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So viel unentdecktes München
Den alten Peter hat man mal erklommen, genauso wie man schon frühmorgens aus dem Pimpernel gestolpert ist. Irgendwann hat man dann auch den Rosengarten und andere Kleinode entdeckt, schließlich den Lieblingsbiergarten bestimmt und ist mit alldem zwar hochzufrieden, fragt sich aber hin und wieder: Geht da noch ein bisserl was, München? Manchmal fürchtet man eben, fast alle Winkel dieser großen und doch ziemlich überschaubaren Stadt bereits zu kennen.
Darin liegt wohl auch eine Antwort auf die Frage, warum die Hofflohmärkte von Schwabing bis Giesing immer so gut besucht und beliebt sind, dass an diesem Freitag in Haidhausen der erste abendliche Hofflohmarkt stattfindet: Es gab nämlich schlichtweg keine freien Samstagvormittage mehr, heißt es bei der Agentur „Viertelvorstadt“, die viele der Hofflohmärkte organisiert. Am nächsten Morgen wird schon wieder in den Höfen von Sendling gestöbert. Doch eigentlich geht es ja gar nicht ums Kruschen, sondern darum, die Höfe zu betreten, die sonst hinter und zwischen den Häusern verborgen sind oder an denen man achtlos vorbeigeht.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Theoretisch könnte man jederzeit in diesen offenen Hinterhof hineinspazieren. Man macht es bloß meistens nicht.
Klar, es gibt diese wunderschönen Premium-Hinterhöfe, etwa die efeubewachsenen Altbau-Höfe, in denen der Lärm der Straße nicht einmal mehr zu ahnen und nur noch Vogelzwitschern zu hören ist, die geschäftigen Höfe mit alten Werkstätten, in denen gehämmert, gemeißelt oder an Fahrrädern geschraubt wird. Oder diese Nachbarschaftshöfe, in denen die Hausgemeinschaft unter einer knorrigen Eiche einen Biertisch samt zwei Bänken platziert hat und an den Wochenenden von Zeit zu Zeit ein Grillfest feiert. Die meisten Höfe erscheinen dagegen erstmal unspektakulär, wie der Hof hinter unserem Haus: An einer Wäschespinne trocknen ein paar ausgeblichene T-Shirts, am anderen Ende des Hofes stehen unter einem Unterstand ineinander verkeilte Fahrräder. Aus der übervollen Papiertonne guckt ein Stück Paketkarton.
Doch so ein Hof muss auch gar nicht schön sein, sein Zauber besteht darin, dass er weder ein wirklich privater, noch ein wirklich öffentlicher Ort ist – und gleichzeitig eine höchst urbane Angelegenheit. Denn in Suburbia und draußen auf dem Dorf, wo die Menschen in ihren großen Einfamilienhäusern wohnen, da gibt es vor allem sehr private Rasenflächen hinter Hecken und Zäunen. Im Hof dagegen gehen nicht nur die Bewohner ein und aus, auch Besucher und Paketboten, und manchmal stellt sich jemand dorthin, um vermeintlich in Ruhe zu telefonieren. Die Dramen, die sich in solchen Telefonaten abspielen, kann man aber auch noch an den offenen Fenstern in den obersten Stockwerken der umliegenden Häuser mitverfolgen.
Lässt man sich bei einem der vielen Hofflohmärkte von einem Hof zum nächsten treiben, wird einem überhaupt erst einmal bewusst, wie viel unentdecktes Gebiet uns die Stadt noch bietet. In jedem Viertel Hunderte Höfe! Auch wenn wir die Menschen nicht kennen, die in den Häusern rund um diesen Hof wohnen, sie öffnen ihre Türen für uns, ausnahmsweise, und da ist dann so viel München, das wir noch nie gesehen haben, und wir versuchen, uns alles ganz genau einzuprägen, um es ja nicht wieder zu vergessen, denn morgen sind die Türen schließlich wieder verschlossen. Uns ist zwar auch manche Straße in Laim oder in Obergiesing unvertraut, aber die könnten wir immer entlangschlendern, wenn wir wollten sogar von daheim auf dem Sofa via „Google Maps“.
Den einen, quasi den Münchner Hinterhof, den kennt man allerdings auch vom auf dem Sofasitzen, nämlich aus dem Fernsehen: Den Hof in der Widenmayerstraße 2. Dort befand sich eine Werkstatt, in der ein kleiner Klabautermann mit feuerrotem Haar mit Streichen und selbstgedichteten Versen die Nerven eines Schreinermeisters arg strapazierte. Um all die anderen Münchner Hinterhöfe zu betreten, muss man dann aber doch das Haus verlassen. Zum Glück werden wohl, allen Hofflohmärkten zum Trotz, ganz bestimmt immer genug zum Entdecken übrig bleiben.
Text: juliane-frisse - Foto: Juri Gottschall