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Etwas für alle Intoleranten. Das war die Idee von Isabella Hener. Intoleranz ist schließlich ein Problem, das sich quer durch die Gesellschaft zieht. Sie selbst leidet darunter: Laktose. Isabella verträgt keinen Milchzucker. Das ist kein großes Problem, wenn man Zeit hat, selbst zu kochen. Und sehr schwierig, wenn man im Alltag irgendwo essen muss – schnell, auf die Hand. Das wollte die 27-Jährige ändern. Sie könnte damit Teil eines Essenstrends werden, der streng genommen keiner ist, weil es nicht um ein spezielles Gericht geht, sondern um die Verkaufsflächen: umgebaute Kleintransporter, Food-Trucks.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Mit so einem steht Isabella auf dem Streetlife-Festival in der Leopoldstraße, die dunklen Haare zu einem Zopf gebunden, und wartet auf Kundschaft. Und die kommt. Zum Beispiel Maria, 23: rote Haare, Jeansjacke, Umhängetasche aus Leder. Seit einem halben Jahr weiß sie, dass sie keine Fruktose verträgt. Im Internet ist sie auf den Blog von Isabella gestoßen und wollte mal sehen, was die so anbietet. Maria sieht: vor allem sogenannte Whoopies, eine aus den USA stammende Art Doppelkeks aus weichem Muffinteig, gefüllt mit einer süßen Creme. „Mandel-Whoopie mit fruchtiger Brombeer-Limetten-Creme“ heißt eine Geschmacksrichtung. Daneben liegt das „Grilled Veggie“, ein Sandwich mit gegrillter Zucchini, Aubergine, Basilikum und veganer Mayonnaise. Zum Winteranfang sollen Currys und Suppen dazu kommen. Die Produkte enthalten entweder kein Gluten, sind laktosefrei oder fruktosearm. Und regional und, wo es geht, mit Bio-Zertifikat eingekauft.
 
„Mir geht es um gesundes, hochwertiges Essen“, sagt Isabella. „Um etwas Neues, nicht um Currywurst oder Pommes.“ Seit Mitte August ist die Münchnerin mit ihrem Food-Truck-Angebot „Die intolerante Isi“ in der Stadt unterwegs. Früher arbeitete Isabella in einer Werbeagentur, kündigte jedoch Ende 2013, um sich ganz auf ihre Idee zu konzentrieren.
 
Offizielle Statistiken, wie viele Food-Trucks – nicht zu verwechseln mit Anhänger-Buden – durch Deutschland fahren, gibt es nicht. Aber eine Seite namens „Food Trucks in Deutschland“. Dort sind bisher 34 gelistet, die meisten in Berlin und Nürnberg. Dass sie auch hierzulande ein lukratives Geschäft sein können, zeigt etwa „Swagman“ aus Nürnberg, der als erster Food Truck im Land gilt. 2013 wurde er von einem Fachmagazin als „bester Food Truck Deutschlands“ ausgezeichnet. Peter Appel, der das Geschäft zusammen mit seiner Lebensgefährtin führt, hat zwei Trucks. Bayreuth und Nürnberg. Angeblicher Jahresumsatz: 250.000 Euro.
 
Die „intolerante Isi“ ist noch nicht auf der Food-Truck-Liste. München ist dort insgesamt unterrepräsentiert. Weil die Stadt spät dran ist. Die Zahl der Trucks ist noch im einstelligen Bereich. Bei „Napo Amo“ gibt es etwa neapolitanische Straßenküche und bei „Supperb“ Suppen. „Chivito the Sandwich King“ will die besten belegten Brote anbieten und „Pizza Innovazione“ besondere Pizzen. Vergangene Woche ging „Grillin me softly“ mit New Yorker Delikatessen an den Start, ab Mitte November soll es bei den „Isardogs“ Hotdogs geben. Fast alle Betreiber werben mit ausgewählten Zutaten, die sich vom üblichen Imbissbuden-Angebot unterscheiden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
„Food Trucks zeigen, wie stark sich unsere Gewohnheiten in Bezug auf Mahlzeiten verändern“, sagt Christine Brombach, Ernährungswissenschaftlerin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Es gebe zwar noch immer grobe Zeitfenster, zu denen die meisten Menschen frühstücken oder zu Mittag essen. „Aber an den Rändern wird es zerfaserter. Da finden solche mobilen Systeme womöglich ihren Platz.“ Wir wünschen uns immer mehr „Convenience-Charakter“ für unser Essen, wollen aber trotzdem etwas Hochwertiges. Fertiggerichte in gesund also. Fast-Food-Ambiente mit der Möglichkeit, Frische und Qualität zu bekommen. Der Trend mit den Wagen ist für Brombach damit „etwas Altes in neuem Gewand“. Wie erfolgreich das allerdings sein kann, konnte man in den vergangenen Jahren sehen, als Burger bio und vegetarisch-gesund wurden, oder Muffins mit Creme-Topping plötzlich Cupcakes hießen – und zum Trendessen wurden.
 
„Food-Trucks verbinden außerdem das sogenannte Eating-on-the-Go mit Erlebnisgastronomie“, sagt Brombach. „Ich muss nicht weit gehen, das Essen kommt zu mir.“ Unter Erlebnisgastronomie versteht man normalerweise Angebote, die Essen mit Unterhaltungsprogrammen – zum Beispiel mit Musik – verbinden. Bei den Trucks sei der herumfahrende Truck selbst das Erlebnis: „Der ist spannender als eine klassische Imbissbude, die eher altbacken wirkt“, so Brombach.
 
Isabella fand ihren Truck auf Sylt. Der vorherige Besitzer verkaufte dort Cupcakes. Sie nahm ein privates Darlehen auf und bekam einen Gründungszuschuss der Arbeitsagentur. Den Rest finanzierte sie über Crowdfunding. Mehr als 100 Menschen gaben Geld. Viele auch von außerhalb Münchens. Je nach Höhe des Beitrags gab es zum Dank etwa Whoopies oder Gutscheine für einen der Koch- und Backkurse, die Isabella ebenfalls anbietet. Ihr Plan war es, innerhalb von einem Monat auf 5000 Euro zu kommen. Nach gut zwei Wochen waren es schon 4000. „Der letzte Teil kam dann kurz vor Schluss.“ Nachdem sie ihre Idee auf Portalen über Lebensmittelunverträglichkeiten geteilt hatte. Der Markt ist offenbar da.
 
Mit dem Marktplatz gibt es dafür manchmal noch Probleme: In Deutschland darf man sich – anders als in den USA – nicht einfach irgendwo hinstellen, sondern braucht eine Genehmigung. Entweder eine Sondergenehmigung der Stadt – beispielsweise für Straßenfeste – oder eine private von einer Firma oder einer anderen Einrichtung. Isabella war bisher schon auf dem Isarinselfest und ist sonst dienstags bis freitags zur Mittagszeit unterwegs. Mittwochs ist sie zum Beispiel auf dem Neue-Balan-Gelände, auf dem unter anderem eine Werbeagentur und ein Ingenieurbüro sitzen. Jeden Donnerstag steht sie in einem Innenhof in der Leopoldstraße 175 – ein paar hundert Meter zum Petueltunnel. Eine Gegend, in der man ins Büro geht, nicht Shoppen. „Tendenziell kommen eher Leute zu mir, die mehr Geld haben oder besonderen Wert darauf legen, was sie essen. Altersmäßig liegt der Schnitt so um die 30“, sagt sie.
 
Und warum kommt der neue Trend jetzt erst in München an? Christine Brombach sagt, in München gebe es ein zu vielseitiges Essensangebot. „Da ist es schwer, dass sich etwas Neues etabliert.“ Zudem herrsche ein anderes Preisniveau als beispielsweise in Berlin. Jetzt, wo der Trend dort und in Nürnberg anscheinend funktioniert, werde er eben dahin gebracht, wo viel Geld ist: München. In dem Angebot an Food-Trucks sieht sie deshalb durchaus Potenzial. Ob sie sich langfristig halten werden? „Man muss abwarten.“
 
Unwahrscheinlich ist es aber nicht. Oder wer hätte vor fünf Jahren gedacht, dass es hier irgendwann gefühlt 100 Burgerläden mit Bio-Trüffel gibt – und keinen mit einem Sitzplatz? Nur, weil die aus etwas Altem etwas Neues gemacht haben.

Text: okan-bellikli - Fotos: juri-gottschall

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