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Gegen die Wand gefahren
Bei Münchens erster „Failnight“ erzählen Menschen von ihrem Scheitern – öffentlich. Warum nur? Ein Gespräch mit der Veranstalterin und einem Referenten.Ist Scheitern immer noch ein Tabu? Und wenn ja: Gilt das im erfolgsverwöhnten München besonders? Bei der „Failnight“ berichten Menschen live auf der Bühne von ihren Misserfolgen. Sabine Sikorski arbeitet in einer PR-Agentur, ist Foodbloggerin und engagiert sich im Social Media Club München. Sie organisiert die Veranstaltung. Einer der Referenten ist Florian Deising. Der promovierte VWLer gehörte zu den zehn Besten seines Uni-Jahrgangs und leitete als Unternehmensberater und Finanzmanager internationale Projekte in großen Konzernen. Dann kündigte er – und war ein Jahr lang arbeitslos. 400 Bewerbungen und drei Vorstellungsgespräche später startete er eine nachhaltige Sportgründungsinitiative, mit der er scheiterte. Heute unterstützt er Sozialunternehmer und ist Geschäftsführer der Firma bienensauna.de.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de München: Florian, du bist Referent bei der Failnight, weil du sehr lange arbeitslos warst und dein erstes Start-up gegen die Wand gefahren hast. Warum erzählst du das fremden Leuten?
Florian: Ich habe ein Jahr lang acht Stunden am Tag Bewerbungen geschrieben, insgesamt waren es 400. Ich habe um die 80 Netzwerkveranstaltungen besucht. Ich weiß, was ich kann, aber nach einem Jahr ging das ans Selbstvertrauen. Ich will diese Erfahrung weitergeben, um zu zeigen, dass man nicht immer etwas für sein Scheitern kann.
Sabine: Jeder von uns war schon in Situationen, in denen er nicht mehr weiter wusste. Ich finde es wichtig, den Leuten zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Darum gibt es auch schon in mehreren Städten „Fuckup Nights“. Wir fanden „Failnight“ allerdings sympathischer.
Florian ist mit seinem zweiten Start-up erfolgreich. Mit einem Happy Ende spricht es sich auch leichter über Niederlagen.
Sabine: Das hängt davon ab, wie man Happy End definiert. Bei ihm sehe ich das so. Er verdient zwar weniger Geld als früher, ist aber glücklich. Eine Referentin wird über das Scheitern ihres Familienmodells sprechen. Ihr und ihren Kindern geht es heute gut, aber ihre Ehe ist gescheitert.
Was hat dir, Florian, geholfen, mit den Niederlagen umzugehen?
Florian: Ich habe gelernt, dass es nicht an mir lag, dass ich so lange keine Arbeit fand. Und dass der Fachkräftemangel in manchen Branchen nur in der Fantasie existiert. Es gibt viele Leute, die ganz schön viel können, aber keine Arbeit haben. Weil man ihnen nicht zutraut, ihr Wissen in einem anderen Bereich anzuwenden als dem, in dem sie mal gearbeitet haben. Und ich habe gelernt, dass das Arbeitsamt keine Unterstützung ist. Es gibt dort keine sozialen Aktivitäten für qualifizierte Arbeitslose. Die Sportgründungsinitiative, die ich vor dem Bienenprojekt gestartet habe, kam über drei Ecken zustande. Und auch nur, weil ich selbst auf Netzwerktreffen bin, um Menschen kennenzulernen.
Ist eure Botschaft dann: Einfach mal probieren?
Florian: Am Ende ist es natürlich auch ein Aufruf, etwas zu wagen. Nicht nur als Selbständiger. Es scheitern ja auch in Konzernen viele. Da redet man nur nicht so darüber. Aber, nein: „Einfach mal ausprobieren“, das möchte ich nicht vermitteln. Das funktioniert nicht. Den Job hinzuwerfen und die Branche zu wechseln, kann ich keinem empfehlen. Ich konnte das, weil ich keine Kinder und kein Auto hatte und kein Haus abbezahlen musste.
Sabine: Gründer lesen Statistiken, in denen steht, dass neun von zehn Gründungen scheitern, dass sie die ersten Jahre kein Geld verdienen. Wir wollen Mut machen, es zu versuchen – und wir wollen das Scheitern enttabuisieren.
Warum ist Scheitern so ein Tabu?
Sabine: Wir sprechen immer nur über Erfolge. Nehmen wir nur mal die sozialen Netzwerke. Da ist „Heute war ein Scheißtag“ schon das Negativste, das man findet. Niemand schreibt, dass ihm etwas nicht geglückt ist. Wir posten Bilder vom Strand, vom Feiern, dieses Interview werde ich posten. Da kriegen wir den Eindruck, bei allen anderen Leuten läuft’s, nur bei mir nicht.
FDP-Chef Christian Lindner hat mit seiner Wutrede vor einer guten Woche die perfekte PR für die Failnight vorgelegt.
Sabine: Schon im November war Scheitern Titelthema der brand eins, aber Lindners Wutrede hat bewirkt, dass etwas mehr übers Scheitern gesprochen und geschrieben wird. Scheitern hängt den Leuten wie ein Stigma an. Die Anderen denken oft, wenn man scheitert, heißt das, dass man es nicht drauf hat. Das stimmt einfach nicht. Manchmal passen die äußeren Umstände nicht, manchmal hat man die richtige Idee zum falschen Zeitpunkt.
Florian: Ich habe das auch privat gemerkt. Meine Freunde gingen total zurückhaltend mit meiner Arbeitslosigkeit um. Statt einfach mal zu fragen, wie es mir geht, wurde das totgeschwiegen.
Sabine: Darüber muss mehr geredet werden. Und wir merken, dass die Menschen das wollen. Wir haben jetzt schon Referenten für die nächste Failnight.
Ist Scheitern in München besonders schlimm?
Florian: Ich glaube nicht, dass das viel mit der Stadt zu tun hat. Ich jedenfalls habe es nicht als besonders schlimm empfunden, hier zu scheitern. Mir ging es mehr um mein Umfeld. Und darum, wie das reagiert. Zu den Leuten aus den Konzernen habe ich kaum Kontakt mehr.
Hier ist es aber schwieriger, mit wenig Geld auszukommen. Und es gibt weniger offensichtliches Scheitern. Bei München denkt man doch eher an Erfolg.
Sabine: Stimmt. Viele Leute haben hier Erfolg – und damit Geld. Die armen Leute werden nach draußen gedrängt, sodass man sie im Stadtbild nicht sieht. Hier ist es nicht oft so, dass der Nachbar auch keinen Job hat, nur selten klappt ein großes Projekt mal nicht. München vermittelt schon sehr den Eindruck: „Hier gelingt jedem alles.“
Failnight, 19. Feb., 19 Uhr, im Muffatcafé, Eintritt frei (bei Zusage auf Facebook); Mehr Infos.
Text: kathrin-hollmer - Illustration: daniela-rudolf