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Welle machen?
Ab der bayerischen Landesgrenze fühlt sich die deutsche Radiovielfalt für junge Autofahrer auf einmal ganz klein an: Wo man vorher noch zwischen öffentlich-rechtlichen Jugendprogrammen wie „MDR-Sputnik“, „Das Ding“ (SWR) oder „You-FM“ (HR) sowie zahlreichen jungen Privatsendern wählen konnte, herrscht in Bayern Leere. Zumindest beim öffentlich-rechtlichen Angebot. Denn Puls, der offizielle Jugendsender des Bayerischen Rundfunks (BR), ist zwar ein Vollprogramm, allerdings nur digital empfangbar. Wer den entsprechenden Adapter nicht bereit hat, dem bleiben auf BR-Seite noch Bayern 3 (dann sollte man allerdings „Summer of ‘69“ und Comedy mögen) – oder Privatsender wie EgoFM. Die sind oft gut gemacht, allerdings nur punktuell empfangbar und vor allem nicht aus den Gebühren finanziert, die auch junge Menschen in Bayern zahlen müssen. Der Mangel an einem jungen öffentlich-rechtlichen Angebot in Bayern wird schon lange diskutiert. Bereits Ende der Achtziger überlegte man erstmals, auf eine der fünf BR-Frequenzen einen Jugendsender zu legen – ohne Erfolg. 2006 scheiterte ein weiterer Versuch. Nun soll es erneut so weit sein: Bei der Rundfunkratssitzung am 22. Mai wird diskutiert, ob BR-Klassik und Puls ihren Sendeplatz tauschen. Eine andere Option kommt für den BR nicht infrage: Der Rundfunkstaatsvertrag genehmigt nur fünf UKW-Frequenzen und Massensender wie Bayern 3 oder 1 will man schlicht nicht verlegen. Sollte der Rundfunkrat an diesem Tag also pro Puls entscheiden, wäre der Sender frühestens ab 2016 bayernweit empfangbar. BR-Klassik würde hingegen zum Digitalprogramm. Zum Ausgleich soll in den Klassiksender zusätzlich eine Million Euro fließen – zum Ausbau des Digitalangebotes, das auch eine bessere Klangqualität als die UKW-Sender mitbringt. Jung gegen alt also?
Besuch beim BR: In der Puls-Redaktion läuft der „Freundeskreis“, eine Mitmachsendung. Der Moderator macht gerade kurz Pause. Seine Beine hat er auf einem Hocker abgelegt. Man sollte meinen, dass bei den Puls-Mitarbeitern angesichts der Chance auf eine eigene Frequenz bereits mit Konfetti geworfen wird. So richtig euphorisch wirkt aber noch niemand. Auch nicht Programmchef Thomas Müller, der in seinem Büro im BR-Turm am Münchner Hauptbahnhof sitzt. „Die Redaktion ist ein gebranntes Kind. Sie hat bereits zwei Vorstöße in Richtung UKW hinter sich. Wir glauben das erst, wenn wir es sehen. Aber natürlich ist der Wunsch sehr groß, für das, was wir hier machen, eine größere Verbreitung zu haben“, sagt der Mann mit der Glatze und dem rötlichen Vollbart. Draußen ist es warm, Müller trägt eine kurze Hose, so dass man die Tätowierung an seinem Unterschenkel sieht. Seit eineinhalb Jahren ist er bei Puls und hat den Wandel vom Teil- zum digitalen Vollprogramm im Frühjahr 2013 betreut. Damals wurde ihm noch gesagt, es gebe keine Perspektive für eine eigene Frequenz. Also hat er weiter die Lebenswelt bespielt, in der auch viele seiner Hörer unterwegs sind: das Internet. Auch wenn sich der Erfolg dort schwer messen lässt – Radiosender ohne UKW-Frequenz werden bei Reichweitenmessungen nicht erfasst –, die Aufmerksamkeit für Puls steigt. Auch die Trimedialität der Redaktion, also der Umgang mit Radio, Online und Video, wird von anderen BR-Mitarbeitern als „vorbildlich“ bezeichnet. „Wir haben uns bei den reinen Webradio-Streaming-Zahlen verzwei- bis verdreifacht und auch bei Twitter, Facebook und Spotify haben wir uns gesteigert. Nicht sensationell, aber wir wachsen sehr organisch, ohne Autos zu verlosen und Bayern zuzuplakatieren“, sagt Müller, während unter seinem Fenster die Tram rattert. Bei Facebook hat Puls mittlerweile 25 000 Fans.
Anne-Sophie Mutter appelliert mit ernster Miene - das hallt nach
Was zunächst positiv für Puls klingt, ist gleichzeitig allerdings auch das beliebteste Argument der BR-Klassik-Fans: Warum sollte man einen Sender für Digital Natives auf eine bald hundert Jahre alte Sendetechnik heben und dafür den Klassik-Hörern, die laut BR-Erhebungen im Durchschnitt die 60 überschritten haben, ihren Sender digital präsentieren? Dieser Argumentation folgt auch der Bayerische Musikrat. Seine Petition „BR-Klassik muss bleiben“ hat mehr als 44 000 Unterschriften. Auch BR-Mitarbeiter haben sie unterzeichnet. Der Tenor: Digital ist nett, allerdings nur für Puls und nicht für BR-Klassik. Prominente Künstler wie Anne-Sophie Mutter appellieren auf der Webseite mit ernstem Gesicht, den Sender nicht ins digitale Abseits zu verbannen. Das hallt nach. Dabei leben viele der Klassik-Hörer bereits in der digitalen Welt, wie die Zahlen des BR zeigen: Von den 260 000 Hörern kommen 60 000 nicht aus Bayern. Diese, plus weitere 40 Prozent der bayerischen Hörer empfangen das Programm UKW-unabhängig, also über Satellit, Kabel oder Digitalradio. Bleiben also noch 120 000 Hörer, die momentan durch die Änderung ihren Stammsender verlieren würden. Der BR hofft, dass die Älteren in ihrer bereits etablierten Lebenssituation eher bereit wären, 30 bis 100 Euro für einen Digitaladapter für ihre Musikanlagen auszugeben, als junge Menschen. Die Meinungen darüber gehen innerhalb des BR auseinander. Oswald Beaujean, Programmchef von BR-Klassik, wirbt am Telefon für Verständnis für die Situation seiner Mitarbeiter: „Die Intention unseres Hauses, den jüngeren Leuten ein Angebot mit möglichst großem Verbreitungsweg zu machen, kann ich nachvollziehen,“ sagt er. „Dass wir nicht begeistert sind, wenn die UKW-Frequenzen für uns entfallen, sollte aber ebenfalls verständlich sein. Sie sind nun einmal ein wichtiger Verbreitungsweg.“ Bei manchen Mitarbeitern löse das auch Sorgen aus, was die Zukunft des Programms angeht. „Dass Kollegen die Petition unterschreiben, zeigt, wie kompliziert die Situation ist. Man sollte ihnen das nicht übel nehmen, denn dahinter stehen zum Teil auch Existenzängste.“ Da der Intendant, Ulrich Wilhelm, BR-Klassik allerdings zugesichert habe, dass es keine Absichten gibt, den Etat in Zukunft zu beschneiden, hofft Beaujean, dass diese Ängste unberechtigt sind. „Natürlich bietet das Digitale auch eine Chance wegen der Zusatzangebote, die wir machen können, zum Beispiel Informationen zu Dirigenten, Interpreten und Stücken. Wenn wir den Auftrag dazu bekommen, werden wir unser Bestes tun, um es zu einem Erfolg zu machen“, sagt er. Auf dem Balkon vor Thomas Müllers Büro haben sich mittlerweile die Mittags-Raucher eingefunden. Er sagt: „Ich verstehe, dass sich bei den Kollegen von BR-Klassik der Gedanke einschleicht, dass ihr Programm an Relevanz verliert.“ An vielem, was Müller sagt, merkt man, dass er auch andere Arbeitgeber als den BR kennt. Er hat in Berlin den Privatsender MotorFM mitaufgebaut, zwischenzeitig arbeitete er bei Universal und iTunes. Wohl deshalb klingen seine Sätze manchmal auch nach Marktwirtschaft: „Junge Zielgruppen werden nie massive Investments tätigen, um an Inhalte heranzukommen. Sie suchen sich immer den einfachsten Weg.“ Sein Paradebeispiel ist der Musiksender MTV. Der wechselte 2011 vom Free- ins Pay-TV. „Hat das funktioniert?“, fragt Müller und gibt sich direkt selbst die Antwort: „Nein. Goldstar-TV ist der einzige Musikkanal, der im digitalen Pay-TV funktioniert – und das ist ein Schlagersender.“ Dann beugt er sich vor und fängt einen Satz an, der doch sehr öffentlich-rechtlich klingt: „Wir haben den Auftrag, das Publikum dort abzuholen, wo es ist.“ Pause. „Wenn man sich aber die Bilanz des Bayerischen Rundfunks anschaut, muss man sagen: Ups. Wir erreichen kaum noch unter 40-Jährige. Das ist ein perspektivisches Problem für das Haus, aber auch für den Gebührenzahler, der sich fragt: ‚Warum muss ich meinen Rundfunkbeitrag bezahlen, wenn es dem BR total wurscht ist, ob ich als Publikum infrage komme oder nicht?‘“
Jung gegen alt? Schmarrn!
Das ist für ihn auch der Grund, warum die Petition „UKW-Frequenz für Puls“ nur 1300 Unterschriften hat: „Es wird immer nur über Klassik gesprochen aber nicht über das Defizit an Angeboten für junge Leute in Bayern. Und dass Menschen nicht für etwas auf die Straße gehen, das sie nicht kennen, ist keine Überraschung.“ Gegner argumentieren hingegen, dass das öffentliche Interesse an BR-Klassik einfach sehr viel höher ist als an Puls. Die ganze daraus entstandene Debatte über „jung gegen alt“ findet Müller ebenso wie Beaujean „einen Schmarrn.“ Im Haus würden die Mitarbeiter beider Sender sich auch nicht ignorieren, von einem „Radiokrieg“ könne nicht die Rede sein. Es ist etwas ganz anderes, das Thomas Müller an der Debatte massiv stört: „Wir finden es schade, dass die Chancen, die für die Kultur in Bayern durch Puls entstehen könnten, komplett ignoriert werden. Es wird nur gesagt: ‚Oh Gott, BR-Klassik muss Federn lassen, das ist der Untergang des Abendlandes.‘ Dass es dafür aber auch gute Gründe gibt und Bayern dadurch auch gewinnen kann, wird wenig gesehen.“ Die einheimischen Bands hätten es wiederum besonders schwer, bekannt zu werden. Ihnen helfe Puls mit einer 20-Prozent-Quote im eigenen Programm, über die Wahrnehmungsschwelle zu kommen. Doch nicht nur Hochkulturliebhaber sind wenig erfreut über die geplante Änderung des bayerischen Radioprogramms. Auch die Privatsender haben Angst. Philipp von Martius, Chef des jungen bayerischen Senders EgoFM , sprach in einem Interview vor ein paar Wochen bereits von einer „Materialschlacht“. Seine Argumentation: Das Programm von BR-Klassik ist nahezu überall in Bayern empfangbar. Wenn auf diesen Sendeplatz statt eines Kultursenders nun ein breit aufgestellter Sender wie Puls käme, wäre die Reichweite ähnlich groß wie beim WDR-Jugendsender 1Live – einer der meistgehörten Sender Deutschlands. Kleine, wirtschaftlich mühsam aufgebaute Indie-Sender wie EgoFM mit ihren fünf Sendemasten hätten dagegen kaum eine Chance. „Wenn die Entscheidung so durchgeht, dann wäre es naiv, davon auszugehen, dass die Radiolandschaft in Bayern so bleiben kann wie bislang.“ Das Argument, die öffentlich-rechtlichen müssten auch was für die Jugend tun, findet er falsch: „Der BR hat allein mit Bayern 3 rund dreißig Prozent aller jungen Radiohörer in Bayern. Öffentlich-rechtliche Grundversorgung heißt nicht, dass der BR ein Anrecht hat, in jeder Altersgruppe immer Marktführer zu sein.“ Für ihn besteht „ein ordnungspolitischer Handlungsbedarf“, damit der Wettbewerb durch das Vorgehen des BR nicht „noch weiter einseitig verzerrt wird“. Puls-Chef Thomas Müller teilt die Bedenken der Privaten nicht. „Selbst wenn wir jetzt eine UKW-Frequenz bekämen – wir werden bestimmt kein Sender wie 1Live oder N-Joy. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein öffentlich-rechtliches Programm wie das unsere, das per se nicht auf Reichweitenmaximierung aus ist, also nicht die Top 40 rauf und runter spielt, Konkurrenz für die Privaten ist“, sagt er. Für Mainstream-Sender stimmt das wohl. Die Gesprächszeit ist rum, am Ende sagt Müller dann doch noch, dass sie schon sehr gespannt auf die Entscheidung des Rundfunkrats am 22. Mai seien. Die Wände zum Aufzug sind voll mit Puls-Plakaten. „Dieses neue Radio“ ist ihr Slogan. Abfällig ausgesprochen könnte er auch von den Puls-Gegnern stammen. Text: charlotte-haunhorst