr Metzger lernen. Ist das noch so? Andreas: Die Zeit, in der der Beruf ein Auffangbecken war, ist vorbei. jetzt.de: Was heißt Auffangbecken? Andreas: Da hieß es: ,Wer sonst nichts findet, kann ja noch Metzger werden.‘ So einfach ist das heute nicht mehr, weil der Kunde das Personal umerzogen hat und ein Metzger mehr können muss. jetzt.de: Wie meinst du das? Andreas: Der Kunde will heute nicht mehr nur zum Fleisch beraten werden, der will auch eine Ernährungsberatung. Wer auf seinen Fetthaushalt achtet, fragt zum Beispiel nach magerer Putenwurst. Ich sage dann, dass Bierschinken noch magerer ist. jetzt.de: Was ist im Bierschinken drin? Andreas: Wurstbrät und magere Fleischstücke. Je mehr Fleischstücke drin sind, umso magerer ist die Wurst. jetzt.de: Was ist Wurstbrät? Andreas: Die Grundmasse der Wurst. Die besteht aus Eis, Fett und rohem, magerem Fleisch und wird durch den Fleischwolf getrieben. Das ist dann die Schinkenwurst, die in manchen Regionen auch Mortadella oder Lyoner heißt. Wienerle zum Beispiel sind auch aus dem Brät. Oder Gelbwurst. Es ist die Basistechnik für alle Brühwürste. jetzt.de: Was macht das Eis da drin? Andreas: Wenn ich Fleisch und Fett zusammenbringen will, brauche ich eine Emulsion: Das ist der Punkt, an dem sich die Fettteilchen um die Wasserteilchen im Fleisch legen. Eine Emulsion entsteht aber nur bei einer Temperatur von acht Grad Celsius bis 12 Grad. Deshalb das Eis – zum Regeln der Temperatur.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Andreas jetzt.de: Vorhin habe ich in einem Prospekt aus der Tageszeitung geblättert, wo ein Supermarkt für 1a-Salami wirbt. Was heißt das? Andreas: Es gibt für jede Wurst einen Leitsatz des Fleischerhandwerks. Nach diesen Sätzen muss ich produzieren. Das 1a bezeichnet in dem Fall, dass besonders viel mageres Fleisch drin ist. jetzt.de: Ist bei der Kalbsleberwurst auch Kalbsleber drin? Andreas: Wenn sie so heißt, muss mindestens 15 Prozent Leber oder Fleisch vom Kalb drin sein. Hauptsache Kalb. jetzt.de: Es gibt doch diesen Pressschinken aus dem Supermarkt, der kein echter Schinken ist . . . Andreas: Beim Pressschinken werden viele kleine Fleischteile zusammengenommen und zum Beispiel mit Karagen oder Collagen gebunden. So entsteht Formschinken. Den findest du fast immer auf der Tiefkühlpizza aus dem Supermarkt. jetzt.de: Warum werden eigentlich in den Supermärkten immer häufiger die Wursttheken abgeschafft? Andreas: Weil es Kosten spart. jetzt.de: Sind die Leute vielleicht auch scheuer geworden, weil sie überall an Selbstbedienung gewöhnt werden? Andreas: Auf jeden Fall. Es ist bequemer und du musst nicht reden. Dabei ist eine Fleischereifachverkäuferin was Wunderbares! Die unterhält dich, die berät dich. Wenn ich ein zartes Steak haben will, darf ich zum Beispiel nicht zum Lidl fahren und eine frische Rinderlende kaufen. Die ist zwar frisch, aber zäh. Bei uns kriegst du das Rinderfilet vier Wochen abgehangen. Das ist dann zart. jetzt.de: Warum muss das hängen? Andreas: Schweine werden nach sechs Monaten geschlachtet, ein Rind meist nach zwei Jahren. In dieser Zeit bewegt es sich viel und stärkt die Muskeln. Beim Reifeprozess bildest sich dann Milchsäure, die die Sehnen zersetzt und den Muskel wieder weicher macht. jetzt.de: Ist Wurst aus Discountern schlechter? Andreas: Große Firmen werden die Grenzen, die die Leitsätze vorsehen nie unterschreiten. Das können sie sich nicht erlauben. Aber sie fahren an den unteren Grenzen der Spielräume entlang. jetzt.de: Das heißt? Andreas: Maximal Fett, minimal Magerfleisch und maximal Eis oder Wasser. jetzt.de: Wieviele Tiere schlachtet eure Metzgerei am Tag? Andreas: Wir schlachten nur am Montag – 40 Schweine im Winter, 60 im Sommer. Und dann noch zehn Großtiere wie Rinder. jetzt.de: Sieht das Fleisch anders aus, wenn das Tier vor dem Schlachten Stress hatte – zum Beispiel nach einem langen Transport? Andreas: Das ist ein Riesenunterschied. Jede Minute Stress oder Angst ist bares Geld, weil die Tiere in der Zeit Adenosintriphosphat (ATP) abbauen. Das ist grob gesagt die Energie in den Zellen. Wenn das Tier viel ATP verbraucht, wird das zu Diphosphat und geht verloren. Das siehst du dann beim Fleisch in der Pfanne: das Wasser läuft raus und das Stück wird klein. jetzt.de: Vergangene Woche sagte eine Frau in einem Vortrag auf der Biofach, der Messe für Bioprodukte in Nürnberg: „Das Schlimme ist, dass aus Lebensmitteln immer häufiger Verbrauchsmittel werden.“ Wie siehst du das? Andreas: Mein Vater ist Obermeister in der Metzgerinnung. Vor einigen Jahren war er bei einem Treffen, wo es um Essen in Schulkantinen ging. Da hat es immer geheißen: Ein Essen darf nicht mehr als 1,70 Euro kosten. Dann hat mein Vater gesagt: ,Es ist doch schlimm, dass ich schon meinen Kindern vermittle, dass das Essen vor allem günstig sein muss.‘


Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Du meinst: Essen müsste teurer sein, damit ich schon als Kind lerne, dass es sich um was Wertvolles handelt? Andreas: Ja. Vor allem wenn man es im Verhältnis zu Luxusgütern sieht. jetzt.de: In den Kantinen machen viele einen Bogen um Milzwurst, Blutwurst, Leber. Warum? Andreas: Milzwurst mache ich auch nicht mehr, weil sie sich nicht verkauft und aufwändig zu machen ist. Dabei schmeckt sie lecker. So wie das Bries, die Thymusdrüse vom Kalb. Das schaut nicht gut aus, schmeckt aber hervorragend! Das Problem ist, dass die Menschen diese Dinge nicht mehr kennenlernen. jetzt.de: Die Supermärkte führen solche Produkte ja auch nicht mehr. Werden wir im Konsum bevormundet? Andreas: Ich glaube schon. Wo soll ich die Vielfalt sonst noch kennenlernen? jetzt.de: Was die meisten kennen, ist der Leberkäse. Was ist da drin? Andreas: Magerfleisch, Fett, Eis und Gewürze. jetzt.de: Klingt nach Schinkenwurst. Andreas: Ist es auch. Nur wird das Brät gebacken und nicht gebrüht. jetzt.de: Und wo ist die Leber? Andreas: Kein bißchen Leber. jetzt.de: Warum heißt er dann so? Andreas: Früher hat man das Brät gemacht, in eine Form gehauen und zum Bäcker gebracht. Der hat neben seinem Brotlaib den Laib Wurst gebacken, den er aus irgendeinem Grund „Laibkäse“ genannt hat. Aus dem ist dann, soweit ich weiß, der Begriff Leberkäse geworden. jetzt.de: Warum gibt es die wildesten Gerüchte, was im Leberkäse drin ist? Andreas: Ganz verstehe ich das auch nicht. Na gut, wenn du bei einem Metzger lernst, der aufs Geld schaut, dann lernst du vielleicht, alles in den Leberkäse zu bringen – das Brät vom Vortag zum Beispiel. Aber aus altem Fleisch kann man keine gute Wurst machen. In einem großen Supermarkt wirst du deshalb nie alten Leberkäse finden. Den gibt es nur bei kleinen Pfennigfuchsern. jetzt.de: Was macht ihr mit Wurst, die ihr nicht verkauft? Andreas: Wir geben sie an die Tafel. jetzt.de: Noch eine Inhaltsfrage: Was ist in der Weißwurst? Andreas: In der Münchner Weißwurst ist Schweinefleisch, Kalbfleisch, Eis und Fett. Dann kommt noch gekochter Kalbskopf dazu. jetzt.de: Kalbskopf? Andreas: Der wird in kochendes Wasser gehalten. Dann werden die Haare rasiert und er wird gekocht. Dann wird nur die Maske, also das richtige Fleisch vom Kopf genommen. Und das wird durch den Wolf gedreht und kommt mit rein. Das lockert die Weißwurst auf – deshalb kann man sie aus dem Darm rauszuzeln. jetzt.de: 90 Prozent aller Deutschen essen täglich Fleisch. Wir sind schon eine Fleischgesellschaft, oder? Andreas: Ja. Aber ich bin nach Asien gefahren und dachte, dass das eine Reisgesellschaft ist. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass die weniger Fleisch essen als wir. Aber bei uns ist auf jeden Fall die Versorgung mit Fleisch besser. jetzt.de: Ist das ein Wohlstandsmerkmal? Andreas: Teils, teils. Die Güter, mit denen ich mich leicht versorgen kann, die nehme ich natürlich leicht an. jetzt.de: Was meinst du: Sollte man den Fleischkonsum dem Klima zuliebe einschränken? Andreas: Ich muss ehrlich sagen: Wenn einer täglich sein Fleisch braucht, dann verstehe ich das nicht. Wenn man zweimal die Woche verzichtet und so dem Klima hilft – herzlich gerne.

Text: peter-wagner - Fotos: Jürgen Stein

  • teilen
  • schließen