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Überall Namen, nirgends Gesichter

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Ihr seid alle Jahrgang 1995, habt also nie einen anderen Bürgermeister als Christian Ude erlebt. Könnt ihr euch ein München unter einer anderen Partei als der SPD überhaupt vorstellen?
Edina: Ich würde meine Hände dafür ins Feuer legen, dass viele auf meiner Schule nicht wissen, dass Ude zur SPD gehört.
Nathan: Der Ude ist ein uriger Kerl, ein richtiger Münchner. Den könnte man schon fälschlicherweise zur CSU stecken.
Edina: Mich hat gestern jemand gefragt: „Willst du jetzt wieder die CSU wählen? Der Ude war doch schon lange genug da?“. Gut, dass der noch 17 ist und nicht wählen darf. (lacht)
 
Wie nehmt ihr den Wahlkampf wahr?
Edina: Über die Plakate.
Nathan: Schmid hat ein hübsches Gesicht auf den Bildern.
Tanja: Es gibt ja auch Photoshop.
 
Josef Schmids Plakate wirken sehr modern. Spricht euch das an?
Edina: Ich finde die Plakate sehr 08/15. Da sind nur Sprüche drauf, die man schon kennt.
Nathan: Ich finde die schon gut gemacht. Das ist auch der Grund, warum ich ein bisschen Angst habe, dass er doch gewinnt. Ich glaube, dass das viele Leute, auch junge, anspricht. Aber seine Partei ist dann trotzdem voller konservativer Menschen aus dem Jagdverein, um es mal überspitzt zu sagen. Und die würde ich nicht wählen.
Tanja: Apropos „modern“: Beim OB-Check des Kreisjugendrings wurde unter anderem gefragt: „Was ist ein Selfie?“. Da kamen sehr lustige Antworten. Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber einer hat gesagt: „Das ist ein Bild auf dem Klo“.
Nathan: Wer hat’s gewusst?
Tanja: Sabine Nallinger.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Von links: Tanja (FOS), Nathan (Gymnasium) und Edina (Mittelschule) sind 18 und gehen in München zur Schule. Nathan und Edina wählen in München, Tanja in Pfaffenhofen. Die drei sind StadtschülerInnenvertreter.
 
Redet ihr mit euren Freunden über die Wahl? Wählen alle?
Edina: Ich habe einen sehr großen Freundeskreis, von Sendling bis Neubiberg. Aber ich bin die einzige, die darüber redet. Ich komme aus Bosnien, viele meiner Freunde sind Ausländer und denken: „Ich zähl’ ja eh nicht. Wieso sollte ich also wählen gehen oder mich politisch engagieren? Warum soll ich mich für andere einsetzen?“ So habe ich auch gedacht, bevor ich bei der StadtschülerInnenvertretung war.
Nathan: Meine engen Freunde sind schon interessiert, die sind auch in der Schülervertretung. Diejenigen, die sich politisch engagieren, sind auch interessiert. Die anderen eher nicht so.
Tanja: Meine Freunde gehen schon wählen, aber es wird nicht viel drüber geredet.
     
Habt ihr das Gefühl, dass viele eurer Freunde das wählen, was auch ihre Eltern wählen?
Nathan: Ich glaube, das ist automatisch so. Wie willst du mit 18 schon eine völlig eigenständige Persönlichkeit und eine eigene Meinung entwickelt haben? Fast alle Menschen wählen einfach drauflos, weil sie nicht wissen, ob die ganzen Wahlversprechen eingehalten werden.
Tanja: Nach der Bundestagswahl, das erste Mal, dass ich wählen durfte, habe ich mit meinen Eltern gesprochen, und wir haben festgestellt, dass sie ähnliche Interessen haben.
 
Wie seid ihr vor der Wahl informiert worden?
Edina: Auf der Mittelschule wurde es nicht angesprochen.
Nathan: Bei mir hat der Sozialkundelehrer es erwähnt und uns ein Heftchen in die Hand gedrückt, in dem erklärt wird, wie das mit der Kommunalwahl funktioniert.
Tanja: Bei mir ist das in der Schule nie angesprochen worden.
 
Wie habt ihr das dann überhaupt mitbekommen?
Nathan: Durch Freunde.
Edina: Wir haben mal in der Innenstadt mit der Partei Die Freiheit diskutiert. So habe ich erfahren, dass Kommunalwahlen sind.
Nathan: Ich habe eine E-Mail von meiner Vormieterin bekommen. Sie hat geschrieben: „Geht wählen gegen rechts!“ Bei der Briefwahl habe ich dann gesehen, dass sie auf der Liste der Grünen steht.
 
Wie habt ihr euch dann vor der Wahl informiert?
Nathan: Im Internet, auf den verschiedenen Webseiten der Parteien und Kandidaten, und vor allem habe ich das Gespräch gesucht mit meinen Freunden.
Tanja: Ich habe einfach querbeet durchgegoogelt. Und dann war ich eben noch auf diesem OB-Check.
 
Ist euch der Wahlvorgang klar? Wie viele Stimmen man hat, wie man die verteilen kann . . .
Edina: Mir hat das niemand erklärt. Ich wusste aus dem Internet, dass man 80 Stimmen hat. Ich dachte, die wären auf zwei bis drei DIN-A4-Seiten zu verteilen. Ich habe dann meine Lehrerin gefragt. Als sie mir gesagt hat, dass das ein 1,40 Meter langer Zettel ist, habe ich sie doch noch mal gebeten, mir zu erklären, wie das alles geht. Sie hat es mir dann aufgemalt.
Tanja: Bei der Bundestagswahl habe ich Briefwahl gemacht und da wurde der ganze Vorgang noch mal erklärt. Aber ich fand es schon krass, als ich das erste Mal diese Wand von Namen vor mir hatte und überhaupt keine Gesichter.
    
Ihr sagt, viele eurer Freunde interessieren sich nicht für Politik. Wie könnte man das ändern? Zum Beispiel, indem man das Wahlalter auf 16 herabsetzt?
Tanja: Das fände ich nicht so gut. Ich bin jetzt noch sehr unsicher in meiner Entscheidung. Meine Stimme hat ja auch Gewicht, und dafür fühle ich mich noch zu wenig informiert.
Edina: Aufklärung ist wichtig. In jeder Schulform, egal ob Gymnasium oder Realschule.
Nathan: Ein Fach „Politik“ an der Schule wäre völliger Schmarrn. Das wäre langweilig. Das Verständnis, warum man wählen sollte, kann so eine Theoriestunde nicht liefern. Ich hatte bisher noch keinen Sozialkundelehrer, der mich begeistert hat. Die Leute, die mich begeistern, sind die alten Säcke. Diejenigen, die erzählen, was sie wollen, weil sie keine Angst mehr haben, gefeuert zu werden. Ich vermisse oft die Solidarität. Ich hatte Glück, meine Eltern helfen mir finanziell. Ich muss mein Studium nicht einmal selbst finanzieren. Ich habe alles. Und trotzdem gehe ich wählen. Nicht, damit meine Welt besser wird – die ist eh schon viel zu gut. Aber weil ich durch meine Stimme auch etwas für andere Menschen tun kann. Solidarität bedeutet für viele von uns gar nichts mehr, deshalb gehen viele von uns auch nicht wählen. Deshalb gibt es auch Politikverdrossenheit.


Text: charlotte-haunhorst - und Kathrin Hollmer; Foto: Charlotte Haunhorst

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