- • Startseite
- • Jetzt_München
-
•
Steigt in die Brunnen!
Es ist zwei Uhr nachts, als die beiden Mädchen durch den Wittelsbacher Brunnen spazieren. Wahrscheinlich ist ihnen in einem der Clubs auf der Feierbanane zu warm geworden. Die Nacht ist ja nicht weniger heiß als der Tag. Jetzt sind die Säume ihrer Kleider jedenfalls nass, und sie strecken die Arme aus zu den sprudelnden Fontänen. Zwei kleine Anita Ekbergs – Fellinis Hauptdarstellerin in „La Dolce Vita“, die nachts im Fontana di Trevi badet. Im Film.
In Wirklichkeit darf man im Fontana di Trevi nicht baden. Und auch in München irritiert irgendwas an dem Bild. Auch wenn es ein sehr schönes Bild ist. Auch wenn es aussieht, als würden die beiden das Leben gerade sehr, sehr genießen.
Denn es ist doch so: Brunnen sind Sehnsuchtsorte. Gerade jetzt, wo in der Stadt eine Wand aus Saharadunst hängt, erscheinen sie manchmal wie Fata Morganen. Wie Sinnestäuschungen unseres Hirns, das sich nach Erfrischung sehnt: Fontänen, kühler Sprühnebel, Wellen, die mit dem Licht der Sonne spielen. Näher ist eine Abkühlung beim Durchwandern der Stadt nie. Aber wirklich reinspringen? Einmal untertauchen? Nein. Never!
Das "Betreten verboten!"-Schild im Kopf
Irgendwo ist da nämlich auch eine unsichtbare Barriere. Zunächst mal in unserem Kopf: Die Leute würden doch komisch schauen. Und ganz sicher würde ein altes Mütterlein zetern. Dreckig ist so ein Brunnen ja wahrscheinlich auch. Trotzdem seltsam: Wir springen in jeden Fluss, jeden Bach und jeden Pool der Stadt. Sogar in die Planschbecken, die Bars aufstellen. Aber Brunnen, die bleiben unberührt. Warum, zum Teufel?
Vielleicht versteckt sich das Problem schon im Namen: Brunnen heißen Zierbrunnen, wenn sie nicht als Quelle dienen, nicht dazu da sind, die Bevölkerung mit Wasser zu versorgen. Zierde also! Und damit zwar Teil des öffentlichen Raumes, aber eben mehr Blumenbeet als Wiese im Park. Mehr Deko als Nutzwert. Zum Anschauen da, nicht zum Erfahren. Sie sind ein Teil der Stadt, den wir im Kopf mit einem „Betreten verboten“-Schild markiert haben, selbst wenn da zunächst keines ist.
Oder? Wie verboten ist das eigentlich? Schnell mal nachgefragt bei der Stadt: Manche Gemeinden erlauben das Baden in ihren Brunnen nämlich tatsächlich nicht. Andere geben bestimmte frei. München zum Beispiel. Ein bisschen zumindest. Die Grünanlagensatzung verbietet zwar grundsätzlich das „Baden in Gewässern außer in Freibadegeländen“. Aber: Kinder, die kreischend durch die Fontänen des Stachusbrunnens rennen zum Beispiel, die gehören hier nun mal zum Sommergefühl wie die Schlange vorm Ballabeni. Kinder im Stachusbrunnen also: völlig okay. Viele Brunnen, etwa der Wittelsbacher, stehen aber unter Denkmalschutz und sind laut Baureferat „nicht dafür konzipiert, um darin baden zu können“.
Brunnenbaden - für Facebook oder für die Romantik?
Sich im Brunnen abzukühlen, das wird also toleriert. So lange es sich im Rahmen bewegt. Klamotten tragen wäre zum Beispiel gut, weil sonst eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses droht – aber das sagt einem nicht nur der Polizeisprecher, sondern auch der gesunde Menschenverstand. Gesundheitlich bedenklich ist das Brunnenbad übrigens auch nicht. Obwohl man das Wasser nicht trinken sollte und es nicht auf Badewasserqualität hin untersucht wird. Was von Behördenseite sonst so rauszuhören ist: Bei der Hitze sehe man die Sache mit den Brunnen nicht so streng.
Nicht so richtig erlaubt also, was die beiden Ekbergs da getrieben haben. Aber ob ein Polizist die wirklich rausgezogen hätte: fraglich. Das „Betreten verboten“-Schild hängt also tatsächlich mehr im Kopf als am Brunnen. Wer kein Kind mehr ist, belässt es höchstens dabei, die Füße ins Wasser zu hängen. Und wer doch hineinspringt, inszeniert das fast schon als zivilen Ungehorsam – und lädt ein Video bei Youtube hoch. Für den Rest bleibt das Brunnenbad eine romantische Fantasie.
Vielleicht ist auch die Historie schuld an diesem ambivalenten Verhältnis zum Brunnen? Er war dem Menschen ja lange eine lebensspendende Angelegenheit. Dann ein Objekt der Verklärung, der Faszination. In allen möglichen Erzählungen spielt er eine Neben- bis Hauptrolle: als Motiv des Ursprungs, der ewigen Jugend, des tödlichen Abgrunds. Zieht er uns deswegen irgendwie magisch an? Noch heute schreiben wir ihm schließlich übernatürliche Kräfte zu und werfen im Urlaub ein paar Münzen ins Wasser, um uns der Rückkehr zu versichern. Eine Huldigung. Von außen. Mit Respekt. Ehrfrucht eigentlich eher.
Deshalb noch mal zurück zur Nacht: Nachts ist der Übermut schließlich größer als die Ehrfurcht. Nachts tut man Dinge, die man sonst nicht tut. Die Nacht hat ihre eigene Magie. Erwachsene werden durch sie manchmal wieder zu Kindern – und „Verboten“-Schilder zu „Ausprobieren, unbedingt!“-Plakaten. Vor allem die im Kopf. Los also! Seid die Ekbergs. Ab durch die Fontänen, kreischend wie Kinder. Die Stadt gehört uns, und die Nacht erst recht. Zierde ist der Brunnen morgen wieder.
Text: laura-kaufmann - Illustration: Daniela Rudolf