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Unter Kampfkraulern
Winterzeit ist Hallenbadzeit: Hinein ins tropische Klima der Bäder, hinein ins laue Wasser und schön ein paar Bahnen schwimmen, damit die Glieder beweglich bleiben und man nicht wie eine dicke Eiche immer mehr an Umfang gewinnt, weil einem ständig neue Jahresringe aus Speck wachsen. Allerdings muss man sich dabei mit einer Menge Menschen das Becken teilen. Diese Typen triffst du derzeit in Münchens Hallenbädern:
Die Plauderer
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das tragen sie: Badeanzüge, keine topsportlichen, aber auch keine sehr aufreizenden. Ihr Haar ist in hübschen Knoten nach oben gebunden und bis fast ganz zum Nacken hinunter vollkommen trocken.
So sind sie: Die Plauderer sind immer weiblich und vor allem eines: fehl am Platz. Sie glauben, schwimmen sei wie spazieren gehen, nur, dass man dabei mehr Kalorien verbraucht. Darum verabreden sie sich einmal die Woche und bewegen sich eine halbe Stunde lang mit absurd nach oben gereckten Köpfchen und unmotivierten Beinschlägen langsam durch das Becken. Dabei reden sie ununterbrochen, meistens über irgendwas, was sie furchtbar geärgert hat. Immerhin macht man ja Sport, um sich abzureagieren.
So reagieren die anderen: Wenn Plauderer in die Bahn geraten, wird selbst der harmloseste Brustschwimmer zum Rammbock. Denn Mädchen, die wie schwere Ölfässer nebeneinander hertreiben, auf diese Weise konstant zwei Bahnen blockieren und außerdem zwischen sich eine Lücke lassen, die nur um ein paar Zentimeter zu klein ist, um unbeschadet hindurchzuschwimmen, muss man einfach mit einem gewagten Manöver auseinandersprengen: Hinein in die Lücke und bei einem sportlichen Schwimmzug kräftig nach beiden Seiten treten.
Das sagen sie über ihren Schwimmbadbesuch: „Voll gut, dass wir unseren inneren Schweinehund überwunden haben – war ja gar nicht so schlimm!“
Dort triffst du sie am ehesten: Nordbad, Müller'sches Volksbad (Den Plauderern gefällt dessen Ruf als Schwulentreff, weil sie glauben, dann nicht angegraben zu werden).
Auf der nächsten Seite: Der Schrecken des Schwimmbads auf Mission in der Tiefsee.
Der Kampfkrauler
Das trägt er: Als Mann eine enge Badehose mit etwas Bein. Als Frau einen hochgeschlossenen Badeanzug eines bekannten Markenherstellers. In beiden Fällen: Eine fest sitzende Badekappe und eine Schwimmbrille mit getönten Gläsern.
So ist er: Die Kappe, die dunkle Brille, der gestählte Körper und das sehr breite Kreuz geben dem Kampfkrauler eine Aura von Unnahbarkeit und die kalte Ausstrahlung eines Froschmannes auf gefährlicher Mission in der Tiefsee. Für den Kampfkrauler gilt das evolutionäre Gesetz des Stärkeren und der Stärkere ist natürlich immer er. Wie ein Pfeil schießt er durchs Wasser, meidet jeden Blickkontakt und ist mehr Maschine als Mensch.
So reagieren die anderen: Sie werden schlicht überrumpelt. Der Kampfkrauler schwimmt nahezu blind und rammt alles, was ihm in die Bahn gerät. Seine Bugwelle spült im Sekundentakt harmlosen Brustschwimmern, die zum Einatmen aufgetaucht sind, Wasser in die Lunge und am Beckenrand klumpen sich die Senioren, die er aus der Bahn gekrault hat.
Das sagt er über seinen Schwimmbadbesuch: „Es tut so gut, seine Muskeln zu spüren, so gut!“ und „Schmerzen sind dafür da, überwunden zu werden!“
Dort triffst du ihn am ehesten: Olympia-Schwimmhalle.
Auf der nächsten Seite: Nasse Küsse verliebter Schwimm-Pärchen.
Das Badepärchen
Das tragen sie: Etwas Schönes. Das bedeutet in diesem Fall: Etwas, das dem anderen gefällt. Auf Seiten des Mädchens ist das fraglos ein gar nicht mal so sportlicher Bikini, dessen Höschen an der Hüfte von Bändern zusammengehalten wird.
So sind sie: Badepärchen bestehen aus zwei gut geformten Menschen, die unter dem Vorwand ins Schwimmbad gehen, gemeinsam Sport treiben zu wollen. Dann allerdings treiben sie alles Mögliche andere. Sie tollen herum wie verliebte Teenager (manchmal sind sie auch welche), kichern fortlaufend, tragen sich gegenseitig („Im Wasser bist du leicht wie eine Feder!“) und knutschen in der Beckenecke herum, weil die perlenden Tropfen im Gesicht des anderen ihn einfach unwiderstehlich machen. Vor allem die Mädchen neigen zu gespielter Hilflosigkeit und Albernheiten, indem sie sich beim Tauchen die Nase zuhalten oder dem Liebsten die Klimmzüge am Beckenrand nachmachen wollen und nach einem Mal kreischend zurück ins Wasser stürzen. Dann sagen sie mit heruntergezogenen Mundwinkeln „Ich bin sooo unsportlich“ und bieten die nasse Stirn zum Kuss feil.
So reagieren die anderen: Alle, denen es Spaß macht, sich aufzuregen, empören sich: Die Senioren („Wie schamlos!“) sowie die, die im Becken mehr rumgucken als schwimmen („Haben die kein Zuhause?“). Der Kampfkrauler trennt die beiden hin und wieder, aber sobald er vorbei ist, schließt sich die Pärchenfront gleich wieder und wird zu einem Fleisch.
Das sagen sie über ihren Schwimmbadbesuch: „So richtig geschwommen sind wir ja nicht, aber wir haben uns endlich mal wieder so total entspannt. Allerdings hat der Stefan schon gesagt, dass wir beim nächsten Mal mindestens 40 Bahnen machen, hihi, ob ich das wohl schaffe?“
Dort triffst du sie am ehesten: Im Nordbad, gerne auch in den dunklen Ecken des beheizten Außenbeckens.
Auf der nächsten Seite: Herzzerreißend, aber doch irgendwie im Weg - der Seniorschwimmer.
Der Seniorschwimmer
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das trägt er: Etwas Labberiges. Labberige Herrenbadehose in dunkelblau oder labberiger Badeanzug aus dem Kaufhaus.
So ist er: In erster Linie sehr langsam. Er schaut unter seiner Badehaube angestrengt geradeaus, um nicht aus der Bahn zu geraten, schnauft ein bisschen und macht im Nichtschwimmerbereich knochenschonende Bewegungsübungen. Meist ist er am Morgen zwischen neun und zwölf im Schwimmbad, immer am gleichen Wochentag und immer für genau dreißig Minuten.
So reagieren die anderen: Der Seniorenschwimmer ist zwar ähnlich wie die Plauderer oft im Weg und mäandert rückenschwimmend durch alle Bahnen, aber niemand kann ihm wirklich böse sein. Denn alte Menschen in Badekleidung sind herzzerreißend. Außerdem wünscht sich jeder, im Alter immer noch genauso beweglich zu sein wie sie.
Das sagt er über seinen Schwimmbadbesuch: „So roste ich wenigstens nicht ein. Und zu Hause im Bett mache ich jeden Tag Stretching, also so Dehnübungen, nennt man ja jetzt so, gell.“
Dort triffst du ihn am ehesten: Südbad, Müller'sches Volksbad.
Auf der nächsten Seite: ein königlicher Fisch mit rollenden Augen.
Der Meckerer
Das trägt er: Als Mann Schwimmshorts mit weitem Bein. Als Frau: Einen leidlich sportlichen Bikini oder einen Badeanzug aus dem Sonderangebot im Sportgeschäft. Ab und an gehört auch eine Schwimmbrille zum Outfit – allerdings bloß eine aus dem Drogeriemarkt.
So ist er: Der Meckerer hat zwei Gesichter. Zeitweise besteht er darauf, drei Mal die Woche ins Schwimmbad gehen zu müssen, um sich wohl zu fühlen, dann geht er wieder vier Wochen gar nicht. Sobald er da ist, fühlt er sich allerdings als königlicher Fisch im Wasser und macht Tempo, meist im Brustschwimmen. Hin und wieder versucht er sich auch im Freistil, kann seine Bewegungen aber nicht richtig koordinieren. Ansonsten ist er damit beschäftigt, mit den Augen zu rollen und sich darüber aufzuregen, wie voll das Becken ist, wie langsam die Senioren und wie rücksichtslos die Kampfkrauler sind. Nach einer Dreiviertelstunde verlässt er wutschnaubend das Wasser, behauptet, sich eigentlich mindestens eine Stunde Schwimmzeit vorgenommen zu haben und nur wegen des überfüllten Beckens aufgeben zu müssen – ist aber in Wahrheit heilfroh, einen guten Grund zu haben, das mit dem Sport für heute zu lassen.
So reagieren die anderen: Der Meckerer ist, anders als der Kampfkrauler, angreifbar, weil es möglich ist, ihm in die Augen zu schauen oder ihn auch mal am Beckenrand anzutreffen, wo er verschnauft und vor lauter Erschöpfung kaum sprechen kann. Darum bekommt er auch am ehesten einen blöden Spruch gedrückt: „Können Sie nicht ein bisschen vorsichtiger sein?“, sagt der Seniorschwimmer, „Was macht denn der so einen Stress?“, sagt die eine Plauderin absichtlich laut zur anderen.
Das sagt er über seinen Schwimmbadbesuch: „Ich weiß auch nicht, warum ich mir das immer antue, die Keime im Wasser, die Rücksichtslosigkeit und diese jungen Dinger in ihren Bikinis, die gar keinen richtigen Sport machen. Aber ich schlaf danach halt so gut.“
Dort triffst du ihn am ehesten: Michaelibad, Olympia-Schwimmhalle.
Text: nadja-schlueter - Illustration: katharina-bitzl