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Lange Nächte, lange Finger
Auf Facebook wird ein Kidnapper gesucht. Entführt: "Der Hänsel von der Scheißhaustür" aus der Kneipe "Zur Gruam". Vom Täter fehlt jede Spur. Das ist leider kein Einzelfall. Man könnte meinen, in Münchner Kneipen und Clubs werde alles geklaut, was nicht niet-und nagelfest ist. Sieben Wirte erzählen Geschichten über die skurrilsten Coups und die dämlichsten Diebe.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Hast du dieses Hirschgeweih irgendwo gesehen? Dann melde dich doch bei den Betreibern der "Gruam". Ein DJ aus dem "Harry Klein" vermisst außerdem seine Brille.
Fabian Benedict Stingl, "Zur Gruam"
"Die Leute nehmen einfach alles mit. Unser Hirschgeweih: aus der Wand gerissen. Das hässliche bayerische Wachsbild: abgeschraubt. Unsere dekorierten Barbiepuppen: vom Zapfhahn weggestohlen. Als jetzt auch noch unser Hänsel von der Toilettentür entführt wurde, haben wir den Facebook-Aufruf gestartet. Die Dinge, die bei uns gestohlen werden, sind teilweise richtig groß, aber wenn der Laden voll ist, verliert man schnell die Übersicht. Mein Kollege sagt, wir seien eben Kult und die Leute wollen etwas von der "Gruam" zu Hause haben. Aber sogar unseren Türbolzen hat irgendein Spezialist schon geklaut. Wir mussten einen Stock zurechtschnitzen, um ihn damit zu ersetzen. Besonders ärgerlich ist es bei unserer Marienfigur oder den Barbiepuppen, die sind echt cool. Aber auf der anderen Seite – wenn wir auf Facebook um neue Dekoartikel bitten würden, brächten die Gäste auch wieder etwas mit. Vielleicht sollten wir eine Barbieklappe einführen."
Andreas Rehm, "Café Kosmos"
"Im "Kosmos" kam schon so einiges von der Einrichtung weg, auch Hocker und Stühle. Wir haben viele Sachen aus den Fünfzigerjahren, die sind ziemlich beliebt. Am Anfang haben wir uns geärgert, wenn ein Möbelstück oder eine besonders schöne Vase gestohlen wurde, aber man wird mit der Zeit gelassener. Manchmal tauchen Dinge auch wieder auf: Die alte Kühlschranktür, die wir als Info-Tafel nutzen, war schon dreimal weg – einmal sogar eineinhalb Jahre. Irgendwann stand sie einfach wieder vor dem Café. Das ist schon irgendwie süß. Über einen anderen Dieb mussten wir sogar sehr lachen: Er wollte sich mit einer Flasche von der Bar aus dem Staub machen. Wir sind ihm hinterhergerannt. Da ging es nicht um die Flasche, sondern ums Prinzip. Auf der Flucht nahm er einen großen Schluck vom Diebesgut, bemerkte allerdings zu spät, dass es kein Alkohol, sondern Holundersirup war. Der arme Kerl musste sich sofort übergeben. Wir haben uns köstlich amüsiert und das für Strafe genug befunden."
Christoph Hanke, "Edmoses"
"Wir hatten auf der Terrasse immer ein überdimensionales Styroporschild mit dem Namen der Bar, das ungefähr drei Meter hoch in einem Baum hing. Nach einem Abend war das Schild plötzlich weg. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie die Diebe an das Schild gekommen sind und es damit unbemerkt durch den Laden geschafft haben. Natürlich haben wir uns geärgert, das Schild war schließlich um die 200 Euro wert. Wir hatten es schon fast vergessen, bis es eine Freundin von uns im Glockenbachviertel von der Straße durch ein Fenster wiederentdeckte. Die Diebe hatten es in ihrem eigenen Wohnzimmer aufgehängt. Wir klingelten, um es zurückzufordern, aber niemand hat die Tür geöffnet. Wir nahmen es mit Humor und ließen es auf sich beruhen. Wobei ich bis heute gerne wüsste, wie die das gemacht haben."
Alex Illingworth, "Die Bank"
"Eines Tages kam die Polizei in die "Bank" und sagte, ich müsse mitkommen, jemand hätte unseren Bären gestohlen. Ich dachte, die machen Witze. Wir hatten einen lebensgroßen weiß-blauen Bär aus Pappmasché an der Garderobe stehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand den haben wollte. Ich habe die Polizisten bis zur Sonnenstraße begleitet und bin vor Lachen fast zusammengebrochen: Dort stand meine Kollegin Chrissi und hielt mit einer Hand den Bären und mit der anderen den Dieb fest, den sie bis dorthin verfolgt und gestellt hatte, um dann die Polizei zu rufen. Die Beamten konnten sich auch nicht halten vor Lachen, nur Chrissi schrie immer wieder hysterisch: "Diebstahl ist Diebstahl!" Ich musste dann Anzeige erstatten, die ich aber eine Woche später wieder zurückgezogen habe. Der Dieb ist noch einmal zurückgekommen und hat uns als Entschuldigung einen Stoffteddy geschenkt."
Christian Ohlmann, "Trachtenvogl"
"Bei uns gibt es viele praktisch veranlagte Diebe. Die klauen alles, was sie zu Hause wohl gut gebrauchen können: unsere schönen Wassergläser, Espressolöffel oder anderes Besteck, unzählige Aschenbecher und mindestens zehn Kinderstühle. Aber auch eine Kuckucksuhr, ein alter Eimer und sogar unser Handtrockner – ein alter Starmix, den ich für fünf Euro bei Ebay ersteigert hatte – waren irgendwann weg. Erwischt habe ich noch nie jemanden. Und wenn ich es nicht direkt mitbekomme, kann ich auch nicht richtig sauer sein. Aber der Dieb würde natürlich sofort Hausverbot bekommen. Wenn die Leute etwas haben wollen, können sie mich gerne fragen. Den Preis könnte man ja verhandeln und einen Aschenbecher würde ich wahrscheinlich sogar verschenken. Aber einfach mitnehmen – das gehört sich nicht."
David Süß, "Harry Klein"
"Man fragt sich wirklich, was sich die Leute manchmal denken. Einmal hat ein Gast dem DJ die Brille geklaut, von der Nase weg, weil der ihn gebeten hatte, direkt am Pult nicht zu wild zu tanzen. Ein anderer hat von der Bühne ein Magnetband gestohlen, so eine Art große Kassette für digitale Musik. Den haben wir erwischt, weil er das Teil, damit er es beim Feiern nicht in der Hand halten muss, an der Garderobe abgeben wollte. Inventar wie Gläser wird ohnehin ständig geklaut. Die kalkuliert man aber genauso mit ein, wie diejenigen, die kaputtgehen. In der Woche brauchen wir ungefähr 100 neue Gläser, die alle mindestens einen Euro kosten. Aber wenn man wie ich 20 Jahre im Geschäft ist, sieht man das gelassen und lernt dazu: Zum Beispiel, dass man Waschbecken aus Edelstahl nicht zerschlagen kann."
Wanja Belaga, "Das Provisorium"
"Man erlebt schon die absurdesten Dinge. Hier war einmal die Abschlussklasse einer Waldorfschule. Einer von ihnen ist immer wieder hinter die Bar, um sich selbst zu bedienen. Viermal hab ich ihn höflich gebeten, das zu lassen, beim fünften Mal habe ich ihn weggezogen. Plötzlich sind gefühlte 70 Waldorfschüler über mich hergefallen. Das war ein Desaster. Eine andere verrückte Geschichte ist erst drei Wochen her: Nachts um vier rief mich die Polizei an, ich müsse kommen, im Provisorium sei eingebrochen worden. Ich dachte gleich, die haben den Safe geklaut. Zu der Zeit hätte man ihn einfach mitnehmen können. Aber den haben sie nicht angerührt. Die Einbrecher hatten einfach nur 18 Flaschen Schnaps gestohlen. Ich habe mich fast geärgert, dass ich dafür überhaupt aufstehen musste. Drei Tage später haben wir am Abend eine Getränkelieferung von der Kripo bekommen: zwölf Flaschen Wodka, die sie sicherstellen konnten. Den Rest hatten die Täter schon getrunken."
Text: teresa-fries - Illustration: Katharina Bitzl