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Selbst ist der Münchner
Das Schaufenster des Huij sieht aus wie ein analoges Wohnblog. In dieser Mischung aus Café, Laden und Do-it-yourself-Werkstatt wirkt alles improvisiert und akribisch dekoriert zugleich, von der Bruce-Springsteen-Platte auf dem Fensterbrett bis zur Lichterkette über der Durchreiche. Durch das Schaufenster sieht man zwei Biertische, die zur Arbeitsplatte umfunktioniert sind.
Im Dezember haben Anuschka Linse, 27, Anja Spiegler, 26, und Kirsten Langsdorf, 35, das Huij (das übrigens einfach „Hui“ ausgesprochen wird) eröffnet. Der Name soll ausdrücken, wie ihr Laden entstanden ist: „Wir wollten das einfach machen, sofort“, sagt Anuschka, „und dann haben wir wirklich ganz schnell diese Räume gefunden. Das ging so. . . hui!“ Schon seit zwei Jahren bedrucken sie für ihr Label Leistungsdruck T-Shirts und Stoffbeutel. Im Sommer waren sie auf eine Ausstellung eingeladen und haben den Besuchern an ihrem Stand das Siebdrucken beigebracht. Viele haben gefragt, ob sie das nicht auch außerhalb der Ausstellung machen. Dafür haben sie das Huij eröffnet – aber nicht nur dafür. Donnerstags bis samstags geben sie Workshops in Stricken, Buchbinden oder Etagerenbauen oder bieten ihre Räume als offene Werkstatt an. Die Workshop-Themen wählen sie auch nach eigenen Interessen aus – sie bieten an, was sie selbst gerne lernen wollen. Auf einer Tafel neben der Eingangstür sammeln sie Ideen.
Anuschka, Kirsten und Anja sind die neuste Anlaufstelle für DIY-Freunde in München. Deshalb haben wir ihnen mal die Fragen gestellt, die wir uns bei dem Thema schon länger stellen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kirsten (links) und Anuschka im Selbermachmodus.
Wie kam der DIY-Trend nach München?
„München ist immer der Ort, zu dem Trends als letztes kommen. DIY gibt es aber schon ganz lange in der Stadt – man muss nur an das Kafe Kult in Oberföhring denken, das gibt es seit fast 13 Jahren. So Läden wie das Huij, wo jeder mitmachen kann, eröffnen vermehrt seit ein, zwei Jahren. Da passiert viel in Haidhausen und hier im Westend. Aber auch in Laim, wo ich wohne, habe ich einen Nähladen in der Straße. Leute wie wir haben keinen Bock mehr auf fremdbestimmte Jobs und machen selbst etwas Kleines auf. Heute lernt man nicht mehr einen Beruf und ist dann ein Leben lang in einer Firma. Etwas auszuprobieren ist nicht mehr so riskant, weil man auf dem Arbeitsmarkt gar nicht so viel bessere Perspektiven hat. Man weiß nie, wie lange ein Laden läuft, bevor man es ausprobiert hat. Das ist wie bei Beziehungen.“ (Kirsten)
Wie konnte das Selbermachen überhaupt zum Trend werden?
„Ich habe schon immer Sachen selbst gemacht, für mich ist das kein Trend. Unsere Mütter und Omas haben sich ihre Kleider selbst geschneidert, weil es billiger war. In der linken Szene hat man sich die Klamotten selbst genäht und gegärtnert, weil man sich von der Konsumwelt abkapseln wollte. Und auch, weil man keine Kohle hatte. Seit ein paar Jahren ist DIY cool – wobei man sagen muss: Es ist in diesem Land und in einer gewissen sozialen Schicht cool. Angefangen hat das vor zehn Jahren, da sind stylische DIY-Bücher erschienen, seit 2009 gibt es das CUT-Magazin, das hier in München gemacht wird. Von der Mode aus hat sich das auf verschiedene Bereiche ausgedehnt.
Früher war es ein Statussymbol, wenn man sich etwas kaufen konnte. Heute gibt es alles im Überfluss, wir können uns alles leisten, da ist es ein Statussymbol, wenn man etwas selbst herstellt.
Außerdem ist es einfach schön, etwas mit den Händen zu machen, man nimmt sich Zeit, setzt sich hin, konzentriert sich. Etwas Selbstgemachtes hat einen ganz anderen Wert, weil wir wissen, wie viel Zeit und Arbeit wir reingesteckt haben. Ich habe am Samstag in einer Bar meine Mütze verloren, in die ich meine H&M-Handschuhe eingewickelt hatte. Ich habe alle Leute in der Bar gefragt, ob sie mir suchen helfen, weil ich die Mütze selbst gestrickt habe. Alle haben geholfen und gesagt, dass es um die wirklich schade wäre. Am Schluss haben wir sie gefunden. Ein Handschuh hat gefehlt, aber das war total egal. Die Mütze hatte ich wieder.“ (Anuschka)
Was kann ich eigentlich alles selbst machen?
„Alles. DIY sagt nur, dass man etwas nicht von einem Lehrer oder in einer Schule, in einer hierarchisch strukturierten Bildungseinrichtung, lernt, sondern sich etwas freiwillig allein oder in einer Gruppe beibringt. Das sind Handwerkstechniken wie Stricken, Sticken, Häkeln, Nähen, das Arbeiten mit Holz, Keramik oder Metall. Ich würde noch einen Unterschied zum Upcycling machen. Das bedeutet, dass man alte Sachen wieder verwendet und dabei aufwertet, zum Beispiel ein Regal aus einem alten Koffer baut. DIY sind aber auch abstrakte Sachen, Fähigkeiten, die man weitergibt, zum Beispiel in einem Sprech- oder Theater-Workshop. Auch ein selbst organisierter Radiosender oder ein Kulturzentrum ist DIY. Und Selbstversorgung, Gemüse und Obst anzubauen und haltbar zu machen. Urban Gardening ist gerade ein großes Thema, auch Imkern in der Stadt. Stricken und Häkeln sind immer noch beliebt, und alles, was mit Interior zu tun hat, mit Möbeln und Geschirr.“ (Kirsten)
Und wenn ich gar kein Talent habe?
„In der Druckwerkstatt sind die Leute oft enttäuscht, wenn ein Farbklecks daneben geht oder sie die Schablone nicht ganz exakt ausgeschnitten haben. Ich sage dann immer, dass es nicht darum geht, dass die Sachen wie industriell gefertigt aussehen. Ich sage das nicht, um sie zu beruhigen, sondern weil es viel cooler aussieht, wenn es nicht perfekt ist. Für unsere Kurse und Werkstätten ist kein Vorwissen oder besonderes Talent nötig. Geschenkpapier und T-Shirts mit Stempeln oder Schablonen gestalten kann jeder. Man sollte sich aber trauen, eigene Motive zu entwickeln. So ein Shirt hat dann sonst niemand auf der Welt.“ (Anuschka)
Wird der Trend anhalten?
"In absehbarer Zeit sehe ich noch kein Ende, nicht in den nächsten ein, zwei Jahren und sicher noch nicht in München. Jetzt ist DIY ein Luxusgut, aber es kann auch passieren, dass Selbermachen notwendig wird, weil es ums Überleben geht. Detroit ist ein krasses Beispiel für Urban Gardening. Diese Stadt ist völlig verwaist, die Leute haben nichts, sind alle arbeitslos, da ist aus der Krise heraus eine riesige Gartenkultur entstanden, weil man sein Gemüse selbst anbauen muss. Wünschenswert wäre, dass DIY weder Trend noch aus der Not heraus, sondern einfach ganz normal dazugehört.“ (Anuschka)
Und sonst so? Auf der nächsten Seite findest du eine Übersicht über die wichtigsten DIY-Orte in München.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Huij
Anuschka, Kirsten und Anja zeigen in Workshops, wie man Daumenkinos bastelt, Seifen gießt und Papier schöpft. In der offenen Werkstatt kann man T-Shirts und Stoffbeutel bedrucken, „Klamotten pimpen“, Buchbinden, Stricken oder Häkeln. Einsteiger sind ausdrücklich erwünscht.
Wo? Westendstraße 49
Wie teuer? Die offene Druckwerkstatt kann man für zehn Euro pro Stunde nutzen. T-Shirts und Stoffbeutel gibt es vor Ort für fünf beziehungsweise vier Euro. Papierschöpfen kann man für 15, Buchbinden für zehn Euro pro Stunde. Die Einweisung in die Nähmaschine kostet zehn Euro.
Unbedingt machen: ein eigenes Daumenkino basteln. Damit hat man ein analoges Gif in der Tasche!
Alternativen: Zum Stricken trifft man sich auch bei der „Knit Nite“, bei den „knitalongs“ im Siebenmachen oder beim Strickclub im Café Lotti. Nähkurse und -arbeitsplätze findet man auch in Kristins Nähwerkstatt und im Kleinen Schneiderladen. Wer lieber zu Hause werkelt: Die Münchner Studenten Lucas Bock, Julio Brinkmann und Gabriel Czembor verkaufen mit ihrem Label Sueco Sets für Ledertaschen zum Selbstzusammennähen.
Werkbox3
Die Werkbox3 ist ein großer, gemeinschaftlicher Hobbyraum. Es gibt Schweiß- und Siebdruckkurse für Anfänger und Fortgeschrittene, außerdem kann man lernen, wie man ein Fahrrad in eine Rikscha oder ein E-Bike umbaut.
Wo? Grafinger Str. 6 (auf dem Gelände der Kultfabrik)
Wie teuer? Der Einführungskurs ins Siebdrucken kostet 35, der Schweißkurs 40 Euro.
Unbedingt machen: den Siebdruckgerätebau-Workshop, damit kann man auch zu Hause weiterdrucken.
Alternativen: Siebdrucken kann man auch in der Färberei, im Feierwerk oder bei den DIY-Workshops, die regelmäßig im Kafe Kult stattfinden.
Haus der Eigenarbeit
Das Haus der Eigenarbeit, kurz HEi, gibt es schon seit 20 Jahren. Und dort ist so ziemlich alles geboten, was sich Selbermacher vorstellen können: Polstern, Töpfern, Fotografieren, Ostereier bemalen und Fahrrad reparieren. Es gibt Holz- und Keramik-Workshops, Gold- und Silberschmiedekurse, man kann Möbel restaurieren und nähen. Wer lieber mit dem Kopf arbeitet: Ein Mal im Monat trifft man sich zum Philosophierabend.
Wo? Wörthstraße 42 (Rückgebäude)
Wie teuer? Ein Schweiß-Schnupperkurs kostet 42 Euro, zwei Tage Gold- und Silberschmiedekurs 126 Euro und fünf Abende „Querschnitt Holz“ 157,50 Euro (jeweils sechs Teilnehmer).
Unbedingt machen: sich über die lustigen Seminartitel wundern. Zwei Beispiele: „Dübeln statt grübeln“ und „Frau und Bohrmaschine - kein Problem“
Alternativen: Wie man sein Fahrrad repariert, kann man sich auch bei den Treffen der Bikekitchen zeigen lassen. Töpfern geht auch bei KeramiKunst & Pinselstrich, im MachWerk und bei froh + bunter.
FabLab
Ein „FabLab“ ist eine offene Hightech-Werkstatt. Dort kann man digitale Produktionsmaschinen wie Lasercutter, CNC-Fräsmaschinen und 3D-Drucker ausprobieren. Im Münchner FabLab gibt es Workshops wie „3D Drucken für Einsteiger“, bei dem man ein eigenes Projekt drucken und mit nach Hause nehmen darf.
Wo? Elvirastraße 11 (Rückgebäude)
Wie teuer? Der Laserabend kostet für Nichtmitglieder 30 Euro, die Einführung ins 3D-Drucken 40 Euro.
Unbedingt machen: weit in die Zukunft planen, die Workshops sind lange im Voraus ausgebucht. Nur Zuschauen geht beim nächsten „Open FabLab“ am 3. März. Der Eintritt ist frei.
Alternativen: Um Hightech-DIY geht es auch am 20. und 21. April bei der Maker-Messe „Make Munich“ in der Tonhalle.
O’pflanzt is!
O’pflanzt is! ist ein gemeinnütziger Verein und Gemeinschaftsgarten mitten in der Stadt. Jeder kann kommen und bei Anbau, Pflege und Ernte von Gemüse, Obst und Wildkräutern mithelfen – und natürlich von der Ernte etwas mitnehmen. Die Saison beginnt im April, die Termine werden auf der Website bekanntgegeben.
Wo? Schwere-Reiter-Straße, Ecke Emma-Ihrer-Straße
Wie teuer? Das Mitmachen kostet nichts, manchmal gibt es Aufrufe, ob jemand eine Bohrmaschine mitbringen kann oder Rote-Beete-Samen übrig hat. Für 40 Euro im Jahr wird man Fördermitglied und offizieller „o’pflanzt is!-Gartelfreund“.
Unbedingt machen: in die erste selbstgezogene Tomate beißen. Schmeckt garantiert besser als jede andere Tomate zuvor.
Alternativen: Gärtnern in der Stadt kann man auch mit den Guerilla Gärtnern oder dem Kartoffelkombinat.
Text: kathrin-hollmer - Fotos: juri-gottschall