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„Das sind die Altbauten von morgen“

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Häuser, viele Häuser. Mit großen Fertigteilbalkonen oder riesigen Fensterflächen, glatten Fassaden und flachen Dächern, ohne Stuck und Schnörkel. Das sieht man, wenn man Alexander Fthenakis’ Instagram-Account durchscrollt.
 
Alexander ist Architekt, fotografiert Münchner Nachkriegsbauten und postet sie unter dem Hashtag #506070münchen auf Instagram. In ihrer Geballtheit formen diese Fotos ein Bild der Stadt, das man so kaum kennt. Und das unerwartet schön ist. Vielleicht ist es Zeit, vom Altbautraum zu lassen und die Gebäude der Fünfziger- bis Siebzigerjahre liebzugewinnen? Alexander Fthenakis kann erklären, warum sich das lohnt, warum sie bisher trotzdem fast immer ignoriert werden und wie sie das Münchner Stadtbild und -gefühl prägen.
 
jetzt.de: Wenn man „München“ und „Architektur“ hört, denkt man an Postkartenmotive wie das Neue Rathaus oder die Prunkbauten an der Maximilianstraße. An Nachkriegsarchitektur eher nicht.
Alexander Fthenakis: Die meisten nehmen München nicht als eine modernen Stadt des 20. Jahrhunderts wahr, sondern als sehr altbacken. Und München stellt sich nach außen hin auch selbst so dar. Eine Ausnahme ist das Olympiastadion, das hin und wieder auf Postkarten auftaucht. Dabei hat die Nachkriegsarchitektur eine große Bedeutung für das Stadtbild.
 
Weil München nach dem Krieg zu großen Teilen neu aufgebaut werden musste.
Ja, in der Altstadt und in bestimmten Vierteln, wie zum Beispiel rund um den Bahnhof, in der Maxvorstadt oder in Schwabing wurde die historische Bausubstanz zu 60 oder 70 Prozent schwer beschädigt oder total zerstört. Wenn man Luftaufnahmen von damals sieht, kann man erkennen, welches Ausmaß der Wiederaufbau heute ausmacht.



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Du fotografierst Nachkriegsarchitektur in München und veröffentlichst die Fotos auf Instagram unter dem Hashtag #506070münchen. Warum?
Ich will zeigen, dass diese Architektur typisch münchnerisch ist oder sein kann. Ganze Straßenzüge sind hier von Nachkriegsbauten geprägt. Die Instagram-Fotos sind dabei eine Art Nebenprojekt.
 
Zu welchem Hauptprojekt?
Ich arbeite an einem Buch über die Architektur der Fünfziger- bis Siebzigerjahre, das Anfang 2016 erscheinen soll. Das ist aus einer Studie am Lehrstuhl für Entwerfen und Denkmalpflege der TU entstanden, in der es um die Art und den Umfang der Nachkriegsarchitektur in München ging und wie sie das Stadtbild prägt. Die Fragen, die Stadtplaner und Architekten sich damals stellen mussten, waren ja: Wie verhält man sich, wenn eine Stadt nicht mehr da ist? Wie baut man sie mit den Mitteln der Moderne wieder auf? Wie sie damit umgegangen sind, das ist für uns heute noch sehr wichtig.
 
Und wie sind sie damit umgegangen?
München ist dabei einen eigenen Weg gegangen, der damals als konservativ geschmäht wurde, heute aber immer mehr Beachtung findet. Auf große städtebauliche Experimente wurde fast ganz verzichtet – in typisch münchnerischer Manier könnte man sagen. Stattdessen wurden viele Häuser auf der alten Grundstückstruktur in einer einfachen und unauffälligen Bauweise wiederaufgebaut. Das sind auf den ersten Blick „langweilige“ Häuser, die aber dafür gesorgt haben, dass das Stadtbild als Ganzes wiederhergestellt wurde, ohne dass die Vorkriegsbauten wie Fremdkörper wirken. Ein schönes Beispiel dafür ist die Franz-Joseph-Straße in Schwabing: Da fügen sich die Häuser der Fünfzigerjahre ein zwischen Häusern der Vorkriegszeit. Daneben gibt es aber auch individuelle und exponierte Bauten, die sich ebenfalls großartig ins Stadtbild einordnen: die Patentämter, die Maxburg oder die ehemalige Siemens Hauptverwaltung am Altstadtring zum Beispiel.
 
Wie viele Bilder hast du schon auf Instagram veröffentlicht?
Sicher um die 3000.
 
So viele?
Ja. Ich mache dafür ja keine geplanten Touren, die Bilder entstehen immer, wenn ich grade sowieso irgendwo bin.
 
Warum ist Instagram für dein Projekt besonders gut geeignet?
Es wird dadurch erst mal mehr wahrgenommen. Es sehen Menschen die Bilder, die vielleicht gar nicht drauf aus waren. Fotografisch gefällt mir daran vor allem das Miniatur-Prinzip, es hat Schnappschuss-Charakter und nicht den Anspruch, hochwertig zu sein. Das Spannendste ist aber, die wesentliche Qualität eines Gebäudes oder einer Situation in einem Schnappschuss wiederzugeben.
 
Was heißt das?
Auf einem Bild von der Schwanthalerhöhe zum Beispiel kann man bei schönem Wetter einen Kontrast erzeugen zwischen dem Grün drum herum, dem blauen Himmel und dieser großen Baustruktur. Dadurch denkt man dann nicht mehr unbedingt sofort: „Krasser Betonbunker!“
 
Du manipulierst!
Ja, das sind dann ein bisschen manipulativ aufgenommene Bilder. Mit Fotografie kann man eine Ästhetisierung von Dingen erreichen, die man sonst gar nicht wahrnehmen würde. Da kann auch eine Blechverkleidung am Hauptbahnhof gut aussehen, obwohl der insgesamt in einem furchtbaren Zustand ist. Aber das schaffen nicht alle Bilder, viele sind einfach nur dokumentierend.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Alexander Fthenakis, 37, ist Architekt und gründete 2008 das Münchner Architekturbüro Fthenakis Ropee. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Sanierung von Nachkriegsbauten. Auf Instagram postet er seine Fotos unter @fthenakis.
 
Kannst du immer zweifelsfrei erkennen, aus welchem Jahrzehnt ein Gebäude ist?
Bei einigen Sachen bin ich mir unsicher, aber in der Regel kann man es gut erkennen. Bei dem Instagram-Projekt konzentriere ich mich manchmal auch nur auf Details. Ein Schaufenster aus den Fünfzigern in einem Haus aus dem 19. Jahrhundert etwa, oder das Geländer an der Treppe der Antikensammlung am Königsplatz.

>>>Es wird nicht darüber nachgedacht, was diese Häuser für das Stadtbild bedeuten. In zehn Jahren wird man sagen: „Mein Gott, wie konnte man das abreißen?!“<<<



Jetzt musst du mal erklären: Was ist denn das Besondere an der Nachkriegsarchitektur?
Das kann man pauschal nicht sagen. Auf Instagram unterscheide ich zwar nicht zwischen den Jahrzehnten – aber in Wirklichkeit sind das natürlich 30 Jahre, da passiert in der Architektur viel.
 
Okay, dann der Reihe nach. Was steht für die Fünfzigerjahre?
Über die Unauffälligkeit haben wir ja schon gesprochen. Dazu hat die Architektur eine gewisse Leichtigkeit und Eleganz. Und noch viel Handwerk, aufwendige Schreiner- oder Schlosserarbeiten zum Beispiel. Zur Zeit werden solche Häuser komischerweise oft rot oder gelb angestrichen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Und für die Sechziger?
Die sind eine Übergangszeit.
 
Und für die Siebziger?
Da sieht man deutlich, dass sich das Bauen und die Bautechnik total verändert haben. In den Siebzigern gab es einen großen Fortschrittsglauben und noch immer ein wahnsinnig großes Vertrauen in Stadtplanung und Architektur, gepaart mit einem wirtschaftlichen Boom und neuen industriellen Massenbauweisen wie der Betonfertigteilkonstruktion. In dieser Zeit wurden wahnsinnig große Projekte realisiert, die nicht mehr dem klassischen Stadtbild von Haus-Straße-Block entsprachen, sondern ganz neue Stadträume bildeten: der Arabellapark zum Beispiel, Neuperlach Süd oder die Schwanthalerhöhe.
 
Diese großen Wohnblöcke sind heute nicht gerade beliebt.
Und deshalb jeden Tag vom Aussterben bedroht. Es wird nicht darüber nachgedacht, was diese Häuser für das Stadtbild bedeuten und sie werden einfach verändert oder abgerissen. Dabei sind das die Altbauten von morgen. Die Häuser, über die man in zehn Jahren sagen wird: „Mein Gott, wie konnte man das abreißen?!“ So, wie man in den Fünfzigern Jugendstilhäuser, die vom Krieg beschädigt waren, von allen Dekorationen befreit und gesagt hat: „Pfui Teufel, dieser ganze Kitsch!“
 
Aber sind diese Wohnblöcke nicht auch „objektiv“ hässlich?
Die Wahrnehmung ist auch deswegen so schlecht, weil die Bauten in einem schlechten Zustand sind, ungepflegt und durch die Nutzung extrem überformt. Das sieht man zum Beispiel in der Schwanthalerhöhe: Die ganze Großstruktur mit ihren Wohntürmen ist schmutzig, es gibt überall Schilder und Absperrungen. Und bei Sanierungen wurden Schriftzüge von Läden und so weiter an die Fassaden gehängt, die nie geplant waren. Oder Fenster eingesetzt, die nicht zum Bestand passen. Man muss das mal mit der Schweiz und Österreich vergleichen, wo das Bewusstsein für Bauten dieser Zeit ganz anders ist. Die werden viel mehr gepflegt. Da hat man nicht das Gefühl, dass man vor einem Betonklotz steht – sondern vor einem Original aus einer anderen Zeit.
 
Wollen deswegen alle im Altbau wohnen? Weil die Nachkriegs-Häuser nicht wertgeschätzt werden und verkommen?
Das ist sicher ein Teufelskreis. Viele Häuser dieser Zeit haben aber auch tatsächlich bautechnische Probleme. In den Fünfzigern wurde mangels Geld oft schlecht gebaut, aus Restmaterialien, mit zu dünnen Außenwänden. Und die Betonfertigteile der Siebziger sind sehr schwer instand zu halten.
 
Sind Gründerzeitbauten also qualitativ besser?
Das sind Massivbauten aus Ziegelmauerwerk, wahrscheinlich robuster als so manches, was in der Nachkriegszeit gebaut wurde. Der Ziegelbau war im 19. Jahrhundert ja auch schon eine bewährte Technik, Sichtbetonbau und große Verglasungen wie in den Siebzigern waren neue Techniken, da hatte man noch keine Erfahrungen. Das war experimentell. Die älteren Häuser haben aber ja auch so ihre Probleme. Feuchte Keller zum Beispiel.
 
Hat man in den Nachkriegsbauten und den Vierteln des Wiederaufbaus ein besonderes Wohngefühl?
Natürlich. Ein Wohngefühl beginnt ja nicht erst bei den Innenräumen, sondern geht los beim Stadtviertel und dann weiter über die öffentlichen Räume eines Wohnhauses, wie die Treppenhäuser, bis zu den Wohnräumen. Straßenzüge wie die Görres- oder die Zentnerstraße haben eine ganz eigene Farbigkeit, Maßstäblichkeit und einen eigenen Rhythmus verglichen mit Straßen die weniger vom Wiederaufbau geprägt sind. Die Siedlungen der Fünfziger und Sechziger bieten oftmals offene und durchgrünte, parkartige Räume zwischen den Häusern, die dann wiederum den Innenraum der Wohnungen prägen.
 
In den Fünfzigerjahre-Wiederaufbauhäuschen fallen vor allem die sehr niedrigen Deckenhöhen auf.
Viele haben auch kleine Fenster, aus Spargründen. In ein oder zwei Räumen gibt es dann ein größeres Fenster, das das kompensiert. Die Häuser der Siebzigerjahre wie in Neuperlach öffnen sich viel mehr nach außen, zwar mit niedrigen Räume, aber großen Verglasungen, Loggias und halb offenen Küchen. Die haben eine ganz eigene Stimmung.
 
Heute ist es noch Trend, in unsanierten Altbauten zu wohnen – wird es irgendwann Trend sein, in Siebzigerjahre-Bauten zu wohnen?
Ich glaube, das entwickelt sich langsam schon. Diese Gebäude ziehen jetzt schon Leute an, die kulturell, künstlerisch oder architektonisch interessiert sind. Und das ist ja normalerweise ein Indiz dafür, dass es irgendwann auf ein breiteres Interesse stoßen könnte.

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