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Überbleibsel einer Stadt

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Mit dem öffentlichen Raum ist es ja ein bisschen wie mit einer WG, in der schon viele Menschen gewohnt haben: Der Grundriss bleibt derselbe, über die Jahre ändern sich die Bewohner, die Wandfarben, Möbel, Pflanzen, das Wetter draußen und damit die Lichtfarbe, in der alles beleuchtet wird. Man geht durch den Flur beziehungsweise die Straßen, man kennt sich aus, man fühlt sich hier zu Hause, und trotzdem wird man das Gefühl nicht los, als gehöre all dies eigentlich jemand anderem. Als wäre man doch immer nur der Neue, der Gast, der, der eben auch mal hier ist, aber keinen echten Anspruch auf die Räumlichkeiten hat.

Dieses Gefühl führt, sowohl in der WG als auch im öffentlichen Raum, zu einer gewissen Nachlässigkeit. Vielleicht sogar zu einer kleineren Verantwortungslosigkeit. Gegenstände, die niemandem zu gehören scheinen, bleiben ewig liegen. Geputzt wird nur oberflächlich. Man macht sich Gedanken wie: „Wird schon jemand anders sich drum kümmern.“ Oder: „Ich bin doch eh irgendwann wieder weg.“ Und so bleibt überall was übrig.

In der WG sind das die Dinge und Macken, für die sich niemand verantwortlich fühlt, weil sie schon so lange da sind. Der kaputte Rührstab. Kratzer oder Risse in Wänden, an Türen, Kippen in Glasflaschen auf dem Balkon. Und in der Stadt sind das: die vergessenen, ausgeschlachteten Fahrradgerippe; Überreste von Konzertplakaten, Wohnungsgesuchen an Ampelpfählen oder von Partyflyern.

Tonnenweise Tesafilm hängt nutzlos in der Stadt rum, von Regen und Sonne ganz bleich gewaschene, halb heruntergerissene Sticker. Die endlosen Lagen der Plakate auf Litfaßsäulen erzählen lange Geschichten über das Kultur-Angebot der Stadt. In den Asphalt eingetretene Kronkorken oder Schuhsohlenabdrücke künden von heißen Sommertagen, an denen der Teer aufweicht. Oder die Milliarden von Kaugummiflecken auf den Gehwegen und Plätzen, mit ihren Hotspots vor Bushaltestellen, Restaurants, Bahnhöfen und Mülleimern: Sie bleiben, egal was sich verändert. Sie sind zu nichtig, um korrigiert oder ausgebessert oder weggekratzt zu werden.

Man könnte einen Walk of Fame machen: „Chewinggums of Maximilianstraße and their famous chewers"

Und es ist gar nicht schlecht, dass das so ist. Im Grunde sind diese Reste eine Art wortloses Stadtarchiv auf der Straße. Darin sind unsere Geschichten verewigt. Sie lassen sich zwar nicht direkt ablesen, aber sie lassen sich zumindest imaginieren. Ob an den Kaugummis eigentlich noch DNA dranklebt? Das wäre toll: Die alle mal anzurufen – die ehemaligen Kaugummikauer einer bestimmten Straßenkreuzung. Sie nebeneinander aufzustellen und sich diese Zufallsgemeinschaft mal genau anzusehen und zu interviewen, das müsste Spaß machen. Erinnern die sich noch an den Moment des Kaugummihinspuckens? Was war da genau los?

Könnte ja auch sein, dass George Clooney dabei ist oder Michael Jackson oder Rihanna und man ihre Kaugummis dann für Millionen Euro auf Ebay versteigern könnte; oder in Gold gießen und mit einer kleinen Plakette versehen: Hier hat Michael Jackson 1998 seinen Kaugummi hingespuckt. Man könnte einen Walk of Fame machen: „Chewinggums of Maximilianstraße and their famous chewers“.

Aber vielleicht ist es auch gut, dass man das nicht macht. Vielleicht müssen sie Geheimnisse bleiben, über die wir hektisch drüberstolpern und drüberhetzen auf dem Weg nach irgendwohin. Vielleicht dürfen sie uns nur manchmal als bemerkenswert auffallen – und sorgen dann dafür, dass wir innehalten und uns im Geheimen irgendeine irre Geschichte zu ihnen ausdenken; oder in Erinnerungen verfallen. Denn das sind diese Reste auch: Mahnmale, die zeigen, wie schnell die Zeit vergeht.

Text: mercedes-lauenstein

Dieses Gefühl führt, sowohl in der WG als auch im öffentlichen Raum, zu einer gewissen Nachlässigkeit. Vielleicht sogar zu einer kleineren Verantwortungslosigkeit. Gegenstände, die niemandem zu gehören scheinen, bleiben ewig liegen. Geputzt wird nur oberflächlich. Man macht sich Gedanken wie: „Wird schon jemand anders sich drum kümmern.“ Oder: „Ich bin doch eh irgendwann wieder weg.“ Und so bleibt überall was übrig.

 

In der WG sind das die Dinge und Macken, für die sich niemand verantwortlich fühlt, weil sie schon so lange da sind. Der kaputte Rührstab. Kratzer oder Risse in Wänden, an Türen, Kippen in Glasflaschen auf dem Balkon. Und in der Stadt sind das: die vergessenen, ausgeschlachteten Fahrradgerippe; Überreste von Konzertplakaten, Wohnungsgesuchen an Ampelpfählen oder von Partyflyern.

 

Tonnenweise Tesafilm hängt nutzlos in der Stadt rum, von Regen und Sonne ganz bleich gewaschene, halb heruntergerissene Sticker. Die endlosen Lagen der Plakate auf Litfaßsäulen erzählen lange Geschichten über das Kultur-Angebot der Stadt. In den Asphalt eingetretene Kronkorken oder Schuhsohlenabdrücke künden von heißen Sommertagen, an denen der Teer aufweicht. Oder die Milliarden von Kaugummiflecken auf den Gehwegen und Plätzen, mit ihren Hotspots vor Bushaltestellen, Restaurants, Bahnhöfen und Mülleimern: Sie bleiben, egal was sich verändert. Sie sind zu nichtig, um korrigiert oder ausgebessert oder weggekratzt zu werden.

Man könnte einen Walk of Fame machen: „Chewinggums of Maximilianstraße and their famous chewers"

Und es ist gar nicht schlecht, dass das so ist. Im Grunde sind diese Reste eine Art wortloses Stadtarchiv auf der Straße. Darin sind unsere Geschichten verewigt. Sie lassen sich zwar nicht direkt ablesen, aber sie lassen sich zumindest imaginieren. Ob an den Kaugummis eigentlich noch DNA dranklebt? Das wäre toll: Die alle mal anzurufen – die ehemaligen Kaugummikauer einer bestimmten Straßenkreuzung. Sie nebeneinander aufzustellen und sich diese Zufallsgemeinschaft mal genau anzusehen und zu interviewen, das müsste Spaß machen. Erinnern die sich noch an den Moment des Kaugummihinspuckens? Was war da genau los?

 

Könnte ja auch sein, dass George Clooney dabei ist oder Michael Jackson oder Rihanna und man ihre Kaugummis dann für Millionen Euro auf Ebay versteigern könnte; oder in Gold gießen und mit einer kleinen Plakette versehen: Hier hat Michael Jackson 1998 seinen Kaugummi hingespuckt. Man könnte einen Walk of Fame machen: „Chewinggums of Maximilianstraße and their famous chewers“.

 

Aber vielleicht ist es auch gut, dass man das nicht macht. Vielleicht müssen sie Geheimnisse bleiben, über die wir hektisch drüberstolpern und drüberhetzen auf dem Weg nach irgendwohin. Vielleicht dürfen sie uns nur manchmal als bemerkenswert auffallen – und sorgen dann dafür, dass wir innehalten und uns im Geheimen irgendeine irre Geschichte zu ihnen ausdenken; oder in Erinnerungen verfallen. Denn das sind diese Reste auch: Mahnmale, die zeigen, wie schnell die Zeit vergeht.

 

Text: mercedes-lauenstein

 

Verrückte WG-Geschichte: 

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