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Noch bis Samstag läuft in München das internationale Festival der Filmhochschulen. Gezeigt werden 52 Filme von 36 Filmschulen aus 21 Ländern. Einige der Filmemacher haben sich mit dem Thema Flüchtlinge auseinandergesetzt – darunter Khaled Mzher, 31, aus Syrien und Lisa Gerig, 25, aus der Schweiz. In Khaleds Spielfilm „Wada’“ kämpft Ibrahim mit seiner eigenen Ratlosigkeit: Während er in Berlin ein ruhiges Leben führt, verschwindet sein Bruder im Chaos des syrischen Bürgerkriegs. Soll er aufbrechen und den Bruder suchen? Oder soll er in Deutschland bleiben? Kann er überhaupt etwas tun, um seiner Familie und seinen Freunden in Syrien zu helfen? Lisa beschreibt in ihrer Dokumentation „Zaungespräche“, wie es Asylsuchenden im Ausschaffungsgefängnis am Zürcher Flughafen ergeht. Dort warten die Inhaftierten oft monatelang auf ihre Abschiebung.

jetzt.de: Abschlussarbeiten mit Flüchtlingen sind in quasi allen Studienfächern gerade ganz schön in Mode. Da liegt der Verdacht immer etwas nahe, dass das Thema gewählt wird, weil es Öffentlichkeit verspricht.

Lisa: Mein Film „Zaungespräche“ ist schon eineinhalb Jahre alt. Er wurde jetzt nur wieder aktuell. Mit dem Thema beschäftige ich mich schon seit etwa fünf Jahren: Damals habe ich angefangen, Deutschunterricht für Flüchtlinge zu geben, das war der erste Kontakt. Weil ein Freund von mir abgewiesen wurde, habe ich mit den Besuchen im Ausschaffungsgefängnis am Zürcher Flughafen angefangen. Und wer diesen Ort mal kennenlernt und sieht, wie brutal das dort vor sich geht – kann nicht mehr wegschauen.  

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Khaled Mzher

Foto: Daniela Rudolf

Khaled Mzher studierte am Institute of Dramatic Arts in Damaskus, bevor er 2007 nach Polen emigrierte. An der National Polish Film, Television and Theatre School in Lodz studierte er von 2009 bis 2011. Seit 2012 ist er Regiestudent an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Potsdam.

Wie war das bei dir, Khaled?

Khaled: „Wada’“, der Film, den ich hier vorstelle, wurde ebenfalls schon 2013 gedreht. Wie mein Hauptdarsteller Ibrahim komme ich aus Syrien, lebe aber seit vier Jahren in Berlin – als Student, nicht als Geflüchteter. Meine Familie ist aber noch in Damaskus. Wir sind täglich in Kontakt, sprechen über das, was gerade passiert – über die Entwicklung des Bürgerkriegs, aber auch die Stimmung innerhalb der Familie. 2013 war wirklich eine sehr intensive Zeit. Ich konnte kaum schlafen. Ich schaute täglich vier bis fünf Stunden lang Nachrichten, Minimum. Ich hatte tiefschwarze Augenringe und war einfach nur sehr, sehr gestresst. Damals wäre es vollkommen verrückt gewesen, auch nur zu versuchen, mich einem anderen Thema zu widmen.

Es steckt also viel von deiner eigenen Biografie und deinen Ängsten in deinem Hauptdarsteller?

Khaled: Als es in Syrien losging, war ich hier in Berlin. Ich lebte also an einem super sicheren Ort, genoss eine sehr gute Ausbildung. Das hat eine Art Schuldgefühl in mir hervorgerufen: Weil ich hier war und meine Familie dort, in dieser furchtbaren Lage. Genau das ist auch das Problem meines Hauptdarstellers: Er ist ratlos, weiß nicht, ob er zurückgehen oder bleiben soll. Beziehungsweise, ob er überhaupt etwas machen kann, um seinen Angehörigen zu helfen. Dieses Gefühl teilen wir.

Wolltest du das mit deinem Film aufarbeiten?

Khaled: Kann sein. Aber es ist noch mehr: Die Medien vermeldeten ständig nur kalte Fakten: Das ist passiert, dann dieses, dann jenes. So viele Menschen sind gestorben. Ich hatte das Gefühl, dass nicht danach geforscht wurde, warum das alles passierte. Im Film habe ich deshalb versucht, so wenig Informationen anzubieten wie möglich. Stattdessen wollte ich, dass die Zuschauer verstehen, was die Leute hier eigentlich durchmachen und fühlen.

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Ahmad Faraj als Ibrahim in dem Spielfilm "Wada'"

Foto: Daniela Rudolf

„Zaungespräche“ findet hauptsächlich auf einer Meta-Ebene statt: Die Flüchtlinge, die in dem Gefängnis auf ihre Abschiebung warten, kommen selbst nicht zu Wort, weil in dem Gebäude Kameras nicht erlaubt sind. Wie war das, stellvertretend für andere eine Geschichte zu erzählen?

Lisa: Ich habe die Leute, mit denen ich gesprochen habe, darüber informiert, was ich tun will, und ihnen gesagt, dass sie auch selbst Schwerpunkte setzen können, wenn sie wollen. Aber es bleibt natürlich meine subjektive Sicht auf ihre Geschichte. Und mein Vertrauen in das, was sie mir erzählen. Mir ging es zunächst aber vor allem darum, dass die Leute überhaupt von diesem Gefängnis erfahren und davon, dass die Menschen dort zum Teil 18 Monate lang eingesperrt sind.

Ihr sagt beide nichts Konkretes über die Fluchtursachen eurer Protagonisten.

Lisa: Weil mein Anspruch ein anderer ist: Mein Film ist nicht der Versuch, die Beweggründe der Protagonisten zu erklären oder gar zu bewerten. Ich will dem dem Zuschauer nicht sagen: Er ist deshalb hier und hat darum das Recht zu bleiben. Ich will seinen Aufenthalt nicht legitimieren oder kritisieren, sondern einfach seine Situation in diesem Moment darstellen.

Konnten sich eure Protagonisten mit den Geschichten, die ihr erzählt, denn identifizieren?

Khaled: Ahmad Faraj, mein Hauptdarsteller, stand zum ersten Mal vor einer Kamera. Aber er identifizierte sich sofort sehr stark mit seiner Figur. Ahmad ist ein wahnsinnig feinfühliger alter Mann. Klar, wir haben diese fiktive Story geschaffen, dass eines seiner Familienmitglieder verschwunden ist und niemand von dessen Verbleib weiß. Das ist Ahmad nicht passiert. Dennoch konnte er sehr leicht einen Zugang zu seiner Figur finden. Er kommt aus Nordsyrien, aus der Gegend um Aleppo. Wegen der Kämpfe dort musste seine Familie an einen anderen Ort ziehen. Er wusste sofort, wie sich das für seine Rolle anfühlen musste.

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Szenen aus den Flüchtlingsfilmen "Zaungespräche" und "Wada'"

Foto: Daniela Rudolf

Wie war das für die Protagonisten der „Zaungespräche“? Sie sind gleichzeitig ja auch so etwas wie das Objekt des Films.

Lisa: Von den Insassen, die ich besucht habe, habe ich sehr oft gehört, dass sie sich vergessen fühlen an diesem Ort. Sie wissen oft nicht, wo sie sind, sie wissen nicht, warum sie dort sind, und sie wissen nicht, wie lange sie dort sein werden. Zu merken, dass da jemanden ist, der ihnen irgendwie eine Stimme gibt und versucht, sie hör- und sehbar zu machen: Das tat ihnen, glaube ich, sehr gut.

 

Bist du noch in Kontakt mit den Leuten, die in dem Film vorkommen?

Lisa: Zwei der Protagonisten, afghanische Brüder, sind über Calais nach England. Sie haben dort, weil es ja außerhalb des Schengenraums ist, noch mal um Asyl gefragt und warten jetzt auf die Entscheidung. Mit ihnen kann ich skypen. Murat, ein anderer Protagonist, ist verschwunden. Ich weiß nicht, wo er ist. Ich würde ihm gerne einmal den Film zeigen, aber ich kann ihn nicht finden. Er wurde drei Monate nach unseren Gesprächen aus dem Gefängnis entlassen. Die Schweiz konnte ihn nicht abschieben. Deshalb mussten sie ihn freilassen, und da ist er verschwunden.

 

Und wie geht es den Brüdern in England?

Lisa: Nicht gut. Sie sind zerfressen von Sorgen um ihre Familie in Afghanistan. Die beiden mussten fliehen, weil sie gegen das Gesetz des Imams Alkohol verkauft hatten und deshalb bedroht worden waren. Ihre Mutter wird jetzt auch bedroht, weil sie nicht sagt, wo ihre Söhne sind. Ich glaube, diese Form von Schuld, die Khaled vorher beschrieben hat, ist bei ihnen sehr, sehr ausgeprägt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie wahrt man Distanz bei solchen Geschichten? Beziehungsweise: Wolltet ihr das überhaupt?

Lisa: Klar, dieses Thema ist sehr emotional. Darum habe ich versucht, gedanklich immer wieder ein paar Schritte zurückzutreten, um auch politisch begründen zu können, warum das unhaltbare Zustände sind. Nicht zu emotional zu werden und einfach nur zu sagen: die leiden! Obwohl das so ist. Ich wollte mit Fakten begründen, warum sie leiden. Zum Beispiel, weil sie in den ersten drei Monaten ihres Freiheitsentzugs keinen Rechtsbeistand haben.

Khaled: Bei mir basierten die Dreharbeiten anfangs schon sehr auf Emotionen. Nach und nach musste ich die dann strukturieren. Als Regisseur kann man nicht nur den eigenen Gefühlen folgen und mit den Figuren sympathisieren. Erst aus einer gewissen Distanz heraus wird der Film glaubhaft für das Publikum.

Lisa: Man darf sich nicht in der eigenen Wut oder in der Empörung verlieren. Sonst kann man die Geschichte nicht mehr so erzählen, wie sie beim Zuschauer ankommen soll.

 

Wie sollte sie denn bei den Zuschauern ankommen?

Khaled: Mir war wichtig zu zeigen: Die Menschen, die jetzt zu uns kommen, sind nicht irgendwelche Nummern – das sind Leute, die richtig interessant sein können. Genau deshalb wollte ich mit Menschen von der Straße arbeiten. Ahmad hat sich als wunderbarer Schauspieler herausgestellt. Aber in der U-Bahn würde sich nie jemand fragen, ob er talentiert ist.

Lisa: Mein Film hat einen aufklärerischen Aspekt. Mein Ziel war es, die Leute mit Informationen auf eine Situation aufmerksam zu machen und dadurch Emotionen auszulösen. Ich glaube, wenn man weiß, dass Menschen eingesperrt sind, löst das in einem Zuschauer immer etwas aus. Ohne, dass ich ihm explizit sagen muss, was er empfinden soll.

 

Und wie haben die Zuschauer bisher reagiert?

Khaled: Es gab sehr verschiedene Reaktionen. Die meisten mochten aber, dass der Film mit einer aktuellen politischen Situation zu tun hat. Vielleicht empfinden sie das als so etwas wie eine Legitimierung, als eine Notwendigkeit.

Lisa: Bei mir haben viele einfach sehr ungläubig reagiert. Das Ausschaffungsgefängnis ist wohl ein Ort, der gerne versteckt wird. Ich höre oft Fragen wie: „Aber haben die echt nichts gemacht?“ oder „Können die echt 18 Monate inhaftiert sein?“. Dann gibt es die Leute, die kommen und sagen: „Sag du mir mal: Was ist denn die Lösung?“ Und es gibt Leute, die sich gleich engagieren wollen. Das sind dann sehr erfreuliche Reaktionen. Allerdings habe ich den Film auch noch nie in einem „feindlichen Lager“ zeigen können. Ich würde ihn gerne mal so in einer Gemeindeversammlung in irgendeinem Schweizer Kaff mit möglichst vielen Gegenstimmen zeigen und schauen, wie die Leute reagieren.

 

Text: melanie-maier

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