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Das Duett

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Doch, es ist schon so etwas wie ein Schock. Es ist mein erster Tag im Semester, meine erste Vorlesung im Master Musikjournalismus. Ich sitze mit meinem Professor im Seminarraum, ein weiterer Student kommt herein. Der Professor sagt zu ihm: „Sie können die Tür hinter sich zuziehen, wir sind vollständig.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die einzigen ihrer Gattung: Katharina, 25, und Michael, 24, waren im Masterstudiengang Musikjournalismus nur zu zweit.

Vollständig? Zu zweit? In einem Masterstudiengang? Vielleicht verstehe ich etwas falsch, denke ich. Zwei Jahre lang nur zwei Studenten, in jeder Vorlesung, in jedem Seminar – geht das überhaupt? Ja, es geht. Jetzt, da meine zwei Masterjahre fast vorbei sind, kann ich sagen: Es war ein großartiges Studium. Auch wenn es überhaupt nicht studentisch war.

Mir war natürlich schon vor Studienbeginn klar, dass wir nicht in einem riesigen Audimax um Sitzplätze auf der Treppe kämpfen würden. Der Studiengang „Musikjournalismus im öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk“ an der Hochschule für Musik und Theater in München ist sehr speziell. Zur Aufnahmeprüfung werden nur acht Kandidaten eingeladen, in der Regel werden mindestens fünf aufgenommen. In meinem Jahrgang traten drei Bewerber ihren Studienplatz aber trotz Zusage nicht an. Da waren es nur noch zwei.

Zu Beginn eines Studiums ist es immer spannend, mit wem man studiert. Man tastet sich ab,lernt sich kennen. Bei uns potenziert sich diese Spannung. Dieser Typ in Kapuzenpulli mit verwuschelten Haaren soll von jetzt auf gleich zu dem Menschen werden, mit dem ich die meiste Zeit verbringe. Mein Kopf ist voller Fragen. Was ist, wenn ich Michael, meinen einzigen Kommilitonen, nicht leiden kann? Was ist, wenn ich ihn zu gut leiden kann? Was ist, wenn ihm das Studium nicht gefällt und er mich allein lässt? 

Im ersten Semester fragen wir in Pausen vorsichtig private Dinge ab, mittlerweile reden wir hemmungslos drauf los. Wenn einer schlechte Laune hat, kündigt er sie dem anderen an, damit der sich nicht schlecht behandelt fühlt. Und nach kurzer Zeit braucht es gar nicht mehr viele Worte: Wenn Michael nichts anderes als eine Leberkässemmel essen will, weiß ich, dass er am Abend zuvor ein Bier zu viel hatte. Wenn er an seinen Fingernägeln zuppelt, weiß ich, dass er sich nach einer Zigarette sehnt. Meine anfänglichen Fragen und Bedenken waren grundlos.

Vorher habe ich in Stuttgart Kommunikationswissenschaft auf Bachelor studiert, insgesamt waren wir 60 Leute. In einer großen Traube schlenderten wir von Hörsaal zu Hörsaal, in Grüppchen gingen wir in die Mensa, immer bemüht, mit dem Tablett ganz vorne in der Schlange zu stehen. Wenn es die Party des Vorabends verlangte, blieb ich am nächsten Morgen im Bett liegen. Ich konnte während der Vorlesung Süßigkeiten essen, SMS schreiben oder auf die Toilette gehen.

Im Master sieht meine Realität anders aus. Keine Mensa, keine Schlange, keine Party am Vorabend, keine Süßigkeiten, keine Toilette. Wenn die Blase drückt, macht mein Dozent eine Pause. Wenn ich krank bin, verlegt er die Vorlesung auf einen Ersatztermin. Es gibt kein Entkommen. Nie. 

Manchmal sehne ich mich nach dem studentischen Privileg, selbst zu entscheiden, ob ich in die Uni gehen möchte oder nicht. Gerade die Studentenzeit ist doch die Phase im Leben, in der man vorschläft für den bevorstehenden Arbeitsalltag. Ich hingegen muss zwei Jahre lang immer körperlich und geistig präsent sein, um Dozenten nicht zu enttäuschen. Und um meinen einzigen Kommilitonen nicht hängen zu lassen. Denn wenn einer von uns beiden wortkarg ist, bedeutet das für den anderen, 100 Prozent Redeanteil übernehmen zu müssen. 

Anstrengend, ja, zehrend kann dieses Zweier-Studium sein. „Katharina, du siehst müde aus.“ „Katharina, ich habe den Eindruck, du bist gerade mit den Gedanken woanders.“ „Katharina, du hattest doch Latein. Leite doch bitte das Wort ,Redaktion‘ her“. Das sind Momente, in denen ich mir Annas und Lenas, Sebastians und Jörgs wünsche – weitere Kommilitonen, die die Trefferquote, dass die Frage eines Dozenten mich erwischt, mindern würden.

Trotzdem oder gerade deshalb ist mein Master-Studium großartig. Es fühlt sich wie eine zweijährige Intensiv-Fortbildung an, bei der sich die Dozenten aufopferungsvoll um mich kümmern. In meinem Bachelor-Studium bat ich einen Professor, mir eine Beurteilung für eine Bewerbung für ein Stipendium zu schreiben. Er forderte mich auf, die Beurteilung selbst zu formulieren. Was hätte er auch schreiben sollen? Er kannte mich ja nicht. Dank meines Zweier-Studiengangs ist das nun anders. Meine Dozenten kennen mich als Studentin und als Privatmensch, sie sind ernsthaft an mir interessiert und geben mir mit ihrer fast elterlichen Zuneigung das Gefühl, ihr Zögling zu sein. Umgekehrt sind meine Dozenten für mich Mentoren, die ich auch dann um Rat frage, wenn ich nicht weiß, in welchem Chor ich singen soll oder wie viel Geld ich bei einer Gehaltsverhandlung verlangen kann. 

In meinem Bachelor-Studium herrschte unter den jungen Frauen immer Konkurrenzkampf. Jede gönnte nur sich selbst und vielleicht noch der besten Freundin eine gute Note. Über andere Streber ärgerte man sich, denn die hätten einem einen Master-Platz wegnehmen können. Im Master zu zweit ist Konkurrenzkampf undenkbar. Wir haben uns dafür entschieden, die zwei ohnehin ziemlich arbeitsaufwendigen Jahre so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir gehen respektvoll und kollegial miteinander um, weshalb wir uns inhaltlich viel härter kritisieren können, als es in einer großen anonymen Gruppe möglich wäre. 

Das größte Geschenk dieses Zweier-Studiums ist aber das Wissen, mit dem ich die Hochschule verlassen werde. Am Anfang war es hart für mich, die Stille zu ertragen, die aufkam, wenn ich eine Frage nicht beantworten konnte. Diese Stille war riesengroß, und die Scham über das eigene Unwissen mindestens genauso. Heute genieße ich es, wenn Dozieren zu einem Frage-Antwort-Ping-Pong, Vorlesungen zu Diskussionen werden. Besser könnte ich Stoff nicht aufsaugen und im Gedächtnis behalten. Das ist der Unterschied zu meinem Bachelor-Studium: Wenn ich mich jetzt ganz stark konzentriere, meine ich, damals eine Vorlesung zum Thema Wirtschaftsinformatik gehört zu haben. Kann aber auch sein, dass die Veranstaltung anders hieß. Das muss ich noch mal nachlesen.

Text: katharina-haeringer - Foto: Charlotte Haunhorst

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