Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Gebrüht, nicht gepresst

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Maksim Dubilej hat kräftige Arme. Wahrscheinlich könnte er damit spielend einen 50-Kilo-Sack voll Kaffee schultern. Jetzt aber hat er nur ein kleines Tütchen in der Hand, mit großer Sorgfalt schüttet er Stück für Stück hellbraune Bohnen in einen Pappbecher, bis die Digitalwaage vor ihm auf dem Tresen 18 Gramm anzeigt. 18 Gramm. Nicht 17, nicht 19 und schon gar nicht 20 Gramm. 18 müssen es sein.

Maksim bereitet einen Kaffee zu, um genau zu sein: einen Filterkaffee. Das Getränk also, dessen Image nichts mit jung, cool und urban zu tun hat und bei dem man an Imbissbuden und große Thermoskannen auf Urlaubsfahrten mit den Eltern denken muss. Das Getränk, das auf den kreidebeschriebenen Tafeln von Innenstadt-Cafés und den Karten großer Caféketten längst an den Rand gedrängt wurde von seinen angesagteren Verwandten wie Cappuccino, Espresso, Latte Macchiato.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Gäste von Maksim (links) und Johannes im Bald Neu bekommen akribisch zubereiteten Filterkaffee.  

Maksims Zubereitungsart hat mit ein paar lieblos in eine Filtermaschine geschaufelten Löffeln Discounter-Kaffee auch nicht viel zu tun. Er wiegt nicht nur genau ab, auch der Rest der Prozedur ist akribisch durchchoreografiert. Er holt ein gläsernes Kännchen und setzt einen weißen Filtertrichter darauf. Der sieht nur auf den ersten Blick aus wie das altbekannte Modell von Melitta. Das Loch ist größer, an den Wänden befinden sich spiralförmig eingearbeitete Rippen. Das Filterpapier, das er in den Trichter legt, ist hauchdünn. „Wegen der Form und wegen des dünnen Filters kann der Kaffee auch zur Seite extrahieren“, erklärt er, während er heißes Wasser auf das Papier gießt, noch ohne dass sich Kaffee darin befindet. „Erst muss der Papiergeschmack raus.“ Dann endlich: Er schüttet das abgewogene und frisch gemahlene Kaffeepulver in den Filter und gießt in kreisenden Bewegungen Wasser auf. 97 Grad ist es heiß, wieder genau gemessen. Er rührt ein paar Mal um und wartet. Zwei Minuten und 45 Sekunden, auch das wird, na klar, genau gestoppt.

Wer Maksim, 24 Jahre, Rauschebart, gelbe Sneaker, Mütze und Streifen-Shirt, im Café Bald Neu in Untergiesing bei der Arbeit zusieht, merkt schnell, dass es hier um eine besondere Art von Kaffeekultur geht. „Third Wave Coffee“ nennt sie sich, sie ist ein Teil des Slow-Food-Hypes und in vielen Metropolen derzeit auf dem Vormarsch. In London, Berlin, New York, den Hipster-Zentren dieser Welt, eröffnen Cafés, die sich gerne auch als „Brew Bars“ bezeichnen und die Zubereitung von Filterkaffee zur Kunst erheben. Sie beziehen ihre Bohnen von kleinen Röstern oder direkt von Farmen in aller Welt, sie rösten zum Teil auch selbst und brühen den Kaffee mit unterschiedlichen Zubereitungsmethoden, von denen manche aussehen, als bräuchte man dafür eine Ausbildung zum Chemielaboranten.

Mit dem Bald Neu, das diesen Sommer eröffnete, ist diese Welle auch in München angekommen. Das kleine Café mit den Glühlampen an der Decke, den teils unverputzten Wänden und den zusammengewürfelten Sitzmöbeln war hier das erste, das sich auf den aufwändig gebrühten Filterkaffee spezialisierte. Schon vorher gründeten die Schwestern Caro und Annika Maras die Firma Green Cup Coffee, die sich auf fair gehandelten Gourmet-Kaffee von kleinen Farmen spezialisiert hat und ihn über einen Web-Shop verkauft. Vergangenen Samstag eröffneten auch sie ein Café mit eigener Brew Bar in der Schellingstraße. „Wir wollen das Thema Filterkaffee noch pushen“, sagt Caro, auch wenn der Trend schon deutlich spürbar sei und eigentlich eine logische Entwicklung: „Es gibt ja seit Jahren eine Bewegung in Richtung hochwertigerer Lebensmittel und bewusstem Genuss. Jetzt kommt das auch beim Kaffee an, der ja auch viel mehr Aromen hat als zum Beispiel Wein“, sagt Caro.

Maksim kam eigentlich eher zufällig zu seiner Liebe zum Filterkaffee. Sein Kumpel Christian Raab, der in der Nähe ein Tonstudio betreibt, bekam mit, dass das Eckcafé in der Sommerstraße zum Verkauf stand. Er fragte Maksim, ob er es übernehmen würde. Als der zustimmte, kaufte er den Laden. Sie erinnerten sich an einen besonders guten Kaffee, den sie mal in einem Klamottenladen bekommen hatten und kontaktierten den Kaffeeröster Johannes Bayer, der diesen Laden beliefert. „Wir hatten eigentlich überhaupt keine Ahnung von Kaffee, bis Johannes uns alles erklärt und gezeigt hat“, erinnert sich Maksim.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit dieser Apparatur wird wirklich nur Kaffee gekocht. 

Johannes, 28, steht neben Maksim hinter dem Tresen und muss lachen, wenn er sich daran erinnert, wie es aussah, als er zum ersten Mal ins noch nicht eröffnete Bald Neu kam: „Es gab nur eine Kaffeemaschine von den Vorgängern, ein total vergrindetes Teil. Und Maksim und Christian hatten wirklich keinen Plan.“ Er schon. Er röstet seit etwa fünf Jahren Kaffee, er bezieht ihn je nach Saison aus Kenia, Ruanda, Äthiopien, El Salvador und Guatemala und beliefert Kunden in München, Berlin, London und Prag. Zwei Wäschekörbe voll hat er heute ins Bald Neu gebracht, für etwa zwei Wochen werden sie reichen. Er ist Autodidakt, bei ihm zu Hause stehe eine kleine Kaffee-Bibliothek, sagt er. Das meiste davon scheint er sich ziemlich genau eingeprägt zu haben – er kann sehr ausführlich über verschiedene Sorten, Brühmethoden und Geschmacksrichtungen erzählen. Das Vokabular, das er dabei benutzt, würde auch zu einem Wein- oder Whiskeykenner passen. Das mag ein bisschen nerdig wirken, hat aber durchaus seine Berechtigung: Der Filterkaffee im Bald Neu ist tatsächlich ziemlich anders als das meiste, was man sonst bekommt, wenn man einen Kaffee oder einen Espresso bestellt. Er sieht dünn aus, die Farbe geht ins Rötliche, der Geschmack ist saurer, fruchtiger, saftiger als bei normalem Kaffee, vor allem aber fehlt ihm das Bittere. Man kommt gar nicht auf die Idee, ihn mit Milch und Zucker zu trinken (der im Bald Neu auch nicht auf den Tischen steht). „Filterkaffee ist stärker im Geschmack als Espresso“, erklärt Johannes. „Er wird nicht so schnell und ohne Hochdruck zubereitet, deswegen können sich die Geschmacksnuancen viel stärker entfalten.“ Jede Filtermethode akzentuiere eine andere dieser Feinheiten.

Im Bald Neu wird das Kaffee-Nerdtum zwar auch ausgiebig gepflegt, aber nicht ohne etwas selbstironische Distanz zu bewahren. Das sieht man auch an den Wänden: Neben dem Eingang erklärt ein Arrangement aus buntem Klebeband, Kaffeetassen, Kannen und Mühle, wie hier der Kaffe zubereitet wird. Neben der Mühle steht „Kaffee-Zerstörer“, neben den Tassen „Ganz tolle Tassen“.

Noch sind Green Cup Coffee und das Bald Neu die einzigen in München, die sich auf Filterkaffee spezialisiert haben, ein Massenphänomen ist der Third Wave Coffee hier noch lange nicht. Die meisten Leute, die zum ersten Mal so einen Kaffee probieren, reagieren noch ziemlich überrascht auf den Geschmack, das sagen sowohl Maksim und Johannes als auch Caro. Der High-End-Kaffee ist immer noch eine Nische und verwirrt die Geschmacksnerven, und nicht jeder Gast kann oder will sich dran gewöhnen. „Der Geschmack polarisiert“, sagt Johannes. Caro wundert das nicht: „Die Leute kennen jetzt seit Jahrzehnten vor allem die Einheitsbrühe aus dem Supermarkt. Dass es schonend gerösteten Kaffee gibt, der so aromatisch ist, weiß kaum einer.“

Manchen wird es aber vielleicht gehen wie Maksim. Der sagt: „Ich trinke in München sonst gar keinen Kaffee mehr.“


Text: christian-helten - Fotos: Juri Gottschall

  • teilen
  • schließen