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Große, böse Stadt

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Man weiß nicht, was die Menschen am Biertisch mehr genießen: den Applaus oder die Bezeichnung, die ihr Parteivorsitzender ihnen gerade verpasst hat. Als er sie mit seinem „besonderen Gruß“ bedacht hat. Einem besonderen Gruß an seine „jungen, dynamischen Revoluzzer“.
 
Es ist „Politischer Gillamoos“ auf dem Volksfest in Abensberg, 30 Kilometer vor Regensburg, bei dem die Parteien ihre politischen Reden halten. Die Bayernpartei trifft sich in der Wirtschaft „Kuchlbauer“, ins Festzelt durften wieder nur die anderen Parteien. Trotzdem herrscht Bierzeltstimmung im Saal. Es ist brechend voll, und wenn nicht geredet wird, spielt eine Blaskapelle. Die Leute sitzen eng an den langen Bänken zusammen. Fast alle tragen Tracht, trinken Weißbier und essen Weißwürste. Die Zuzel-Quote liegt bei knapp 100 Prozent.

Eine Zuzel-Quote von 100 Prozent
 
Und in der Mitte des Raums sitzen die jungen Revoluzzer: die Jungbayern, etwa 20 sind heute gekommen, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Sie sind der Nachwuchs einer sehr konservativen Partei, deren Ziel es ist, die bayerische Kultur und Sprache zu fördern. Mehr noch: Die Jungbayern sind überzeugte Separatisten. Sie wollen die Abspaltung Bayerns von Deutschland.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Während die Redner in den kommenden zwei Stunden Schimpftiraden auf den Länderfinanzausgleich und die CSU abfeuern und vor einer „Überfremdung“ im Land warnen, herrscht bei den Jungbayern ausgelassene Stimmung. Je kerniger die Aussagen, desto größer der Jubel. Das gilt für den gesamten Saal. Am lautesten wird aber fast immer am Tisch der Jungbayern gejubelt.
 
Wohl auch, weil es zumindest Kleines zu feiern gibt. Die Bayernpartei ist in den vergangenen Jahren wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Bei den Landtagswahlen 2013 lag sie mit 2,1 Prozent immerhin gleichauf mit der Linken. Im Vergleich zu 2008 konnte sie ihr Ergebnis mehr als verdoppeln. Am Freitag ist Parteitag in Regensburg. Tag der Deutschen Einheit. Und kurz vorher ist die Stimmung bestens. Weil Abspaltung das Thema der Stunde zu sein scheint: In Katalonien gehen gerade wieder Separatisten auf die Straße, in Schottland ist das Referendum für die Unabhängigkeit vom Vereinten Königreich nur knapp gescheitert und in der Ost-Ukraine sorgen Autonomiebestrebungen gerade für einen globalen Krisenherd. Es ist offenbar eine gute Zeit für junge Revoluzzer. 
 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Nadine Holzner ist die einzige Frau am Tisch. Sie ist 30 Jahre alt und trägt Dirndl. Sie stammt aus Niederbayern, wohnt aber jetzt im Landkreis Ebersberg. Dort ist sie stellvertretende Kreisvorsitzende, Mitglied in einer Dirndlschaft, in einem Trachtenverein und im Verein bayerischer Sprache und Dialekte. Letzteres sieht sie gefährdet, Schuld seien vor allem die „Preißn“: „Wenn man zu denen ,pfiad di‘ sagt, kommt immer die dicke Watschn und du kriegst wieder ein ,Tschüss‘ ins Gesicht geschmettert.“ Nadine gestikuliert energisch mit ihren feingliedrigen Händen, wenn sie so etwas sagt. Manchmal rutscht ihr dann eine blonde Strähne aus dem streng zurückgebundenen Dutt.
 
Heimat ist für Nadine Bayern, nicht Deutschland

In die Bayernpartei fand sie über einen Umweg: Berlin. Sie habe angefangen, Hochdeutsch zu sprechen – und sich selbst nicht mehr wiedererkannt. „Ich war mir selber fremd und wahnsinnig unsympathisch. Als ich dort gewohnt habe, habe ich eigentlich erst so richtig gemerkt, dass ich ein komplett anderer Mensch bin.“ Ihr fiel zum ersten Mal auf, wie stark sie in ihrer Heimat verwurzelt ist. Und mit Heimat meint sie Bayern, nicht Deutschland. „Deutschland als Ganzes existiert für mich einfach nicht. Wir sind hier eben anders“, sagt sie.
 
Nadine ist überzeugte Separatistin. Ihre Antwort auf Globalisierung und Multi-Kulti ist stärkerer Regionalismus. Sie will zurück zu den Wurzeln und das Bayerische fördern. Doch was ist das überhaupt, „das Bayerische“? Darauf hat sie zwar klare Antworten: Das Bayerische, das seien Traditionen wie das Schuhplattln, die Blasmusik und Bräuche wie das Maibaum-Stehlen. Das Bier, die Weißwürste. Und natürlich die Sprache. Nur – und auch das merkt man bald am Jungbayern-Tisch beim politischen Gillamoos – ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn da ist ja noch München. Und das ist in vielerlei Hinsicht ja Berlin näher als Niederbayern.
 
München, die große, böse Stadt

Für Nadine ist München „die große, böse Stadt.“ Mit Jugendlichen in der S-Bahn, die nur „irgendein Türkendeutsch sprechen und tausend Wörter auslassen“. Die Stadt steht für die jungen Parteimitglieder oft für alles, was in Bayern gerade schiefläuft: die zunehmende Gentrifizierung, der sprachliche und kulturelle Mischmasch. Wohl fühlt sich Nadine dort nicht: „Man hält sich doch gerne fern.“ Manchmal, so scheint es, wenn man Nadine zuhört, werden Probleme erst aus der Ferne betrachtet groß.
 
Andreas Niedermaier, 31, kommt aus München. Als einziger am Jungbayern-Tisch. Er sitzt ein wenig abseits von der ländlichen Fraktion. Wenn Andreas sich in ein Gespräch einklinkt, merkt man, dass ihm das Bayerische nicht so leicht von den Lippen geht wie den anderen. Er trägt zwar einen Janker, spricht aber keinen reinen Dialekt. Er weiß das selbst, er nennt das „Münchner Kauderwelsch“ und meint einen Mix aus hochdeutschen und bayerischen Wörtern. Andreas ist in Giesing geboren und heute Kreisvorsitzender in München-Ost. Als Kind habe er noch Bayerisch gesprochen, sagt er. Das sei ihm allerdings von seinen Lehrern ausgetrieben worden, und tja, dann komme halt so etwas wie er raus: ein „Isarpreuße“. Trotz seiner Wurzeln teilt er die Abneigung gegen München, die seine ländlichen Kollegen so offen aussprechen: „Die Stadt gefällt mir von Jahr zu Jahr weniger.“

80 Prozent des Privatlebens gehören der Bayernpartei
 
Ortswechsel in die große, böse Stadt: Ein Treffen der Jungbayern in der Münchner Parteizentrale. Berg am Laim. Da, wo sich München gar nicht schick anfühlt. Die Jungbayern trinken diesmal Spezi statt Bier, sie sitzen im Besprechungsraum um einen großen, weißen Tisch. Die Räume sind spartanisch eingerichtet. Alte Wahlplakate kleben an den Wänden. Auf eine Korktafel ist ein Nummernschild gepinnt: „M – BP 1946“. Das Gründungsjahr. Sogar in dieser kleinen Runde in München sind die Kräfteverhältnisse zwischen der ländlichen und der Münchner Fraktion eindeutig verteilt. Von den zehn Anwesenden sind nur drei in München aufgewachsen, der Rest kommt aus dem Umland. Die Partei tut sich schwer, Münchner Mitglieder zu rekrutieren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Andreas verbringt hier viel Zeit. Er ist ein leidenschaftliches Parteimitglied: „Mein Privatleben besteht zu 80 Prozent aus Bayernpartei. Bei der Landtagswahl habe ich Plakate aufgehängt wie ein Wahnsinniger, knapp 3000 Stangen“. Das lag auch daran, dass es in München so wenig aktive Mitglieder gibt. Die Münchner Bayernpartei hat nur eine Handvoll junger Leute, die wirklich aktiv Parteiarbeit betreibt. Genauso viele wie im Landkreis Ebersberg, in dem Nadine aktiv ist.
 
Auch bei den Münchner Wählern hat es die Bayernpartei schwer. Zwar erzielte sie bei letzten Landtagswahlen in München mit 1,7 Prozent ihr bestes Ergebnis seit langem, in Niederbayern waren es mit 3,2 Prozent trotzdem fast doppelt so viele. Es mag wie ein Klischee klingen, dass auf dem Land konservativer gewählt wird. Zumindest die Bayernpartei scheint auf dem Land mehr Menschen zu finden, die wieder mehr Lederhosen als Laptop wollen.
 
Das Bayrische in sich finden kann mühsam sein

Das strahlende Vorbild bei den Parteitreffen ist jedenfalls immer das ländliche Bayern. Markus, 25, ist in Neuperlach aufgewachsen. „Dort hatte man nicht so richtig das Gefühl, man ist jetzt in Bayern“, sagt er. Auch Michael, 18, ist in München bisher wenig mit bayerischem Brauchtum in Berührung gekommen. Wenn die ländlichen Mitglieder begeistert von ihren Burschen- und Trachtenvereinen erzählen, kann er genau wie Markus nur neugierig zuhören. Beide haben das Gefühl, das Bayerische in sich mühsam wiederfinden zu müssen. Auch deshalb wünschen sie sich ein München mit mehr Schuhplattlern und Goaßlschnalzern. Brauchtum, sagen sie, das sei gerade, wenn überhaupt, nur noch als Touristenattraktion vorhanden.
 
Nach zwei Stunden Diskussion löst sich die Runde langsam auf. Michael und Markus gehen als erste. Bald bleibt nur noch ein harter Kern, der vom Spezi doch noch zum Bier wechselt. Auch Andreas ist noch dabei. Er ist wieder der einzige Münchner. Der Rest ist aus dem Umland gekommen. In die große, böse Stadt.

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