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Und unten die glänzende Stadt
Es ist nicht schlimm, keine Dachterrasse zu haben. Darauf kommt es gar nicht an im Leben. Es spielt ja auch nicht dauernd Musik im Hintergrund, es geht beim Fahrradfahren ja auch nicht allen ein goldener Schimmer durchs Haar und es wohnt ja auch nicht jeder junge Stadtbewohner in einer Altbauwohnung mit Stuck an der Decke und Klospülung zum Ziehen. Sagt die Vernunft. Was die Vernunft natürlich nicht so gut kann, ist das kleine Gefühl ersticken, das nie ganz müde wird zu krähen: Aber was, wenn doch?
Und dieses Gefühl ist es auch, das einem sagt: Wenn der Sommer vergeht, ohne dass du einmal irgendwo auf einer Dachterrasse standest, dann war das vielleicht genauso wenig ein richtiger Sommer, wie ein Sommer ohne Grillen, Nacktbaden und Draußensex. Dass man auch auf Abertausende andere Arten einen großartigen Sommer verleben kann, bedenkt so ein Gefühl selten. Es hält lieber fest am Idealbild des urbanen Lebens: Schöne Menschen mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosen befinden sich auf einem Dach, einige stehend, andere fläzend, und unter ihnen liegt glänzend die Großstadt. Sie trinken aus vor Kälte nassperlenden Flaschen und vor lauter Sonnenauf- oder Sonnenuntergangsorange um sich herum haben sie selbst schon ganz glühende Gesichter.
Der Wunsch danach, über allem zu stehen und soviel wie möglich auf einmal von der Schönheit der Welt zu sehen, dem blauen Himmel so weit hinterher zu gucken, dass man fast schon die Erdkrümmung sehen kann, ist im Sommer besonders stark. Einfach die Schuhe in die Luft werfen, fump, das kalte Bier aufmachen und so leben, wie es sonst immer nur in Filmen passiert oder bei den anderen. Vielleicht, weil im Sommer alles näher an einen heranrückt, kein Nass und kein Kalt einen mehr von den Dingen abhält und weil man jetzt schnell und gierig zugreifen muss, bevor alles wieder vorbei ist.
Und im besten Fall muss man bei diesen Gedanken nicht versuchen, an einem ollen Münzfernglas und einer japanischen Reisegruppe vorbei zu gucken, nein, im besten Fall tritt jemand mit nackten Füßen neben einen, drückt einem ein Getränk in die Hand, macht Musik an und sagt: „Hier oben kann man übrigens auch super schlafen.“ Man ist oben und die anderen sind unter einem und der blaue Himmel ist endlos und man selbst ist ihm am nächsten. Und die Dächer, die da jetzt rosa milchig und hier und da metallisch blitzend unter einem liegen, ach ja, die könnten eigentlich auch zu Paris gehören. Denn von oben sieht die Welt immer gut aus.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Chri, 27, und Malina, 25, können von ihrer Terrasse in der Au aus über die Schornsteinfegerleiter auf das Dach klettern. Oft liegen sie ganze Nachmittage hier herum. Sie haben extra einen Gartenschlauch hochverlegt, um sich und das Dach zwischendurch damit abspritzen zu können. Morgens nach dem Ausgehen ist das Dach meist die letzte Station vor dem Zubettgehen, gemeinsam mit einigen Freunden, ein paar Bier und Musik klettern sie hinauf und warten auf den Sonnenaufgang, während über die Gleise hinter ihrem Haus schon die ersten Züge donnern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
David, 22, ist vor zwei Jahren für eine Ausbildung aus Bielefeld nach München gezogen und hatte bei der Wohnungssuche so viel Glück, dass er sich manchmal gar nicht traut, es zu erzählen: Er ist am Arabellapark in ein Haus mit Gemeinschaftsdachterrasse im 16. Stock gezogen. Morgens geht er oft schon vor der Arbeit im Pool schwimmen und an den Wochenenden verbringt er ganze Nachmittage hier oben und genießt den Blick bis zu den Alpen. Manchmal kommen auch Freunde vorbei, mit denen er hier oben ein paar Bier trinkt und etwas isst. Leider sieht das der Hausmeister nicht besonders gern – offiziell dürfen sich hier oben nämlich ausschließlich Hausbewohner aufhalten.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Clara, 27, wohnt in Neuhausen und hat eigentlich zwei Dachterrassen: eine nach vorne zur Straße, von der sie bei Fön bis zu den Alpen sehen kann, und eine zum Hinterhof, von der sie über den Olympiapark schaut. Dafür gibt es aber eine Menge Unkraut zu jäten und bereits zahlreiche in der heißen Sonne verkümmerte Pflanzen zu betrauern. Oft kommen Freunde einfach nur zum Rumhängen vorbei und manchmal stellt Clara den Fernseher zum Fußballgucken raus. Nach Sonnenuntergang bleibt der Steinboden noch lange warm und man kann ewig draußen sitzen bleiben, Wein trinken und über die Lichter der Stadt sehen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Tatjana, 23, ist vor eineinhalb Jahren in das völlig unscheinbar aussehende Nordschwabinger Wohnhaus mit der riesigen Gemeinschaftsdachterrasse eingezogen und will nie wieder weg. Morgens macht sie auf dem Dach oft Sport, nachmittags nimmt sie ihre Karteikarten mit rauf, um hier auf einer der vielen Liegen zu lernen. Wenn das an heißen Tagen völlig überfüllte Ungererbad nebenan zu ihr herauf lärmt, freut sie sich doppelt – hier oben ist sie tagsüber oft ganz alleine. Außerdem kann man von hier aus die ganze Leopoldstraße runtersehen und ein bisschen darüber erschrecken, wie unfassbar viele Kirchtürme es allein in Schwabing gibt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Chiara, 26, und Peter, 32, wohnen seit zwei Jahren in ihrer Wohnung mit Dachterrasse in Schwabing. Peter hat inzwischen mindestens hundert Kilo Erde die Treppen hochgeschleppt, um all die Zitronen- und Orangenbäume einzupflanzen. Im Sommer ist die Terrasse für die beiden das fehlende zweite Zimmer ihrer Wohnung. Sie grillen, essen und lesen hier, und manchmal schlafen sie auch draußen. Hin und wieder kommt ein Eichhörnchen zu Besuch, hört man von einem um die Ecke liegenden Balkon eine Irish-Folk-Band ihre Songs proben und sieht auf einer der benachbarten Dachterrassen einen Mann duschen, der gewisse Ähnlichkeiten mit Helmut Dietl aufweist.
Text: mercedes-lauenstein - Fotos: Juri Gottschall