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Recordhalter
Seien wir ehrlich: Abseits aller Romantik können Plattenläden ja durchaus feindliche Orte sein. Lebensraum einer hoch spezialisierten Gattung. Geheimes Pop-Wissen ist hier Währung, Verkäufer reden in Codes, die oft nur noch der innerste Kreis versteht. Plattenläden sind Nerd-Tempel – und genau darin beides: eine wichtige Bastion gegen Kaufhausbeliebigkeit und Empfehlungen von Internet-Algorithmen, aber für den Normalhörer auch hochgradig einschüchternd. Vorm „Record Store Day“ (Sa., 19. April), an dem weltweit mehr als 3000 unabhängige Plattenläden unter anderem mit Sondereditionen ihre Bedeutung unterstreichen, sind wir deshalb durch Münchner Läden gezogen. Um die Scheu zu nehmen. Uns hat interessiert, was die Betreiber während der Arbeit so aufgelegen. Welche abgedrehten Bandnamen ihnen dabei schon untergekommen sind. Und welche Platte man ihres Sammlerwertes wegen beim Stöbern besser nicht fallen lässt – wobei man davon ausgehen muss, dass in den Hinterzimmern noch ganz andere Schätze lagern.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mono
Da ist er: Breisacher Straße 21So schaut’s aus: Plattenstapel bis unter die Decke, vor allem aus dem Indie-Bereich. Wo dann noch Platz ist, hat Mono-Chef Günther Seewald den TSV 1860 München verewigt. Vom Wimpel bis zur Bier-Sonderedition hängt hier die halbe Vereinsgeschichte an der Wand. Einen Sonderplatz hat das Trikot von Didier Drogba (der dem Stadtrivalen Bayern München sein Champions-League-Finale „dahoam“ zerschossen hat). Aus fußballerischen Gründen gab’s sogar schon mal 22 Prozent Rabatt. 1999 war das, als die Löwen nach 22 Jahren wieder das Derby gewannen.
Die vergangenen Wochen lief hier:
The Smiths – „Meat Is Murder“
The Clash – „Sandinista!“
Neneh Cherry – „Blank Project“
Hüsker Dü – „Candy Apple Grey“
„Songs Of Gastarbeiter Vol. 1“ (Sampler)
Skurrilster Bandname: Dackelblut
Bitte nicht fallen lassen: Missus Beastly – „Nara Asst Incense“ (299 Euro)
Außer Platten gibt’s hier . . . CDs, Band-Shirts, Filme und Musikbücher. Und natürlich diverse 1860-Devotionalien, etwa alte Programmhefte von Finalteilnahmen der Sechziger – ein Gebiet, auf dem die Sammlung schnell komplett ist.
Da hört der Besitzer sonst Musik: Atomic Café, Löwenstüberl
Wäre der Laden eine Band, dann . . . die Sportfreunde Stiller.
Monkey Island Records
Da ist er: Steinstraße 67So schaut’s aus: Die Glastür ist mit Konzertplakaten vollgeklebt, schemenhaft sind dahinter ein paar Menschen zu erkennen. Im ersten Moment fühlt man sich tatsächlich wie ein Eindringling: dämmriges Licht, die Stammkundschaft sitzt rauchend am Kassentresen. Es herrscht die Stille einer eingeschworenen Gemeinschaft. Wer aber ins Gespräch kommt (was nicht lange dauert), kann hier Stunden verbringen. Inhaber Dietmar Häussler ist seit mehr als 30 Jahren dabei. Der Mann kennt Scheiben, die das Internet nicht kennt.
Die vergangenen Wochen lief hier:
Steppenwolf – „Monster“
F.S.K. – „Magic Moments“
Geisterfahrer – „Schatten voraus“
Keith Tippett – „Ovary Lodge“
Finbar & Eddie Furey – „The Lonesome Boatman“
Skurrilster Bandname: Ejwuusl Wessahqqan
Bitte nicht fallen lassen: Wechselt wöchentlich (geheim).
Außer Platten gibt’s hier . . . Memorabilien der Rockgeschichte. Konzertplakate aus den Sechzigern zum Beispiel. Oder Rolling-Stones-Gürtelschnallen.
Da hört der Besitzer sonst Musik: Wenn er frei hat, hält es Dietmar Häussler mit den Tremeloes: „Silence is golden“.
Wäre der Laden eine Band, dann . . . The Clash.
Optimal
Da ist er: Kolosseumstraße 6So schaut’s aus: 1982 war es fast unmöglich, in München an Punk- und New Wave-Singles aus England zu kommen. Die Optimal-Gründer wollten das ändern. Mittlerweile gibt’s hier quasi alles von der seltenen Blues-Platte bis zu aktuellen Club-Sounds. Der Profi-DJ kauft hier genauso ein wie der Vinyl-Novize.
Die vergangenen Wochen lief hier:
The Notwist – „Close To The Glass“
Downliners Sekt – „Silent Ascent“
Roc Marciano – „The Pimpire Strikes Back“
Batsumi – „Batsumi“
Cloud Nothings – „Cloud Nothings“
Skurrilster Bandname: The Flying Luttenbachers
Bitte nicht fallen lassen: Moses P. – „The Bastard Lookin’ 4 The Light“ (300 Euro)
Außer Platten gibt’s hier . . . CDs, Plattenkoffer und Filme. Außerdem eine kleine, gut sortierte Bücherecke. Und seit kurzem sogar Wein.
Da hört der Besitzer sonst Musik: Milla, Rote Sonne, Zum Wolf
Wäre der Laden eine Band, dann . . . Kraftwerk.
Gutfeeling Recordstore
Da ist er: Maistraße 1So schaut’s aus: Ein kleiner Raum mit dunklen Holzmöbeln, in dem es angenehm nach Kaffee riecht. Seit elf Jahren betreibt Andreas „G.Rag“ Staebler neben seinem Label diesen Laden. Die Plattenauswahl ist überschaubar, aber garantiert ramschfrei – und mit Fokus auf Münchner Bands.
Die vergangenen Wochen lief hier:
Fred Raspail – „French Ghost Songs Part II“
The Pussywarmers and Réka – „I Saw Them Leaving“
The Notwist – „Close To The Glass“
No Means No – „Wrong“
Captain Beefhart and his Magic Band – „Safe As Milk“
Skurrilster Bandname: The Pussywarmers
Bitte nicht fallen lassen: Hier kostet keine Platte mehr als 30 Euro.
Außer Platten gibt’s hier . . . CDs und ziemlich leckeren Espresso.
Da hört der Besitzer sonst Musik: Milla, Glockenbachwerkstatt, Favorit Bar, Holy Home
Wäre der Laden eine Band, dann . . . The Notwist.
Schallplattenzentrale
Da ist er: Fraunhoferstraße 26So schaut’s aus: Sehr funktional. Hat durchaus etwas von einem Heimwerkerladen, vor allem wegen der Neonbeleuchtung und der Gitterregale, in denen LKW-Ladungen an Second-Hand-Platten liegen. Wer sich durch Kiloware wie Boney M. oder BAP wühlt, findet allerdings ziemlich rares Zeug in ziemlich gutem Zustand.
Die vergangenen Wochen lief hier:
Gil Scott-Heron – „Pieces Of A Man“
Gangsters – „Heat I“
Salvation – „Salvation“
Patto – „Hold Your Fire“
Siglo XX – „Siglo XX“
Skurrilster Bandname: Die tödliche Doris
Bitte nicht fallen lassen: Can – „Monster Movie“ (Originalpressung auf Scheisshouse Records für 3500 Euro)
Da hört der Besitzer sonst Musik: Daheim. Wo er auflegen kann, was er will.
Wäre der Laden eine Band, dann . . . Frank Zappa and the Mothers of Invention.
Public Possession
Da ist er: Klenzestraße 16
So schaut’s aus: Hell, aufgeräumt, showroomartig. Der Apple-Store unter den Plattenläden. Eine Plattform für Münchner DJs. Stöbern und kreativer Austausch sind hier eins. Highlight: die Instore-Sessions, die samstags auch mal internationale Künstler nach München holen.
Die letzten Wochen lief hier:
Omar S – „Romancing The Stone“
Vangelis Katsoulis – „Into The Light“
Bell Towers – „Territory“
Benjamin Röder & Max Josef – „Sugar Steady“
Wolf Müller – „Balltanz“
Skurrilster Bandname: Drümmele Maa
Bitte nicht fallen lassen: Xenon – „New LP“ (95 Euro)
Außer Platten gibt’s hier . . . Kopfhörer, Plattennadeln, Taschen und ausgewählte Fanzines.
Da hören die Besitzer sonst Musik: Im Bob Beaman. Oder auf ihren PublicPossession-Partys im Charlie.
Wäre der Laden eine Band, dann . . . Nicolas Jaar.
Der Schallplattenladen
Da ist er: Pariser Straße 50So schaut's aus: Fischgrätparkett, eingerahmte Konzertfotos und Platten, die wie frisch eingeschweißte Kunstdrucke aus den Holzfächern glänzen. So blitzsauber und knitterfrei, dass man beinahe ein schlechtes Gewissen hat, wenn man zum Anhören die Schutzhülle aufreißt. Sogar Second Hand-LPs sehen hier aus wie neu.
Die letzten Wochen lief hier:
Arcade Fire - "Reflektor"
Michael Wollny - "Weltentraum"
Terry Lee Hale - "The Long Draw"
The Peter Brötzmann Octet - "Machine Gun"
The Edgar Broughton Band - "Edgar Broughton Band"
Skurrilster Bandname: Do Make Say Think
Bitte nicht fallen lassen: The Beatles - "Beat" (599 Euro)
Außer Platten gibt’s hier ... allerlei Zubehör und einen Reinigungsservice. Wer verzogene Platten im Schrank stehen hat, kann sie hier auch wieder glatt bügeln lassen.
Da hört der Besitzer sonst Musik: Night Club im Bayerischen Hof, Drehleier, Atomic Café
Wäre der Laden eine Band, dann ... das Esbjörn Svensson Trio.
Text: josef-wirnshofer - Illustrationen: katharina-bitzl