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Ihr Opfer des Zirbenschnapses

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Worauf sich, zumindest in München, jeder einigen kann: Berghüttengeburtstag muss man mal gefeiert haben. Es geht schließlich kaum schöner. Es geht aber auch kaum tückischer. Wenig braucht mehr Planung. Frühzeitig. Ein ABC, das hilft.
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

A wie Aufstieg-Abgeschiedenheits-Balance

Je weiter oben am Berg und je weiter weg von allem eine Hütte ist, desto besser. Weil man so laut sein kann, wie man will. Je weiter oben am Berg und je weiter weg von allem eine Hütte ist, desto weiter muss man allerdings meistens auch hinlaufen. Die richtige Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance zu finden, ist damit eine der größten Herausforderungen bei der → Planung. Sie wirkt sich direkt auf den → Brennt-alles-an-Faktor und den → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich aus. Und ist außerdem entscheidend bei der Frage, wie viele → Gäste aus Frankfurt oder Berlin man einladen sollte.
 

B wie Brennt-alles-an-Faktor

Ist ein Resultat aus der → Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance. Je abgelegener eine Hütte ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es dort nur einen Holzofen gibt. Das führt nicht nur zum → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich, sondern beeinflusst auch maßgeblich die Verpflegung. Weil: Auf einem Holz-befeuerten Ofen brennt alles an. ALLES! Es gibt also im besten Fall am ersten Abend Kasspatzen mit (angebrannten) Zwiebeln, mittags drauf (angebrannten) Kaiserschmarrn, abends einen Schweinsbraten mit (angebrannter) Kruste und spätestens ab da Brotzeit, weil sich niemand mehr an den Ofen traut. Und im schlimmsten Fall → Rivalitäten („Ich ess das nicht! Das macht Krebs!!“) und Versorgungsengpässe, weil nicht genug Brotzeit da ist (→ „Hat irgendwer noch Kippen?!“).
 

C wie Ch-Anomalie

Bei Hüttengeburtstagen zwangsläufig auftretende Form der Sprachverwirrung. Meint den Versuch, wie die Einheimischen zu sprechen – also Tirolerisch. Und zwar egal, ob im Burgenland gefeiert wird, in Kärnten oder im Chiemgau. Folgt oft direkt auf den Besuch des → Wirts und gipfelt im Wort „Bananechhrr“.
 

D wie Distorsio articularis per sneakerem conversem

Unter Medizinern vor allem in Alpennähe beobachtetes Phänomen. Bezeichnet Gelenksverstauchungen nach Bergbesteigung in Schuhen der Marke Converse. Unter den Betroffen sind je nach Studie 98 bis 100 Prozent → Gäste aus Frankfurt oder Berlin.
 

E wie Einzelzimmer? Haha!

Hütten und Schlafkomfort schließen einander aus. Kategorisch. Das einzige gemütliche Doppelzimmer ist dem Geburtstagskind und seinem Partner versprochen. Wahrscheinlich pennt man also im Achtbett-Matratzenlager mit drei Schnarchern, einem, der sich übergeben muss, zwei, die sich unter lauten „Fummp“-„Fummp“-„Klirr“-Geräuschen noch ein paar Halbe aufmachen, dem → Zugspitzbezwinger, der um spätestens 6.30 Uhr wieder aufsteht, und zwei, die sich im Zimmer geirrt haben. Also mindestens zu zehnt.
 

F wie Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich

Siehe oben: Je rustikaler eine Hütte, desto wahrscheinlicher kommt die Wärme aus einem Bollerofen, der befeuert werden will. Dafür muss womöglich sogar Holz gehackt, mindestens aber geschleppt werden. Selbst, wenn das lückenlos funktioniert, was es nicht tun wird, erfolgt die Wärmeregulierung bei Ungeübten (also auch bei dir) so zeitverzögert und ausschließlich im falschen Augenblick, dass es immer entweder zu kalt oder viel zu warm ist. Der Impuls wird sein, diese Extreme durch Öffnen und Schließen der Fenster abzufedern. Führt zu: übelste Erkältung ever (→ Schnapsaufguss) und → Rivalitäten, weil man sich über die richtige Temperatur streiten muss.
 

G wie Gäste aus Frankfurt oder Berlin

Menschen, die von Daheim nur den „Großen Feldberg“ oder den „Großen Müggelberg“ kennen. Beide sehr klein. Begegnen den Alpen und Artverwandtem deshalb mit der Begeisterung des Überwältigten: sehr überfordert, aber dafür übereuphorisch. Sind damit die wahrscheinlichsten Kandidaten für → Distorsio articularis per sneakerem conversem und leider auch → Ch-Anomalie. Sätze, die man von ihnen garantiert hört: „Wie meinst du, ‚Wanderschuhe‘?“, „Keine Sorge, ich kann in denen total gut laufen!“, „Boah, ich glaub, der ist gebrochen!“

>>>Gefahren: Kühe, Zirbenschnaps – und Landlust-Abos<<<

 

H wie „Hat irgendwer noch Kippen?!“

Satz, den spätestens am ersten Abend um Mitternacht irgendwer – vermutlich aber ein → Gast aus Frankfurt oder Berlin – sagt. Steht exemplarisch für ein größeres Problem: den Versorgungsengpass. Alkoport liefert nämlich nicht auf Berghütten. Wer also bei der → Planung schlampt, dem fehlt es schnell an Essenziellem (Bier, Kippen, Brotzeit, Kondome). Gilt auch für Drogen! Vor allem für die. Auf Hüttenklos hast du nämlich keine Chance, noch was zu kaufen. Egal was! Null! Keine!

I wie „Ich spiel’ auf die Hundsg’fickte!“

Satz, der garantiert fallen – und aufgrund der → Ch-Anomalie irgendwann tirolerisch ausgesprochen werden wird („Hundsg’cchhfickte“). Grund: Egal, wie gut die Feier ist, auf einer Hütte entsteht irgendwann immer eine kleine Schafkopfrunde. Die dann später zu einer Trinkspielrunde wird. Aus der dann das → Opfer des Zirbenschnapses hervorgeht.
 

J wie Je-rustikaler-desto-Frostbeulen-Korrelation

Zusätzlich zur → Aufstiegs-Abgeschiedenheits-Balance dringend zu berücksichtigender Zusammenhang: Je uriger eine Hütte ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass du kalt duschen musst. Was heißt: saukalt. Was heißt: abartig saukalt. Was alles zusammen einmal mehr heißt: übelste Erkältung ever (→ Schnapsaufguss) oder → Rivalitäten wegen Gestank.
 

K wie Kuh-Mutprobe

Wer lässt sich von der Kuh die Hand ablecken?
 

L wie Landlust-Abo-Gefahr

Ist groß. Weil erster Impuls aus der „Bergblick-Alpenglüh’n-herrlich“-Seligkeit eines Hüttengeburtstags: der Satz „Sollte man eigentlich viel öfter machen, so raus in die Berge fahren, auch ohne Anlass.“ Realität zu Hause allerdings: innerer Schweinehund. Zweiter Impuls deshalb: sich Natur in einem Magazin anschauen. Beweist: Der erste Impuls ist meistens richtig.
 

M wie „Mal sehen, ob da oben das Netz besser ist!“

Dass sie auf der Hütte kein Wlan haben, erwarten die meisten Gäste. Dass das Netz in und vor der Hütte so schlecht ist, dass man Instagram gar nicht erst zu öffnen braucht, ärgert sie aber dann doch. Denn die idyllischen Bergfotos sind ja quasi umsonst, wenn man sie nicht teilen kann. Und so laufen sie dann los, ihre Telefone vor sich wie ein nach seltenen Erzen suchender Rutengänger seine Wünschelrute, und schauen, ob das Netz auf dem Hügel da hinten nicht ein bisschen besser ist. Bewahrheitet sich die Annahme, wird dort garantiert das ganze Wochenende immer jemand stehen.
 

N wie Nachzügler

Hütten liegen also auch oft an Orten, an denen Smartphone-Navigation nicht mehr funktioniert (siehe oben). In der Einladungsmail steht deshalb eine sehr ausführliche Wegbeschreibung. Die eine Hälfte der Gäste liest sie aufmerksam und kommt pünktlich. Einige lesen sie flüchtig, und wissen vor Ort nicht mehr, ob sie jetzt bei Niederfeld oder bei Unterfeld abbiegen mussten und ob sie den Forstweg am Moarhof oder den an der Moaralm nehmen müssen. Andere Nachzügler kommen auf die Hüttenparty, wie sie auch auf eine Club-Party kommen: lange nach Beginn, dafür ganz schön angetüdelt. Weil sie deshalb gerne versuchen, den Fußweg mit der Leuchtkraft der Handy-Taschenlampe oder sogar eines Feuerzeugs zu finden, bilden sie einen entscheidenden Posten in den Statistiken zur → Distorsio articularis per sneakerem conversem. Neuere Untersuchungen bestätigen den Verdacht, dass es sich bei den Nachzüglern fast ausschließlich um → Gäste aus Frankfurt oder Berlin handelt.
 

O wie Opfer des Zirbenschnapses

Derjenige, der das Schränkchen entdeckt, in dem der → Wirt seinen Selbstgebrannten lagert. Er wird morgens an einem Ort gefunden, der eigentlich nicht zum Schlafen gedacht ist. Als Kopfkissen hat er die → Quetschen benutzt, als Decke die DAV-Karten des → Zugspitzbezwingers. Wäre das eine normale Party, würden ihn jetzt alle bemitleiden. Hier aber beneiden ihn alle (bis auf den → Zugspitzbezwinger, der hasst ihn). Er ist der einzige, der eine wirklich glaubwürdige Ausrede hat, um nicht mit auf die Wanderung gehen zu müssen (→ Umdrehen).
 

P wie Planung

Muss früh beginnen. Sehr früh! Wirklich!

>>>Die gängigsten Streitursachen: die richtige Temperatur, verstecktes Bier und Quetschenmusik.<<<
 

Q wie Quetschen

Hängt als Deko in der Stube, wird aber irgendwann als Instrument entdeckt und fortan nervt einer alle anderen damit.
 

R wie Rivalitäten

Ein Hüttengeburtstag ist mit das Schönste, was es gibt, bietet aber auch viel Konfliktpotenzial. Die wahrscheinlichsten Streitursachen sind: die richtige Temperatur (→ Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleich), verkohltes Essen ( → Brennt-alles-an-Faktor), verstecktes Bier (→ „Hat irgendwer noch Kippen?!“), → Quetschen-Musik und Gestank (→ Je-rustikaler-desto-Frostbeulen-Korrelation). → Xylophone hingegen nie.
 

S wie Schnapsaufguss

Auf luxuriöseren Hütten gibt es eine Sauna. Spätestens um 3 Uhr nachts – oder aber genau in dem Moment, in dem der → Wirt gerade vorbeischaut – will da jemand rein. Es folgen: Schnapsaufguss, Abkühlen in der Kuhtränke draußen auf der Weide, übelste Erkältung ever.
 

T wie Tee

Steht ständig frisch aufgebrüht auf dem Holztisch. Zubereitet hat ihn einer, als sich die Temperatur aufgrund eines überambitionierten → Fenster-auf-Fenster-zu-Ausgleichs und gleichzeitiger Holz-Nachlegeversäumnis in besondere Tiefen gesenkt hat. Das Wasser für den Tee zu kochen, hat aber genauso lange gedauert, wie das Einheizen der Stube selbst. Deshalb wird er nie angerührt.
 

U wie Umdrehen

Hüttenfeiern dauern ja gerne ein ganzes Wochenende. Und wenn man schon mal in den Bergen ist, will man auch wandern gehen – bis dabei das erste steilere Stück kommt. Nach dem geht man noch 200 qualvolle Höhenmeter weiter, wünscht sich aber eigentlich, irgendeiner möge doch bitte fragen, ob man nicht umdrehen wolle. Derjenige, der das letztlich tut, ist ein stumm gefeierter Held – und war vermutlich der etwas zurückhaltendere Trinkkumpane des → Opfers des Zirbenschnapses.
 

V wie Verdächtige, die üblichen

Gute Hütten mit der richtigen → Aufstieg-Abgeschiedenheits-Balance, der richtigen Größe für eine Party und dem richtigen Preis sind selten, oft nur mit Herrschaftswissen zu finden und quasi immer ausgebucht. Deshalb ist man bei der → Planung auf Tipps aus dem Freundeskreis angewiesen. Das führt dazu, dass man immer wieder auf dieselben Hütten fährt. Was erst gut ist, weil die Hütte gut ist und die verirrten → Nachzügler von Mal zu Mal weniger werden. Irgendwann wird’s aber auch langweilig, weil inzwischen jeder weiß, wo der → Wirt seinen Selbstgebrannten versteckt hat. Und er deshalb schon seit ein paar Besuchen leer ist.
 

W wie Wirt

Kommt nach der Schlüsselübergabe noch mal zum Ausfüllen des Kurtaxe-Formulars vorbei. Meistens genau dann, wenn aus der Sauna der Hütte lautes → „Schnapsaufguss“-Gebrüll dröhnt oder das Essen verbrennt. Spricht in den Ohren aller Anwesenden tirolerisch – auch, wenn er aus Wien kommt – und ist damit hauptverantwortlich für die → Ch-Anomalie.
 

X wie Xylophon

Instrument, das niemand auf eine Hüttenfeier mitbringen würde. Warum auch?!
 

Y wie Yak

Auch bekannt als Grunzochse. Gibt es in Europa wirklich. Reinhold Messner hält in Sulden am Ortler eine kleine Herde von Hausyaks. Kein Witz.
 

Z wie Zugspitzbezwinger

Ist jedes Wochenende in den Bergen, joggt nach Feierabend auf seinen Hausberg und hat schon am Zugspitzlauf teilgenommen. Der kann nicht in den Bergen sein und einfach nur feiern, sondern hat sich eine schöne 3000-Höhenmeter-Tour für den Tag nach der Party vorgenommen. Brütet deshalb direkt nach Ankunft über seinem DAV-Kartenmaterial, geht um halb zwölf ins Bett und bittet um 2 Uhr, ob man die Musik nicht leiser machen könne. Wird nächstes Mal nicht mehr eingeladen.

Text: jetzt-redaktion - Foto: photocase/beniccezettberlin

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