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"Neudeck soll ein großer Abenteuerspielplatz sein"

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Kaum ist das „Art Babel“ Geschichte, taucht das nächste Zwischennutzungsprojekt in der Stadt auf: Im ehemaligen Jugend- und Frauengefängnis Neudeck soll von etwa Anfang Juli bis Oktober ein Raum für Kultur und Nachtleben entstehen. Bis dahin hat es der Investor freigegeben, der das Gebäude gekauft hat. Marco Böhlandt gestaltet das Programm des „Neudeck“. Wir haben mit ihm über das Feiern hinter Gittern und das Münchner Verständnis von Szenekultur gesprochen.

jetzt München: Marco, ihr habt das Gebäude bereits beim Literaturfestival „Hörgang“ als Party-Location ausprobiert. Wie feiert es sich hinter Gittern und schweren Gefängnistüren?
Marco Böhlandt: Bumsvoll war's. Insgesamt war es sehr nett, gerade auf den Wiesen im Innen- und Außenhof. Wir haben das Gefängnis beim „Hörgang“ zuerst als Leseort genutzt, da war die Vergangenheit des Ortes noch sehr präsent. Aber später bei der Abschlussparty war das schon verflogen.

Kann man die Geschichte des Ortes denn so leicht vergessen?
Wenn wir mit Künstlern oder Leuten, die hier Veranstaltungen machen wollen, durch das Gebäude gehen, dann ist das natürlich immer auch bedrückend. Es war ein Knast, das kann man nicht leugnen und das wollen wir auch gar nicht. Andererseits war es kein Gefängnis für die ganz harten Fälle, sondern für Menschen mit Haftzeiten von vier bis fünf Jahren und für die Untersuchungshaft. Es gibt daher relativ viele Räume, die nicht diese krasse Knast-Atmosphäre ausstrahlen. Trotzdem gibt es auch über 70 Zellen. Da drin zu stehen, das ist schon derb. Wenn jetzt hier aber Leben reinkommt, dann wird sich das Gebäude auch verändern. Ich finde das gerade spannend, solche Räume, die mit viel Leid verbunden waren, einer positiveren Nutzung zuzuführen.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Müsst ihr das Gefängnis nicht völlig umbauen? Wie macht ihr denn aus diesen über 70 engen Zellen einen Raum für große Veranstaltungen?
Die Zellen haben tatsächlich jeweils nur zehn Quadratmeter, die können wir also wirklich nur für Kunstinstallationen, kleine Lesungen oder als Stauraum nutzen. Es gibt aber zusätzlich sehr viele große Räume, Sport- und Verwaltungsräume zum Beispiel oder die Kantine. Das werden die Atelier- und Gastroflächen. Dort sollen dann auch Club- und Konzertveranstaltungen stattfinden, wenn die Behörden das zulassen. Es wäre dann aber auch Platz für zum Beispiel Theaterstücke oder Filmvorführungen.

Und wie wirkt ihr der bedrückenden Architektur entgegen?
Rote Farbe und Schwarzlicht. Damit kommt man immer weit, wenn man Subkultur macht! (lacht) Nee, es gibt hier tatsächlich auch Räume, die ohne Gitterstäbe gestaltet sind. Etwa da, wo die Knastbelegschaft ihre Mittagssemmel gegessen hat.

Du hast es gerade in einem Nebensatz schon erwähnt: Die Genehmigung für das Projekt "Neudeck" ist noch nicht durch. Ist das also alles noch ein schönes Luftschloss?
Wir müssen noch die üblichen Behördengänge machen, rechnen aber fest damit, dass es klappt. Es gibt eigentlich auch nichts, was dem Projekt entgegensteht. Wir waren Dienstag erst bei der Lokalbaukommission, die waren sehr freundlich. Insgesamt sieht alles ganz positiv aus. Wir wollen hier schließlich auch nicht als Fremdkörper im Viertel ein paar Monate Rambazamba machen, sondern es soll ein offenes, freies Kreativquartier sein, das die Stadt zudem keinen Pfennig kostet. Wir wollen hier für möglichst geringes Geld Künstlern einen Raum bieten. Es wäre schade, solche tollen Räume mitten in der Stadt stattdessen lange leer stehen zu lassen.

„Neudeck“ wird also mehr Kulturort sein als Club?
Ja, definitiv. Das sage ich jetzt nicht, weil das Wort „Club“ für alle, die zustimmen müssen, sofort ein rotes Tuch darstellt. Es sollen hier auch Partys stattfinden, aber wir wollen die Clubkultur in einen breiteren Kontext stellen. Neudeck soll ein großer Abenteuerspielplatz sein. Wenn ich abends zum Tanzen oder auf ein Bier vorbeikomme, dann soll das einen Mehrwert haben, etwa, dass ich in die Galerieräume gehen kann und die Künstler treffen.

In München hat es in der letzten Zeit einige Zwischennutzungsprojekte gegeben: das „Import Export“, das „Puerto Giesing“ oder das „Art Babel“. Was verbindet und was unterscheidet euch von den anderen Initiativen?
Die kulturelle Zwischennutzung an sich können wir natürlich nicht neu erfinden. Genau wie andere hoffen wir auf die Synergien der Leute, die sich hier treffen. Wir wollen uns da nicht mit anderen abgleichen oder uns abgrenzen. Ich finde, Projekte wie „Import Export“ oder „Puerto Giesing“ haben sehr viel für die Vielfalt in dieser Stadt gemacht. Wenn es bei unserem Projekt eine Besonderheit gibt, dann vielleicht, dass wir relativ frei von finanziellen Zwängen handeln können.

Warum denkst du, dass ihr da besonders frei seid?
Erstens hat uns der Investor das Gebäude für eine wirklich tragbare Summe überlassen. Zweites sollen natürlich zwar die Kosten wieder reinkommen, die wir haben werden - aber um mehr geht es uns nicht. Drittens leben wir alle nicht allein von diesem Projekt und können unsere Miete unabhängig davon bezahlen, ob tausend Leute zu einer großen Veranstaltung kommen oder nicht. Das heißt natürlich nicht, dass wir hier nur brotlose Kunst fördern wollen.

Im Nutzungskonzept heißt es, dass ihr ein Projekt fernab von "Szenedünkeln" und „Subventionskultur" aufziehen wollt. Können wir uns also für Comedy vom Schlage Mario Barth wappnen?
Um Himmels willen! Der Begriff Szene ist gerade in München aber auch sehr eng gesteckt. Wenn etwas nicht Szene ist, ist es Mainstream und Mario Barth oder stattdessen sind es die Münchner Symphoniker. Mit „Szenedünkeln“ meinen wir, dass hier nicht immer alles supersexy sein muss wie bei manch anderen Projekten. Ich denke da explizit nicht an das „Puerto Giesing“ und die anderen Erwähnten, sondern an die vielen sogenannten „freien Kulturprojekte“, die aus einem leeren Raum bestehen, in dem eine nackte Glühbirne von der Decke hängt. Da stehen dann zwei 1210er rum und jeden Abend legt ein anderer DJ auf. Versteh mich nicht falsch: Wir wollen total gern die Clubszene hier haben. Aber nicht alles, was hier stattfindet, muss szenetauglich sein.

Kannst du schon etwas verraten von dem, was im „Neudeck“ stattfinden wird?
Zumindest kann ich garantieren, dass Mario Barth niemals einen Fuß für einen Auftritt in diesen Knast setzen wird. Ansonsten gilt: Wenn drei Opas auf Eierschneidern Free-Jazz-Sonaten spielen wollen, dann darf das hier auch passieren. Wir wollen die Grenzen von Subkultur ein bisschen erweitern und es wird viele spannende Sachen geben. Wir haben natürlich auch schon konkrete Anfragen, aber solange das nicht fest vereinbart ist, will ich da noch keine Namen nennen.

Im Oktober müsst ihr aus dem Gefängnis raus. Welches Projekt kommt nach „Neudeck“?
Es gibt jedenfalls keine konkreten Pläne für ein nächstes Zwischennutzungsprojekt. Erstmal wollen wir uns auf „Neudeck“ konzentrieren. Aber wenn es gut läuft – und davon gehe ich aus – und es ergibt sich, dass wir ein anderes interessantes Areal nutzen können: Dann kann man sich etwas überlegen.


Text: juliane-frisse - Fotos: Neudeck

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