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Aber hier leben?
Es war Abend, wir saßen nach einem Tag in den Bergen am Küchentisch unserer Wohnung in München. Wir waren satt, die leeren Teller standen noch auf dem Tisch, als sie den Laptop holte, den Browser öffnete und in die Adresszeile tippte: immoscout24.de. In der Suchmaske wurden Buchstaben zu einem Ortsnamen: Schliersee. 50 Kilometer südöstlich von München, wir waren auf dem Rückweg durch den Ort gefahren. 6 000 Einwohner, Alpenidyll, Heimatort der Skilegende Markus Wasmeier. Wir klickten uns durch die Angebote. Unbezahlbare Villen direkt am See, kleine Häuschen mit Kachelofen und Bergblick, Doppelhaushälften mit Apfelbaum im Garten. Wir machten „Boah“ und „Oh“ und „Ui“, wenn uns etwas gefiel. Wir riefen „Bäh“ und „scheußlich“, wenn die Innenansicht eines von außen hübschen Häuschens aussah wie ein ländliches Puppenhäuschen. Aber das Klicken machte Spaß. Wie so etwas eben Spaß macht, solange man einfach ein bisschen vor sich hin träumt und witzelt, ohne ernsthaft abwägen zu müssen. Doch dann wanderte der Mauszeiger auf einen farbigen Button: „Neue Angebote per E-Mail“. Klick. War das noch Witzeln und Träumen? Oder schon Zukunftsplanung?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Irgendwann kommen die meisten Menschen an einen Punkt, an dem sie sich fragen: Wo will ich eigentlich leben? Eigentlich fragt man sich das immer wieder im Laufe des Erwachsenwerdens, schon ab dem Zeitpunkt, an dem man nach der Schule auszieht. Mit der Zeit bekommt diese Frage immer ein kleines bisschen mehr Gewicht. Zunächst betrifft sie nur einigermaßen überschaubare Lebensabschnitte: Es geht um die Zeit bis zur Zwischenprüfung. Bis zum Auslandssemester. Bis zum ersten Job. Man wechselt den Ort mit leichten Schritten und leichtem Gepäck, weil man weiß, dass man ziemlich sicher nicht ewig bleiben wird, sondern nach zwei, drei Jahren weiterzieht. Weil man keinen Bock mehr auf eine WG hat, noch mal woanders studieren oder arbeiten möchte. Irgendwann aber spielt man mit dem Gedanken, sich einen Ort zu suchen, an dem man vielleicht auch noch in 20 Jahren leben möchte. Bei den meisten kommt dieser Gedanke, wenn ein Mensch gefunden ist, von dem man annimmt, dass man diese 20 Jahre mit ihm wahrscheinlich glücklich verbringen kann. Sesshaft werden nennt man so was dann wohl. Nestbau. Das klingt irgendwie erschreckend erwachsen. Aber man kann sich ziemlich sicher sein, dass solche Gedanken irgendwann kommen werden. Christian Fichter ist Wirtschaftspsychologe an der Kaleidos-Universität in Zürich. Er hat sich damit befasst, wie Zufriedenheit, Glück, Wohnort und Job zusammenhängen. Er sagt, dieses Umdenken sei normal. Der Mensch sei in jüngeren Jahren ein Wandertier auf der Suche, wolle ausprobieren, erkunden. Er werde aber sesshafter, wenn er älter werde. „Das kann sich ganz schlagartig ändern.“ Zum Beispiel nach einem Tag in den Bergen am Küchentisch. Wenn man lange an einem Ort leben will, muss dieser Ort schon ein verdammt guter sein. Sonst findet man sich plötzlich im Refrain eines alten Tocotronic-Songs wieder, in dem es heißt: „All das mag ich. Aber hier leben? Nein danke!“ Der Schliersee und die Berge drum herum mögen wunderschön sein, die Mieten in der Vorstadt so viel günstiger, dass man sich mehr Quadratmeter und einen Garten zum Grillen leisten könnte. Aber die besten Freunde leben in München. Sieht man die noch, wenn man auf dem Land wohnt? Und was ist mit den Partys? In der Stadt steht auch der Schreibtisch, an den man sich jeden Morgen setzt, und zwar gerne, sodass man ihn nicht einfach gegen irgendeinen Schreibtisch woanders eintauschen möchte. Aber will man jeden Tag eine Stunde im Zug oder im Auto sitzen? Macht Pendeln nicht krank oder zumindest konstant schlechte Laune? Nein, sagt Christian Fichter. Einige Studien behaupten das zwar, und auch Fichters Forschung ergab, dass der Weg zur Arbeit ab einer Strecke von 80 Kilometern oder einer Dauer von 50 Minuten zu einer Belastung werden kann. Aber generell mache Pendeln nicht unglücklich: „Der Einfluss auf die Gesamtzufriedenheit ist gering, und den meisten Menschen machen die Strapazen nichts aus, wenn sie dafür genau den Job machen können, den sie wollen, oder an dem Ort leben können, den sie sich ausgesucht haben.“ Das ist natürlich erst einmal eine gute Nachricht. Aber sie bedeutet auch, dass die Suche nach dem Glück zu einer komplizierten Rechnung wird. Um zufrieden zu sein, muss man die richtige Mischung finden im Zusammenspiel der Faktoren Arbeit, Wohnort und Entfernung zwischen den beiden. Man muss abwägen, wo man Abstriche zu machen bereit ist, damit man an anderer Stelle dem persönlichen Nonplusultra näher kommt. Deshalb hilft es vielleicht, ein paar Menschen zu fragen, die schon weiter sind und diese komplizierte Rechnung für sich selbst schon entschlüsselt haben. Zumindest vorläufig.
"Man kann da draußen natürlich vereinsamen"
Bene, 39, lebt trotzdem gerne in einem Haus auf einem Hügel im Voralpenland.
Ich war zwölf Jahre in München und habe nichts ausgelassen, was man im Stadtleben mitnehmen kann. Dann habe ich gemerkt: Jetzt kommt nichts mehr. Ich war in Clubs deutlich über dem Altersdurchschnitt, fand die Bands, die der DJ auflegt, nicht mehr so megageil – ich war over it. Meine Kindheit war richtig ländlich, da ging hinter dem Haus die Wiese los und dann kam lange nichts mehr. Bei meiner Frau war es ähnlich, und wir hatten beide das Gefühl, dass wir großes Glück hatten mit unserer Kindheit. Man will ja seinen Kindern immer das ermöglichen, was man selbst cool fand früher. Theoretisch wäre ich gerne dahin zurück, wo ich aufgewachsen bin. Meine Freundin war aber dagegen, weil sie nicht wollte, dass ich irgendwelche alten Schulfreundschaften wieder aufwärme, beim Stopsl am Stammtisch sitze und sie dort niemanden kennt. Man kann da draußen natürlich echt vereinsamen. Wenn man aus der Stadt wegzieht und noch dazu ein Kind bekommt, sind die Leute, von denen man dachte, dass sie die besten Freunde seien, weg. Du hast keine Berührungspunkte mehr. Wenn einer sagt, dass er am Donnerstag um 22 Uhr seinen Geburtstag in irgendeiner hippen Bar feiert, sage ich: „My Ass!“ Ich bin um 19 Uhr mit der Arbeit fertig, da warte ich doch nicht zweieinhalb Stunden, damit ich dann zwei Spezi trinken kann. Und auf dem Land findet man auch nicht leicht Anschluss. Ohne Kinder wüsste ich überhaupt nicht, wie das gehen soll. Der Kindergarten, der Eishockey-Verein, andere Eltern eben – das waren Anknüpfungspunkte. Aber ohne Kinder kannst du 40 Jahre da draußen wohnen, ohne jemanden kennenzulernen. Den Einheimischen bist du als Zugezogener aus der Stadt ja erst mal völlig egal. Da draußen lebt eben ein anderer Schlag von Leuten. Da ist weniger Oberflächliches, da gibt’s keine hippen Modemenschen. Ich hab das Gefühl, dass auf dem Land ein höherer Prozentsatz von Leuten das Gefühl hat, angekommen zu sein, während in der Stadt mehr Leute auf der Suche sind – nach was auch immer. Im ersten Sommer da draußen, als das erste Kind kam und um 4:30 Uhr anfing zu schreien, habe ich mich oft nicht mehr hingelegt danach, sondern bin um halb sechs zwei Stunden Mountainbiken gegangen. Ich konnte ja von der Terrasse aus losfahren, geile Strecken, wo man nie Asphalt sieht! Dann bin ich um halb neun ins Auto gestiegen, war um halb zehn im Büro in der Stadt und hatte schon Rehe und Hasen gesehen. Das war ein totaler Gewinn an Lebensqualität. Das Pendeln nervt mich eigentlich gar nicht so. Das Reinfahren morgens ist schlimmer als das Rausfahren. Aber diese eine Stunde im Auto ist nach der Arbeit zum Runterkommen total gut. Du kannst nachdenken. Rausschauen. Oder einfach irgendeinen Scheiß vor dich hin singen. Was man nicht unterschätzen darf: Ich habe keinen Chef, der mich zwingt, um halb neun da zu sein. Ich kann ein bisschen später fahren, wenn die Straßen nicht mehr verstopft sind.“
Der Stadtrand als Kompromiss
Julia, 37, Lehrerin, lebt in einem WG-Haus am Rand von Heidelberg
Ich komme aus einer ländlichen Gegend in Süddeutschland und bin auf einem Hof aufgewachsen, da gab es gerade mal zwei Straßen. Seit dreieinhalb Jahren wohne ich in einer internationalen Fünfer-WG in einem großen Haus mit Terrasse und Garten am Stadtrand von Heidelberg. Ich lebe mit zwei Spaniern, einem Bolivianer und einem Deutschen zusammen, alle sind berufstätig. Für mich ist meine Situation ein guter Kompromiss. Man hat hier wirklich das Gefühl, auf dem Land zu wohnen. Trotzdem ist die Stadt direkt um die Ecke. Da ich zwei Katzen und ein Pferd habe, ist es hier ideal. So ein Ein-Zimmer-Apartment in der City, das hat für mich nicht so viel Lebensqualität. Mir ist das Zwischenmenschliche beim Zusammenwohnen wichtiger als die Lage. Ich wollte aber nicht wieder aufs Land, weil ich die Vorzüge von Heidelberg sehr zu schätzen weiß. Dass ich zum Beispiel kein Auto brauche. Mit dem Fahrrad alles erreichen zu können, war für mich ein Hauptargument. Auch das kulturelle Angebot war mir wichtig. Das fehlt, wenn man in der Pampa wohnt. Dass ich 15 Minuten bis zum Zentrum brauche, stört mich selbst eigentlich nicht. Eher meine Freunde. Wenn ich Abends zum Kochen einladen will, sagen die schon: Oh nee, müssen wir jetzt wirklich so weit fahren? Von der WG sind aber die meisten total begeistert, die finden es idyllisch. Kann aber auch sein, dass ich in einer anderen Lebensphase wieder so richtiges Landleben will. Dann aber nicht nur mit der eigenen Familie, eher ein Mehrgenerationenhaus. Mann, zwei Kinder, Haus auf dem Land – das wäre mir viel zu eingeengt. Ich finde es spannender, wenn viele unterschiedliche Menschen mit ähnlichen Vorstellungen zusammenwohnen. Bei uns in der WG passt das sehr gut. So gesehen bin gerade sehr zufrieden.“
Pendeln für Traumjob und Traumfrau
René, 29, arbeitet im Landtag von NRW. Er pendelt zwischen Essen und Düsseldorf.
Ich habe acht Jahre in Berlin gelebt, aber bin mit der Stadt nie richtig warm geworden. Mir war es zu anonym, zu aufgesetzt. Irgendwann kam es mir vor, wie ein großer Kindergeburtstag. Ich brauche, glaube ich, etwas mehr Ruhe und Entspannung. Ich wusste immer, dass ich nach dem Studium weg will. Die Entscheidung, wieder in meine Heimatstadt Essen zurückzugehen, kam dann der Liebe wegen. Meine Freundin wohnte damals schon in Essen und wollte dort bleiben. Über zwei Jahre hatten wir eine klassische Fernbeziehung, bis sich meine Berliner WG am Ende meines Studiums auflöste. Im Prinzip war es die leichteste Möglichkeit, zu ihr in die Wohnung nach Essen zu ziehen. Ich wollte immer praktisch mit Politik arbeiten, da bietet sich in NRW natürlich Düsseldorf an. 2012 bekam ich eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Landtag. Seit ich pendle, habe ich Zeit zu lesen, ich bin belesen wie noch nie! Aber es ist natürlich nervig, wenn man Feierabend hat und weiß, dass man noch anderthalb Stunden in der überfüllten Regionalbahn bis nach Hause braucht. Dafür habe ich den Job, den ich machen wollte und wohne mit einer Frau zusammen, die ich toll finde. Allerdings wohnen meine neuen Bekannten und Freunde alle in Düsseldorf. Wenn ich mich mit denen treffen will, ist das ein organisatorischer Aufwand, man sieht sich seltener. In Essen habe ich aber ein gutes Gefühl - vielleicht das typische Heimatgefühl. Ich habe dort noch eine Menge alter Freunde, auch meine Familie ist hier. Viele meiner Freunde kriegen einen Koller, wenn sie zurück in Essen sind. Mir geht es gar nicht so. Trotzdem ist es im Vergleich zu Berlin schon eine spießige Existenz. Ich habe einen geregelten Job, eine schöne Wohnung, mehr Ruhe. Im Moment empfinde ich das aber als sehr befriedigend. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasse. Trotzdem sollte man es erst mal in einer anderen Stadt probiert haben. Ich denke schon, dass ich irgendwann noch mal woanders leben möchte. Aber momentan fühle ich mich pudelwohl.
Text: christian-helten - und sina-pousset