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Döner - eine Handreichung

Foto: Juri Gottschall

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Es gibt wenige Gewissheiten in einer Großstadt, selbst in einer Großstadt wie München, die in vielerlei Hinsicht ja eigentlich eher ein Dorf ist. In einer Frage aber gibt es sehr viele Gewissheiten – wie immer, wenn jeder seine ganz eigene Gewissheit hat und nicht von ihr abweichen will: Wo gibt’s den besten Döner der Stadt?  

Die Frage wird deshalb so unterschiedlich beantwortet, weil die Mischung aus Grünzeug, Fleisch, Soße und Brot geschmacklich zwar recht zuverlässig, aber nicht so immergleich ist wie ein Big Mac oder die Leberkas-Semmel einer Metzgereikette. Der Döner hat ein Herz. Deshalb lässt sich so gut drüber streiten, welcher der beste ist. Gewissheit soll ein Dönerstadtrundgang mit einem Profi bringen:

Thomas Messerer ist 30 Jahre alt und hat sich als Küchenchef im Schweiger² einen Stern erkocht. Momentan leitet er die Küche im Highlight-Restaurant im Innside Hotel in Nordschwabing. Auf den Menüs, die er gestaltet, stehen Gerichte wie gebratenes Schwarzfederhuhn oder Paella mit Jakobsmuscheln, Hummer und Parmesanschaum. Jetzt wartet er in kurzen Cargo-Hosen und kariertem Hemd vorm „Seral Feinkost“. Am Telefon erklärt er gerade noch seiner Frau, wie man einen Flammkuchen perfekt belegt.  

Die Vorauswahl der Lokale und Buden wurde übrigens nach dem Prinzip Schwarmintelligenz getroffen: Durchfragen im Bekanntenkreis, das Rennen machten die meistgenannten und am vehementesten mit Liebesbekundungen bedachten Läden.

Seral Feinkost - Orleansplatz 3

Der Laden:

Ein Döner am Tor zum Franzosenviertel Münchens – die Lage spricht zunächst nicht für die Bestnote. Der erste Eindruck schon: Die Spieße sehen knusprig aus, ein Schild behauptet, dass sie hausgemacht sind. Am Bistrotisch isst ein Mittzwanziger einen Dürüm, offenbar ein Stammkunde, er verabschiedet sich auf Türkisch von einem der drei Männer hinter der Theke. Die haben immer Zeit für kleine Witze („Extra-Serviette 50 Cent!“), obwohl sie ihr „Nächste bitte“ eher zackig in die Kundenschlange bellen. Sie sind vielbeschäftigt, der Laden liegt an einer belebten Straßenecke und die Kunden geben ihre Bestellungen sowohl über ein Fenster als auch drinnen an der Theke auf. Zweifrontenkrieg – sozusagen.  

Seral ist nichts für Menschen, denen Entscheidungen schwer fallen. Neben verschiedenen Dönertellern und -boxen (mit Pommes, Reis oder sogar Nudeln) ist die Karte hier auch beim Döner selbst vielseitiger als sonst üblich. Es gibt den Döner wahlweise im Fladen- oder im normalen Brot, in XXL und sogar einen kleinen Döner für 2,90 Euro.  

Der Döner:

„Würde ich in die Kultfabrik gehen, würde ich auf dem Heimweg noch hierher laufen anstatt mir unten im Ostbahnhof einen Döner zu holen“, sagt Thomas, bevor er sieht, dass das Seral um 20 Uhr schließt. Das Fleisch sei schön würzig abgeschmeckt, Salat, Tomaten und Zwiebeln frisch, das Brot knusprig. Pluspunkte vergibt er für das Rotkraut. Minimal-Kritik: „In der Joghurtsoße könnte mehr Knoblauch sein – und es wäre gut, wenn sie ein bisschen sparsamer aufgetragen, beziehungsweise besser verteilt wäre.“ Während er das sagt, fallen dicke weiße Tropfen aus dem durchgeweichten Papier auf das Pflaster des Orleansplatzes.

Verdi Supermarkt - Landwehrstraße 46

Der Laden:

Rewe, Tengelmann oder Edeka haben neben dem Eingang oft einen Bäcker. Der Verdi-Supermarkt hat an der gleichen Stelle einen Dönerstand. Und an dem herrscht Purismus: keine Speisekarte, keine beleuchteten Fotografien, nur drei Din-A4-Papiere, selbst ausgedruckt: „Döner 4 €, Dönerteller klein 6 €, Dönerteller groß 9 €“. Mehr gibt es hier auch nicht, keine Falafel, keinen Dürüm. Nur die Klassiker. Zu schaden scheint es nicht: Die Seilwinde neben dem Grill verrät, dass der jetzt etwa grundschülergroße Spieß morgens um 8 Uhr, wenn der Laden öffnet, ein Gewicht hat, das zwei Menschen nicht mehr stemmen können. Die Schlange reicht bis zur Tür, bestimmt fünf Meter, die Kunden stehen dicht gedrängt. Trotzdem ist Zeit für kleine Sonderwünsche: Ein Geschäftsmann will nur Fleisch und Soße, ein sehr grantig dreinschauendes potenzielles Xavier-Naidoo-Double lässt sich seinen Döner einpacken und halbieren. Wir stehen gut eine Viertelstunde an. Was kein Vorwurf an die Verkäufer sein soll. Im Gegenteil, eigentlich möchte man sie nicht mal Verkäufer nennen, sondern Dönerista, so sehr sieht es nach Präzisionsarbeit aus, wie sie mit dem Messer das Fleisch schneiden und die Brote füllen.  

Der Döner:

Schon vor dem ersten Bissen ist Thomas zuversichtlich: „Das Fleisch ist schön dunkel, von der Farbe wie Nürnberger Rostbratwürstel, kurz vor dem Anbrennen. So muss es sein. Es wird noch mal nachgesalzen, und es werden vier verschiedene Gewürze drübergestreut.“ Auf Nachfrage erfährt er, dass es sich dabei um Oregano, zwei Chilisorten und Sumach handelt. „Das stammt vom Essigbaum und ist ein bisschen säuerlich.“ Beim ersten Bissen hellt sich Thomas’ Miene noch mal deutlich auf. „Das Fleisch ist sehr g’schmackig und knusprig, gut gewürzt. Und es ist richtig schön heiß, das gibt einen guten Kontrast zur kalten Joghurtsoße; deren Frische wird durch das Säuerliche des Sumach-Gewürzes noch unterstützt.“ Auch am Salat und den Zwiebeln hat er nichts auszusetzen, ebenso wenig an der Schärfe, die sich deutlicher bemerkbar macht als beim ersten Döner in Haidhausen. Das Brot ist nichts Besonderes, aber solider Durchschnitt und getoastet. „Insgesamt ist das auf jeden Fall eine Zwei plus. Für den Döner würde ich ein paar U-Bahn-Stationen Umweg in Kauf nehmen.“    

Montana - Bayerstr. 33

Der Laden:

Die Empfehlung zum Montana kam vermehrt mit einem Hinweis auf die Öffnungszeiten: „Der hat bis um 4 Uhr auf!“ Jetzt, in der Nachmittagssonne, sieht es hier aber nicht nach Nachtspelunke aus. Dröhnte ein paar Meter weiter nicht der Verkehr der Bayerstraße, könnte man das Setting fast edel finden: Vor dem Imbiss stehen saubere Tische in Reih und Glied unter Sonnenschirmen, ein glattrasierter Kellner in blitzsauberem weißem Hemd serviert gerade Weißwein am einen Tisch und Espresso am anderen. Erst beim zweiten Hinsehen merkt man, dass es ein alter Bekannter ist: Murat stand früher regelmäßig im Muskelshirt hinterm Tresen im X-Cess und zog schneller die Grasovskaflasche aus dem Regal als Lucky Luke seinen Colt aus dem Gürtel.

Der Döner:

Neben Pizza und anderen Gerichten bietet Montana beim Döner zwei Fleischsorten an, Kalb für 4 Euro und Huhn für 3,50. Wir entscheiden uns für Kalb. Thomas beißt ein paar Mal ab, überlegt und blickt eher skeptisch drein. „Bis jetzt ist das der schlechteste“, sagt er. Zwar komme der Joghurt geschmacklich gut raus, das Fleisch sei auch recht knusprig, an Salat und Brot gebe es auch nichts Gravierendes auszusetzen. „Aber insgesamt ist das zu eintönig. Da ist einfach zu wenig Würze, sowohl am Fleisch als auch in der Soße.“ Für ein Afterhour-Essen sei der Montana-Döner eine legitime Option, er würde ihn jetzt auch aufessen, wenn er richtig hungrig wäre. „Aber ich würde auf keinen Fall extra hierher fahren.“

Royal Kebabhaus/Erbils - Breisacher Straße 13

Der Laden:

Das Royal Kebaphaus ist der Jack Johnson unter den Dönerläden: Vorreiter des Natürlich-Alternativ-Gemütlichen, kleinster gemeinsamer Nenner von Barfußläufern, Backpackern und Bioladenbesuchern. Hier ist ein vegetarischer Döner nicht einfach einer ohne Fleisch, hier dreht sich neben dem Fleisch eine Seitan-Mischung am Spieß. Inhaber Erbil Günar hat Jahre in die Entwicklung dieses Produkts gesteckt und vertreibt es mittlerweile deutschlandweit. Er nimmt Vegetarier ernst und sogar Veganer bekommen hier einen Döner. Statt Joghurt haben sie sieben verschiedene vegane Soßen zur Auswahl – liebevoll in der Auslage präsentiert, von „Rosa Sultan“ mit Rote Beete bis zu „Yellow Sun“ mit Ingwer und Kurkuma. Das Personal ist so zuvorkommend wie sonst nur Flugbegleiter, meint die Freundlichkeit aber ernst. Im Kühlschrank stehen neben Augustiner auch vegane Alternativ-Limos – und „Papa Türk“, eine minzige Tee-Brause, die Chlorophyllin enthält und dadurch angeblich „neutralisierend gegen Essens- und Atemgerüche wirkt.“  

Der Döner:

Thomas’ erster Eindruck: „Große Portion, viel Gemüse, auch Rotkraut, das mag ich ja sehr. Das Fleisch ist bislang am fleischigsten, nicht so knusprig, aber sehr gut.“ Das Brot sei nicht weiter erwähnenswert, aber nicht schlecht, die Soße relativ sparsam aufgetragen, an Schärfe mangele es auch ein wenig. „Die Gesamtnote ist eine gute Zwei, auch, weil es hier sehr nett und gemütlich ist.“ Wir probieren hier auch noch den vegetarischen Döner, der mindestens genauso gut schmeckt.  

Oliva - ZOB an der Hackerbrücke

Der Laden:

Die meisten Dönerläden sind kleine Einzelunternehmen. Oliva ist die einzige Kette auf unserer Liste, mit Filialen unter anderem in der U-Bahn-Station Münchner Freiheit, in der Schellingstraße und am Flughafen. „Oliva ist Frische! Oliva ist Leben! Oliva ist Genuss!“, heißt es auf der Webseite. Die Filiale am Busbahnhof versprüht die Lebensfreude eines McCafés, und jetzt, am späten Nachmittag, hat wohl auch die Frische schon Feierabend. Die Salatblätter in der Auslage wirken welk, und wie in der Systemgastronomie so oft, kann die Realität nicht mit den Foodstylisten-Fotografien und ihren Arrangements mithalten. In den Soßentöpfen schwimmen heruntergefallene Salatblätter, zwischen die Tomaten haben sich abtrünnige Zwiebeln geflüchtet.  

Der Döner:

Erinnert optisch an ein Gesicht, das Pablo Picasso gemalt hat: Die Bestandteile sind scheinbar willkürlich verteilt. Thomas muss mehrmals beißen, bis er auf das Fleisch stößt. Sein erstes Urteil fällt ziemlich vernichtend aus: „Vor allem brennen mir die Lippen.“ Die Schärfe verdecke viel vom Geschmack, was aber nicht unbedingt Grund zur Trauer sei. „Das Fleisch ist zwar nicht schlecht gewürzt, aber viel zu kalt und labbrig. Die Zwiebel hat eine gewisse Schärfe im Geschmack, das könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie nicht die Frischste ist.“ Nach zwei weiteren Bissen hat Thomas genug. „Mit viel Hunger würde ich den schon essen, aber ein Genuss ist das nicht. Der kriegt eine Drei minus, wenn nicht eine Vier plus.“

Best Döner Kebap Westend - Trappentreustraße 17

Der Laden:

Einmal musste der Spruch ja kommen: „Döner macht schöner“, steht in großen Lettern auf die dunkelrote Markise geschrieben. Drinnen gibt es keine weiteren Wortwitze, aber es springt sofort ein Detail ins Auge, das hoffen lässt: das Eck mit dem Ofen, in dem ein Bäcker so engagiert hantiert, als wolle er die Pizzabäcker der Stadt demnächst zu einem Duell herausfordern. Ansonsten türkischer Imbiss as usual.  

Der Döner:

Nach fünf getesteten Dönern sind wir mittlerweile mehr als satt, das Verlangen nach mehr hält sich in Grenzen. Dass wir den Westend-Döner trotzdem fast komplett aufessen, sagt eigentlich schon alles. Thomas’ erster Kommentar auch: „Der Hammer.“ Man glaubt nicht, dass frisches Brot so einen Unterschied machen kann. Tut es aber. „Es ist noch heiß, knusprig und vor allem schön dünn gebacken, sodass man nicht so viel Teig im Mund hat. Und die Sesam- und Schwarzkümmelkörner oben drauf geben extra Pepp.“ In diesem Brot würde wahrscheinlich auch ein Fahrradschlauch schmecken. Aber auch das Innenleben überzeugt Thomas: „Rotkraut und Weißkraut, super. Zwiebeln recht scharf, aber gut. Das Fleisch ist, glaube ich, außer mit Salz – von dem es allerdings ruhig ein bisschen mehr sein dürfte – noch mit einer Koriander-Mischung gewürzt, das finde ich gut. Ein bisschen mehr Grillpower hätte es noch vertragen, aber sonst ist das sehr gut.“  

Alpen Imbiss - Thalkirchner Straße 2

Der Laden:

Der Alpenimbiss hat die strategisch denkbar günstigste Lage, die man sich für ein Dönergeschäft vorstellen kann: direkt im Feierzentrum der Stadt am Sendlinger Tor, neben dem Eingang des Yip Yab. Wer hier um 4 Uhr rauskommt, steht quasi schon mit einem Fuß drinnen. Während der Entscheidungsfindung (Döner? Dürum? Lahmacun? Pommes?) kann er sogar weitertanzen – bei der Einstellung der Musiklautstärke war der benachbarte Club offenbar Vorbild. Alpenflair herrscht nicht, mit sehr viel Wohlwollen lassen sich höchstens die Sitzgelegenheiten unter dem Baum vor der Tür als Naturerlebnis werten. Viel Ursprüngliches offenbart dagegen ein Blick auf den Boden: Er trägt die markante Patina unzähliger Soßentropfen, und damit unverkennbare Zeichen unter Alkoholeinfluss hervorgekehrter menschlicher Urtriebe – dem Durchschnittsgast nach 23 Uhr ist Nahrungsaufnahme wichtiger als würdevolles Essen ohne Soßen- und Gesichtsverlust.  

Der Döner:

Thomas zögert, denn er hat ein Problem: Das Brot ist so vollgepackt mit Zutaten, dass die kleinste Bewegung zu viel Erschütterung für das labile Konstrukt wäre. Nach ein paar Bissen kapituliert er und lässt purzeln, was purzeln will: „Da hast du keine Chance.“ Und geschmacklich? „Naja . . .“ Das Fleisch – eine Mischung aus Pute und Hähnchen – sei recht kalt und nicht intensiv genug gewürzt. Als besonders störend empfindet Thomas aber die übertrieben üppige Soßen-Dosis, und die Schärfe: „Im Gegensatz zu allen anderen Dönern heute wird hier kein Chili drüber gestreut, sondern mit Sambal Oelek gearbeitet.“ Das habe aber einen intensiveren Eigengeschmack. „Und der passt nicht so gut, finde ich.“

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