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"Es ist ein Riesendrama"

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Philip, 30, freier Künstler, steht an der Noho Teabar und dem Rausch und Töchter an der Tür. Vero 33, ist Kellnerin, arbeitete früher an der Tür der Registratur und heute am Eingang des Yip Yab.
 
jetzt.de: Wenn man etwas über das Nachtleben und seine Menschen erfahren möchte, könnte man auch mit einem Barkeeper oder einem DJ sprechen. Aber die sind die meiste Zeit mit dem Zubereiten von Getränken oder dem Auswählen von Musik beschäftigt. Eure Hauptaufgabe hingegen besteht tatsächlich aus dem reinen Beobachten und Analysieren der Gäste. Was lernt man da über die Menschen?
Philip: Man erlebt vor allem seltsame Dinge. Letztens ist nachts ein Mädchen heulend und hyperventilierend vor mir zusammengebrochen. Ich so: Was ist los? Sie so: Mein Leben ist vorbei! Ich habe mein iPhone verloren. Die hat nicht mehr aufgehört zu heulen und ist einfach in sich zusammengefallen. Und ich dachte: Mann, du bist jung, gesund und schaust gut aus. Das ist doch bloß ein Telefon.
Vero: Es ist immer alles ein Riesendrama. Von der verlorenen Garderobenmarke bis zum Freund, der nicht zu erreichen ist. Das macht der Alkohol und das machen die Drogen. Vor allem die jungen Mädchen kommen oft an so einen Punkt, wo sie es nicht mehr allein packen. Ich glaube, ich trage jeden Abend vier kotzende Mädchen aus der Toilette raus. Und wenn dann noch ihre Freundinnen um sie herum stehen, ist eben Drama angesagt.
 
Was ist mit den Jungs?
Vero: Die gehen halt raus und kotzen ums Eck, ohne viel Getue.
 
Woran erkennt ihr, welche der Wartenden in der Schlange ihr reinlassen könnt und wen nicht?
Vero: Ich mache so eine Art Reaktionstest, wenn ich unsicher bin und versuche zwei, drei Sätze aus den Leuten rauszukriegen. Meistens frage ich: Wo kommt ihr gerade her? Reagieren sie da schon gereizt, weiß ich, dass sie noch Ärger machen könnten. Reagieren sie lustig und entspannt, weiß ich, dass sie für gute Laune sorgen werden. So was an den Klamotten abzuschätzen finde ich eher schwierig.
Philip: Man muss ein Gespür für Menschen entwickeln. Wie das geht, ist schwer zu beschreiben. Klar, Slang und Klamotten sagen ein bisschen was aus. Aber wenn jemand ein cooler Hund ist, ist er ein cooler Hund und passt gut in den Laden, egal was er anhat.
Vero: Du siehst denen ja auch immer in die Augen und schaust, wie betrunken sie sind oder ob sie Drogen genommen haben. Es ist so eine Kombination aus Gucken und Fühlen.
 
Schafft ihr es immer, geduldig zu bleiben?
Philip: Generell ja, aber es gibt schon noch too-much-Momente an der Tür, in denen ich merke, dass es echt schwer wird, ruhig zu bleiben. Wir verkaufen halt einfach legale Drogen und die machen die Leute schon manchmal anstrengend. Immer als der Nüchterne daneben zu stehen, kann da auch mal nervig sein.
Vero: Ich bin auch nicht immer perfekt ausgeglichen, das ist nicht möglich. Kürzlich zum Beispiel war der Laden voll und wir konnten keinen mehr reinlassen. Da kriegst du dann immer die gleichen ungläubigen Nachfragen und bist eh schon latent genervt. Und dann lehnte sich auch noch so ein Typ übers Gitter, der ziemlichen Mundgeruch hatte. Ich habe gesagt: Kannst du mir bitte den Gefallen tun und einen Schritt zurück gehen? Du riechst wahnsinnig aus dem Mund. Daraufhin hat er verlangt, er gehe nur einen Schritt zurück, wenn mein Kollege seinen Amnesty International Sticker abnimmt, weil er sich in seinem Menschenrecht verletzt fühlt, wenn ich ihm sage, dass er aus dem Mund riecht. Da hab ich gesagt: Ganz ehrlich, du verletzt meine Menschenrechte, wenn du mir mit deinem Mundgeruch zu nahe kommst, und jetzt geh bitte nach Hause. Klar, ich hätte cooler bleiben müssen, aber ich hatte einfach einen schlechten Tag, wenig geschlafen und dann kommt der mir mit Amnesty International.
 
Fühlt ihr euch manchmal erhaben, dass ihr mehr Macht als die Gäste habt?
Vero: Im Gegenteil. 99 Prozent der Leute, die ich immer abweisen muss, tun mir total leid und ich fühle mich nachher schlecht. Ist doch auch scheiße: Die wollten sich einen schönen Abend machen und dann scheitert es an mir.

Dann musst du es ihnen also möglichst schonend beibringen. Wie macht ihr den Leuten höflich klar, dass sie nicht reinkommen?
Vero: Das ist hart.
Philip: Das ist das Härteste.
Vero: Das Argument „Ist zu voll“ wird irgendwann schwierig, wenn die sehen, dass nach ihnen noch zehn Leute reingekommen sind.
Philip: Ich sage einfach: Läuft heute nicht. Geh nach Hause. Oder woanders hin.
Vero: Ich versuche, ehrlich zu sein. Ich weise ja niemanden aus Spaß ab, sondern weil ich das Gefühl habe, dass irgendwas stört. Ich sage: Hey Jungs, schaut euch an, ihr seid zu siebt, heute wird es voll, wo sind eure Mädels? Wenn die dann unerwartet witzig und spontan reagieren und sagen: Die reißen wir uns jetzt auf, kann es sogar sein, dass ich meine Meinung noch ändere. Aber manchmal ist es echt doof. Wenn mein Chef bei einer Veranstaltung sagt: Bitte heute keine Reisegruppe 18-jähriger Mädchen aus Starnberg, was erzähle ich denen dann? Dass ihre Nasen schief sind?
Philip: Man kann auch sagen: Hey, du hättest da drinnen heute keinen Spaß. So ist es ja auch, wir sind dafür da, eine gute Gruppe Leute zusammenzubringen, von denen wir glauben, dass sie irgendwie harmonisch miteinander sind. Davon haben sie letztlich selbst was, sie müssen sich ja auch wohlfühlen. Es bringt niemandem was, wenn er reingeht, ein Bier trinkt und frustriert ist, weil ihm die Leute nicht taugen und die Stimmung nicht passt. Ältere Typen oder komische Leute, die einfach noch irgendwo ein Bier trinken wollen, aber überhaupt nicht in die Clubschiene passen zum Beispiel. Da kriegt man schon mal: Also pass mal auf, junger Mann! zu hören, weil sie sich in ihrer Ehre oder ihrem Stolz verletzt fühlen.
 
Wie wichtig ist ein ausgewogenes Jungs-Mädchen-Verhältnis im Club?
Vero: Das ist tatsächlich die einzige Ansage, die du vom Veranstalter bekommst: Hauptsache nicht zu viele Typen. Frauen sind insofern die besseren Gäste, weil sie weniger aggressiv sind. Die wollen tanzen und Spaß haben.
 
Gibt es an der Tür Muster, die sich wiederholen?
Vero: Wenn ich manchmal ein Auge zudrücke und jemanden reinlasse, bei dem ich mir nicht sicher bin, dann macht der häufig tatsächlich an dem Abend noch Ärger. Die Frauen, denen ich zu Beginn sage, dass sie unten an der Bar bitte erstmal einen halben Liter Wasser trinken sollen, sind dann meistens die, die nachher weinend, zeternd oder kotzend wieder rauskommen. Und dann halt die Stammgäste: Ich habe so ein paar Typen mit einer ganz hohen Trefferquote, die jeden Samstag mit einer anderen nach Hause gehen.
 
Vor Clubtüren warten die Leute nicht nur auf Einlass, sie rauchen oder schnappen kurz frische Luft. Wie nehmt ihr die Gespräche wahr, die ihr da hört?
Philip: Man lernt schnell wegzuhören.
Vero: Ich schalte auch am liebsten auf Durchzug. Dadurch, dass wir ein ziemlich junges Publikum haben, sprechen die mich in ihren Gesprächen aber auch oft an und sagen: Jetzt fragen wir mal die Frau Türsteherin, was sie dazu sagt! Das ist zwar manchmal ganz witzig, aber ich sage meistens: Boah nee, echt nicht. Ich habe jetzt keine Lust, mich über den Sinn oder Unsinn von Elektrozigaretten zu unterhalten.
 
Gibt es dominierende Gesprächsthemen vor euren Clubtüren?
Vero: Das Mädchen ist traurig, weil der Typ nicht zu erreichen ist, oder weil er mit einer anderen abgestürzt ist. Beziehungskisten. Oder Freundschaftsstreitereien, Lästereien: Unmöglich, wie du oder er oder sie sich benimmt.
 
Wie schafft ihr es eigentlich, wach zu bleiben?
Philip: Es ist wichtig, genug geschlafen zu haben.
Vero: Kalt und müde ist eine ganz schlimme Kombination. Im Sommer ist es immer einfacher, wach zu bleiben. Je älter ich werde desto schwieriger wird es auch.
Philip: Bei uns gibt es schwarzen Tee, das passt. Wenn man nachts immer mit so vielen Menschen zu tun hat, braucht man am Folgetag Ruhe oder verbringt ihn wenn überhaupt nur mit engen Freunden.


Text: mercedes-lauenstein - Foto: juri-gottschall

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