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Meine Straße: Ludwig-Richter-Straße

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Niemand kennt eine Straße so gut wie die Menschen, die in ihr leben. Deshalb bitten wir hier regelmäßig junge Münchner, uns ihre Straße zu zeigen – die schönsten Ecken, die besten Läden, die schrulligsten Typen, die nettesten Anekdoten. Heute:
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Sonja, 28, Kommunikationsdesignerin und Köchin

Nicht selten möchten mich Taxifahrer automatisch in die Ludwigstraße fahren, weil meine Adresse kaum jemand als Fahrtziel angibt. Ludwig Richter war eben nur ein naturverbundener Illustrator aus der Biedermeierzeit und kein bayrischer König. Diese Tatsache passt sehr gut zu meiner unprätentiösen Straße, die am äußersten Rand des Westends liegt.
 
Ich bin direkt aus dem Trubel des Glockenbachviertels hergezogen und total glücklich hier. Die Straße hat mir viel Ausgeglichenheit und Ruhe gebracht. Und das Herz des Westends ist als etwas urbaneres Ausflugsziel auch angenehm nah. Ich finde übrigens das Westend noch das interessanteste, weil unfertigste der zentralen Münchner Viertel. Hier herrscht noch Experimentierfreude, ohne dass man das Gefühl hat, es mit einer allzu grotesken Gentrifizierung zu tun zu haben.
 
In der Ludwig-Richter-Straße wohne ich in einer alten Eisenbahnersiedlung. Diese Häuser wurden eigens für die Arbeiter gebaut, die die Stammstrecke aufgebaut haben. Man sieht und spürt das auch noch, die Wohnungen haben einen sehr funktionalen Charakter und besitzen alle einen kleinen Gemeinschaftsgarten im Hof für die Familien. Im Sommer nutze ich den gern zum Lesen, es ist da so schön still.
 
Einige Fassaden in der Straße entstammen den Entwürfen des Münchner Architekten Karl Stöhr, der beispielsweise auch das Deutsche Theater gebaut hat. Ebenso die Ludwig-Richter-Höfe, die nach einer Anwohnerinitiative jetzt auch unter Denkmalschutz gestellt worden sind. Im Innenhof stehen mehrere mehr als 90 Jahre alte Bäume. Der Verein „Grüner Innenhof Laim“ hat sich für den Erhalt der Anlage eingesetzt und damit für die wohl bislang einzige Erwähnung meiner Straße in der Presse gesorgt.
 
Geht man hier spazieren, trifft man maximal einen Rentner mit seinem Dackel oder ein paar Schulkinder. Jeder Anwohner scheint den Rückzug ins Private zu zelebrieren. Ich stelle mir hinter den Fenstern oft völlig normale Kleinfamilien vor, Busfahrer und Grundschullehrerinnen, die mit ihren Kindern namens Anna und Philipp gerade Maultaschen essen.
 
Bis auf eine Bäckerei gibt es in der Straße auch keine Läden. Auch eine Straße weiter findet man lediglich ein Waschmaschinengeschäft und eine Fahrschule. Supermarkt, Drogerie, Apotheke finden sich erst ein paar Hundert Meter entfernt, man muss sich für seine Haushaltsangelegenheiten also etwas Zeit nehmen.
 
Damit geht hier alles auch etwas langsamer. Das Flair ist sehr unaufgeregt. Das beruhigt mich innerlich unglaublich. In den letzten Jahren bin ich mehr als 15 Mal umgezogen, habe im Nahen Osten, Paris und Berlin gelebt – da tut diese Bodenständigkeit nun sehr gut.
 
Natürlich kann ich über die Bäckerei noch einiges erzählen. Sie ist für mich, wie für fast alle Anwohner oder Bürobeschäftigte aus der Gegend hier, die wichtigste kulinarische Anlaufstelle geworden. Außerdem heißt sie lustigerweise „Sonya’s Backshop“ – die Inhaberin und ich sind also Namensvetterinnen, was bei der Begrüßung immer für Gelächter sorgt. Sie steht jeden Tag ausnahmslos fröhlich hinter der Theke beziehungsweise in der Küche und schmiert völlig tiefenentspannt ihre Semmeln. Mein Favorit ist der Spiegelei-Bagel, für den mache ich sogar Ausnahmen in meiner ansonsten ziemlich strikt veganen Ernährung. So gut ist der. Das finden andere Kunden natürlich auch, manchmal sieht man hier mittags eine Schlange bis auf die Straße raus. Nur sonntags ist geschlossen, klar, Sonya braucht ja auch mal eine Pause.

Text: mercedes-lauenstein - Foto: juri-gottschall

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