- • Startseite
- • Jetzt_München
-
•
Roboter statt Ronaldo
„Wenn du einfach mit mehreren Medivacs an verschiedenen Stellen gleichzeitig angreifst und dann mit der Hauptarmee vorne rein drückst, ist das im Prinzip ein Spitzenmanöver. Aber das gilt natürlich nur für Terraner.“ Fachsimpeln über Angriffs- und Verteidungstaktiken ist längst nicht mehr nur Sache von Fußballfanatikern. Während die am vergangenen Sonntagnachmittag in Fußballkneipen den Augsburger Abstiegskampf verfolgen, läuft auf der Leinwand der Campus-Cneipe in Garching die Liveübertragung eines Online-Computerspiels. In Stockholm zocken heute die Profis, München fiebert mit. Auf der Leinwand sieht man die Moderatoren vor ihren Computern, die selbst beobachten und auf Englisch kommentieren, was die Spieler an wiederum ihren Rechnern machen – Fernsehen reloaded. Mehr als 100 Leute sind gekommen, um das Turnier live und vor allem in Gesellschaft zu verfolgen. Mit Bier und Nachos sitzen sie an den Tischen und prosten sich zu. Immer wieder neigen sie ihren Kopf zum jeweiligen Nachbarn, brüllen ihm etwas zu und ernten dafür zustimmendes Kopfnicken. Die Augen weichen dabei meist nur kurz vom eigentlichen Geschehen ab: In einer tristen Landschaft, in der sich graue Steinplatten an spröde Felsen reihen, zermetzeln sich schleimende Insektenroboter in rasender Geschwindigkeit. Nerchio spielt gegen Monster.
An den massiven Holztischen hält sich fast niemand mehr ruhig. Anfeuerndes Grölen mischt sich mit Fangesängen und Pfiffen. Ab und zu steht jemand auf, um die Runde mit neuem Bier zu versorgen. Es entfachen wilde Diskussionen. Die Charakteristiken der einzelnen Spieler werden genau analysiert, gelegentlich schimpft jemand über das genuschelte Englisch der Kommentatoren, und für besonders gute Spielzüge gibt es natürlich Applaus, Jubel und hohe Anerkennung: „Bam! In your face!“
„Ja also, das Publikum ist schon anders als sonst“, sagt Philip von der Campus-Cneipe. Normalerweise treffen sich hier ein paar Studenten der TU in den Lernpausen oder für Projektbesprechungen. Heute Abend musste die Bar ihr Personal verdoppeln. Zum Barcraft – so nennen sich die Starcraft-Übertragungen in Bars – kommen manchmal bis zu 300 Leute aus München und ganz Bayern.
Die Idee eines Münchner Barcraft kam von einer kleinen Gruppe Spieler, dem Munich Starcraft Team (MST). „Seit der Trend vor ungefähr einem Jahr in den USA aufgekommen ist, wurden wir auf unseren Turnieren immer wieder gefragt, ob wir sowas nicht auch in München machen könnten“, sagt Organisator Mike Albertshauser. „Und wo die Nachfrage da ist, braucht es ein Angebot.“ Heute treffen sich die Online-Gamer schon zum dritten Mal zum gemeinsamen Public Viewing. Der 25-jährige Pädagogikstudent hat sich das Managen der Barcraft-Events zur Aufgabe gemacht. Vor Ort hat er alles im Griff. Er checkt das Bild und regelt den Sound. Welche Wettkämpfe übertragen werden, entscheidet das MST nach deren Qualität. Die Auswahl ist groß, irgendein Starcraft-Turnier findet eigentlich jedes Wochenende statt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Gebannte Blicke und Fan-Plakate: Mike Albertshauser (unten rechts) organisiert die Barcraft-Events in München.
Heute handelt es sich um eines der legendären Dreamhack-Turniere. Der Veranstalter steht im Guinness-Buch der Rekorde für die größten LAN-Partys der Welt, hier zocken die ganz Großen: Polt ist allgemeiner Favorit, er kommt aus Korea. Dort ist Starcraft mittlerweile Volkssport. Die Profis verdienen damit ihren Lebensunterhalt und leben in eigenen Teamhäusern, in denen sie ihre Fertigkeiten bis ins kleinste Detail schulen. Beim Turnier in Stockholm traten 128 Teilnehmer an, nach drei Tagen durchgehendem Kampf haben sich die Viertelfinalisten heraus kristallisiert. Darunter ist auch ein Deutscher, er nennt sich Socke.
Fast alle in der Kneipe kennt die Stars. Sie halten Fanschilder in die Höhe, obskure Zeichnungen von roboterähnlichen Wesen mit Flammenwerfern. Obwohl die Barcraft-Gemeinde natürlich stolz auf ihren Landsmann Socke ist, feuert sie alle Spieler mit gleicher Euphorie an. Wenn jemand einen guten Zug macht, belohnt ihn die Menge sofort mit ihren knappen Zurufen, etwa „GG!“ (für Good game) oder „WP!“ (für well played). Es geht scheinbar weniger um den Kampf der Nationalitäten als um gute Taktiken und ein spannendes Spiel. Vor der Leinwand wagen die Zuschauer Prophezeiungen über das Vorgehen der Profis: „Ah, jetzt macht er sich endlich ans scouten! Wirst sehen, gleich warpt er ihm von hinten was rein!“
Neun Stunden dauert es noch bis zum Finale. Solange wird Bier getrunken und beobachtet, wie sich die düsteren Fantasywesen auf dem Weg ins Endspiel bekriegen. Sie tun das strategisch sehr ausgefeilt. Starcraft zählt angeblich zu den ausgewogensten Strategiespielen seiner Art und fordert deswegen die Gamer maximal heraus. Es kämpfen Terraner, Zerg und Protoss, jeder Spieler, und auch die Zuschauer im Raum haben sich auf eine der drei Rassen und ihre jeweiligen Spieleigenschaften spezialisiert.
Warden spielt Zerg. Eigentlich heißt er Andi und studiert Informatik. Heute sitzt er in der ersten Reihe, am vordersten Tisch. Er starrt gebannt auf den Bildschirm, anstatt sich auf die Spekulationen der anderen einzulassen. Er lernt hier auch viel für sein eigenes Spiel, etwa so, wie sich ein Fußballfan im Fernsehen Tricks von Ronaldo abzuschauen versucht. Fast vier Stunden verbringt Andi täglich vor seinem Rechner. Nicht viel, findet er: „Vier Stunden pro Tag sind eigentlich nichts. Die Profis spielen zehn oder zwölf.“
Veit alias Veitograf ist Terraner und schätzt an dem Spiel vor allem das Adrenalin: „Man muss unglaublich viele Entscheidungen in kürzester Zeit fällen und bekommt meistens direkt die Konsequenzen zu spüren. Eigentlich vergleichbar mit Speedschach. Aber im Gegensatz zu normalen Brettspielen läuft das alles in Echtzeit.“ Am liebsten schaut er aber einfach nur zu, live und online. „Das macht mehr Spaß als selbst zu spielen. Ich bin ja nicht so gut wie die Profis.“ sagt der selbstständige Fotograf, der zu Hause gerne Blues oder Jazz hört. Auf seinem T-Shirt steht: „Ist mir egal, ich lass das jetzt mal so.“
Der Frauenanteil in der Campus-Cneipe ist heute Abend eher gering. Die Jungs sind dafür relativ bunt gemischt und entsprechen keineswegs alle dem Klischee des hageren, bärtigen Computer-Nerds. Röhrenjeans mischen sich mit Baggypants und Lederjacken. Das Starcraft-Fieber verbreitet sich anscheinend flächendeckend, und das, obwohl Computerspiele in Deutschland relativ verpönt sind, vor allem wegen der Ego-Shooter. Das Klischee der Rowdies, die virtuell mit Maschinengewehren um sich schießen und im Extremfall Spiel und Realität verwechseln, hält sich noch immer hartnäckig. Barcraft dreht den Spieß in gewisser Weise um. Durch die vielen Zuschauer bekommt das Spiel eine sehr reale Komponente. Wie beim Fußball gibt es Regeln, Training, Kommentatoren, Fans und Gewinner. Man kommt zwar weniger ins Schwitzen, aber für den Zuschauer macht das kaum einen Unterschied. Es geht um die Gemeinschaft, um das Fiebern und Fan-sein, um Fachsimpeln und Austausch mit Gleichgesinnten in einer Sprache, die Außenstehenden ein Rätsel bleibt.
Text: martha-schlickenrieder - Fotos: juri-gottschall