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Bankgeheimnis

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Es ist wie es ist

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


"Weißt du, was es für ein Stress war, einen Babysitter zu bekommen?", fragt Katja. Ihre Augenbrauen ziehen sich dabei ein klein wenig zusammen und werden beinahe waagrecht. Als würden beim Schiffeversenken zwei mittlere Boote fast direkt nebeneinander liegen, mit nur einem Feld dazwischen. Mit F2 bis F8 könnte Stefan ihre halbe Flotte versenken.
 
"B1", sagt Stefan, weil er nicht will, dass das Spiel vorbei ist.

"Bitte?", fragt Katja, weil sie sich ihrer strategiespielähnlichen Brauen nicht gewahr ist.
 
"Tut mir Leid, dass du so einen Stress hattest", sagt Stefan vorsichtig. Er spürt, wie sein Herz etwas schneller pocht als sonst und ab und zu mal einen Schlag vergisst. Das hat er sonst nur, wenn die Löwen führen. Es ist diese Mischung aus Euphorie und Ungläubigkeit, aus der Freude über den schönen Moment und der Angst, er könnte bald schon wieder vorbei sein. Er schaltet in den Vierten. Die anderen Autos auf dem Mittleren Ring tun so, als wären sie aus Versehen hier und lassen ihm schüchtern genug Platz, um zielstrebig in Richtung der Schwabinger Ausfahrt zu gleiten.
 
Es war eine spontane Eingebung: Ein Geschäftstermin führte ihn eines Werktags an die Münchner Freiheit und mittags gingen er und seine Partner zum Essen ins Seehaus. Nicht sein liebster Platz in München, bei Weitem nicht, aber am Ende der weit gestreckten Rechtskurve, die zum Wirtshaus führt, nachdem einige Schwäne und Gänse passiert waren, fing sein schweifender Blick die alte Brücke ein, die den Südteil mit dem nördlicheren verbindet. Während des Essens konnte Stefan sich dann der Erinnerungen nicht mehr erwehren, die wie die hungrigen Enten angetrieben kamen, welche sich, zuerst nur vereinzelt, dann in immer größerer Anzahl, um die wenigen Brotkrumen stritten, die einige Touristen vor dem Fenster in den See streuten. Eine Ente erzählte von den unzähligen Sommerabenden vor dem roten Haus des Biedersteiner Wohnheims, eine andere von einem Kellerfasching Anfang der Neunziger, als er diese buckelige Frau mit der scharfen Nase und der porösen Haut kennengelernt hatte, die etwas später, ohne Kostüm und Alkohol, zu seiner Freundin wurde. Immer mehr Enten näherten sich und jede hatte eine Geschichte dabei, die Katja und er in dieser Umgebung, nahe des mächtigen, ungezähmten Nordteils, gemeinsam erlebt hatten. Dann kam der Kellner und servierte ihn mithilfe der bestellten Entenbrust aus seinen Gedanken zurück in die appetitlose Realität.
 
"Mann, sagst du mir jetzt vielleicht endlich, was wir hier machen?", fragt Katja genervt. Ihre Augenbrauen sind zum Flugzeugträger geworden.
 
"Wir sind gleich da", sagt Stefan und greift nach Katjas Hand. Ein paar Schritte noch.
 
Kurz vor Feierabend war Stefan vor ein paar Tagen in der Verwaltung des Englischen Gartens aufgetaucht, um ein Schildchen auf einer Bank zu kaufen und den Text gravieren zu lassen, den er sich ausgedacht hatte. Er wollte Katja mit dem letzten Vers ihres Lieblingsgedichts überraschen, das sie ihm damals so oft vorgelesen hatte, in der Hängematte zwischen ehrfürchtigen Bäumen, im Dämmerlicht des Studentenzimmers, und immer wieder auf dieser einen Bank im Englischen Garten, ihrer Bank. Doch als er nach dem Vers gefragt wurde, fiel er ihm plötzlich nicht mehr ein. Er rief einen Freund an, fragte ihn nach Katjas Lieblingsgedicht, fluchte, flehte ihn an, sich zu erinnern, irgendwas mit Gefühlen, die verschiedene negative Dinge sagten, es sei dumm, es sei fahrlässig, so was in die Richtung. Der Mann in der Verwaltung meinte brummend, das klänge eher nach Interviews mit Löwen-Spielern, dann warf er die Suchmaschine an und half bei Suche nach dem von Katja so geliebten Schlussvers. Irgendwann kam sein Freund darauf, dass die Liebe auch irgendwas sage, und zwar am Ende, dass eh alles egal sei, weil es ohnehin sei wie es sei, irgendwie so. Womit bewiesen sei, dass man einen Fußballclub lieben könne, folgerte der Verwaltungsangestellte schwermütig, dann tippte er den von Stefan weitergegeben Satz in sein Formular.
 
"Es ist wie es ist?", fragt Katja. Sie und Stefan stehen vor einer golden beschlagenen Bank.
 
"Ja, das ist doch aus deinem Lieblingsgedicht", sagt Stefan. "Wie findest du es?"
 
",Es ist, was es ist’, sagt die Liebe", sagt Katja. Und wieder einmal kassiert Sechzig in der Nachspielzeit den Ausgleich.

"Was? Aber das kann doch nicht sein!", stammelt Stefan. "Alles geht schief. Ich wollte doch extra unsere alte Bank . . . und die Worte von damals . . . damit wir eine Erinnerung haben, an früher, wie es war, vor dem Geldverdienen, vor dem Kindererziehen. Vor der Vorortzeit."
 
"Unsere alte Bank?", fragt Katja lächelnd und zeigt in Richtung Amphitheater. "Die stand aber weiter da hinten."
 
"Ja, die wollte ich eigentlich auch. Aber die war nicht mehr frei", sagt Stefan und fühlt sich, als würde jemand einen schweren Stein in den See fallen lassen, woraufhin alle Enten schlagartig auseinander stieben.
"Aber das macht doch nichts", sagt Katja und vergräbt ihre Arme unter seinem offenen Mantel. "Was für eine schöne Idee das war. Ein bisschen kitschig, aber schön. Es ist zwar nicht die Bank von früher, es ist nicht der Spruch von früher, aber es ist ja auch nicht mehr unser Leben von früher. Und zumindest haben wir jetzt wieder eine kleine Verbindung in diese Zeit."
 
Stefan grummelt irgendetwas vor sich hin. Es ist schwer, enttäuscht zu sein, wenn Katja ihn so anlächelt. Sie zieht ihn auf die Bank und lehnt sich an ihn.
Es ist wie es ist, sagen Katja und Stefan.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Alex Burkhard ist Mitglied der Münchner Lesebühne "Westend ist Kiez". Sein Erzählband "...und was kann man damit später mal machen?" erschien 2013 im Satyr-Verlag.
 


Die Liebe hört niemals auf

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Immerhin haben sie mich schnell betrunken gemacht. An zwei Dingen erkennt man gute Freundinnen: Erstens, sie muten einem keine peinlichen Dinge zu. Zweitens, falls sie es doch tun, sorgen sie für genug Schmierstoff. Also bin ich gerade bestens gelaunt und vollständig bekleidet in den Eisbach gesprungen, um ein aufblasbares Krokodil zu retten. So lautete zumindest die Aufgabe. In Wahrheit rettete das Krokodil mich. Ich musste es nämlich querstellen und zwischen zwei Steinen verkeilen, um überhaupt wieder an Land zu kommen.
 
Meine Freundinnen sind derweil am Eisbach entlang gerannt und sehen keuchend zu, wie ich mich mit der Eleganz einer Unke am Ufer hochziehe. "Wir dachten schon, wir müssten dich um Mitternacht am Stauwehr in Oberföhring wieder einsammeln!", sagt Carla und reicht mir ein Handtuch. Neben ihr sitzen ledrige ältere Herrschaften in mitgebrachten Liegestühlen, die ihre Schafkopf-Partie unterbrochen haben, um mich entgeistert anzustarren. Womöglich gebe ich ein merkwürdiges Bild ab, denn ich wurde ohne nähere Angabe von Gründen gezwungen, ein Krönchen zu tragen, das nun schief in meinen Haaren hängt. Ich wringe den Rock meines Sommerkleides aus. Der Abend dieses Augusttages ist noch so heiß, dass es schnell trocknen wird.
 
Natürlich hatte ich mir das alles ganz anders vorgestellt. Ich wollte mir nur einen schönen Tag mit meinen Freundinnen machen – ohne Krönchen und Krokodile. Aber ich war auch auf das Schlimmste gefasst: Heimlich hatte ich befürchtet, einem eingeölten Stripper den Plastiktanga herunterziehen zu müssen und mir ausgemalt, wie mein Geist dabei unter Protest meinen Körper verlässt und mich von der Zimmerdecke aus betrachtet. Dagegen war die Aufgabe, einen Surfer unter Verwendung der Reizworte "Hochzeit" und "Baby" um seine Handynummer zu bitten, noch ziemlich okay. Und auch das fünfminütige Trommelsolo im Monopteros, das ich unter Einsatz meiner beiden linken Hände performen musste, werde ich psychisch in nur wenigen Wochen überwunden haben.
 
"Schnaps!", ruft Nina jetzt, setzt ihren Rucksack ab und entnimmt ihm eine Flasche.
 
"Wer kam eigentlich auf die Idee mit dem Marillenschnaps?", jammert Carla. "Warum kein Prosecco?"
 
"Schnaps schmeckt auch warm", sagt Nina ungerührt und verteilt die Plastikbecher, auf die sie bei der ersten Runde unsere Namen geschrieben hat. Also vor etwa vier Stunden und ziemlich genau sechs Runden. "Außerdem explodiert die Flasche nicht, wenn man sie schüttelt. Und man muss weniger tragen."
 
"Das ist genau der Pragmatismus, den man für eine Ehe braucht!", jauchzt Ivana. "Prost!"
 
Ich trinke meinen Becher aus und ignoriere das Gefühl, gerade eine in Flammen stehende Aprikose im Ganzen verschluckt zu haben. Die Schafkopf-Lederhäute schauen neidisch drein und nippen an ihrem warmen Bier.
 
"Okay, was machen wir jetzt?", frage ich unternehmungslustig und womöglich leicht lallend.
 
Carla weist lächelnd an mir vorbei, wo unbemerkt drei Fahrrad-Rikschas Aufstellung genommen haben. Wir steigen ein und lassen uns durch den Englischen Garten chauffieren. Auf den Wiesen stellen die ersten Gruppen Fackeln auf.
 
"Du hast dir das gut überlegt mit der Hochzeit, Constanze, ja?", fragt Carla im bedeutungsvollen Tonfall der Betrunkenen.
 
"Oh ja", sage ich und habe Peters Lächeln vor Augen, in das ich seit vier Jahren unglaublich verliebt bin.
 
"Ein Glück." Carla schnauft. "Ich dachte, ich als deine Trauzeugin muss das fragen. Aber ihr zwei seid wirklich füreinander bestimmt. Einen geduldigeren Mann habe ich noch nie kennengelernt."
 
"Findest du etwa, man muss geduldig sein mit mir?"
 
"Hast du meine Handtasche gesehen? Und meinen Schlüssel? Kannst du mal unters Bett kriechen und dort nachschauen, während ich den Siphon abschraube? Da könnte er nämlich auch drin sein. Und wo ist mein Handy? Ich kann es nicht anrufen, ich hab den Ton abgestellt! Vielleicht im Blumenkübel auf dem Balkon, so wie beim letzten Mal…" Meine langjährige Mitbewohnerin bricht kichernd neben mir zusammen.
 
"Peter findet mein Handy immer ganz schnell", sage ich froh.
 
Wir fahren die Prinzregentenstraße entlang und zum Friedensengel hinauf. Dort bauen meine Freundinnen ein Picknick auf, während ich mich einfach hinsetzen und zuschauen darf, wie die Lichter der Stadt zu glitzern beginnen. Der Anblick macht mich schläfrig. Ich lege meinen Kopf auf Ninas Schnapsrucksack, schließe die Augen und lausche den fröhlichen Stimmen, den Grillen in den Isarauen und den gelegentlich vorbeirollenden Autos.
 
Als ich meine Augen wieder öffne, bin ich woanders. Ich liege auf einer Bank unterhalb des Friedensengels. Vor mir sitzen meine Freundinnen zwischen brennenden Kerzen und picknicken. Sie haben das Handtuch über mich gebreitet. Allmählich kühlt die Luft doch ab.
 
"Habt ihr mich hier runtergetragen?", frage ich verwirrt.

"Dich und alles andere", sagt Ivana.
 
"Hmm." Ich strecke mich wohlig, schaue in den Sternenhimmel und frage dann doch: "Warum?"
 
Alle schauen in meine Richtung. Nein, eigentlich schauen sie an mir vorbei. Ich folge ihren Blicken.
 
"Die Liebe hört niemals auf. Constanze & Peter, 13. August 2011", steht auf der neu-glänzenden Plakette. Gestiftet von meinen Mädels vom Junggesellinnenabschied.

"Oh, ist das lieb von euch!" Ich bin gerührt.
 
"Ja. Aber jetzt steh mal auf und komm mit!", sagt Nina und führt mich zur nächsten Bank. Auch dort blinkt eine neue Plakette. Ich muss mich vorbeugen, um sie im Halbdunkel zu entziffern:

"Und Freundschaft", steht da, "ist Liebe ohne den ganzen Stress."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Julia Bähr hat 2013 gemeinsam mit Christian Böhm den Beziehungsroman "Wer ins kalte Wasser springt, muss sich warm anziehen" bei Blanvalet veröffentlicht. Im März 2015 erscheint dort ihr neues Buch "Sei mein Frosch".


Muckis Bankerl


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Früher hat Mucki Sonnenschirme hergestellt und was das heißt, weiß niemand so genau. Fakt ist, es hat einen Unfall gegeben. Es muss kurz vor Feierabend gewesen sein, die Kollegen waren schon auf dem Heimweg. Am Morgen fanden sie den Mucki, ganz bleich, mit blauen Ringen unter den Augen. Jessas, dachten sie, das war’s jetzt mit dem, der schaut aus, als wär er hin. War er aber nicht. Nur ein bisschen langsamer als vorher, also viel langsamer, signifikant langsamer. Und mit dem Reden ging es nicht mehr so gut. Und mit dem Gehen. An die Schirme wollte ihn keiner mehr lassen. Mucki war nicht mehr zu gebrauchen.
 
Wenn man ihn später danach fragte, sagte Mucki: "Ich hab’ drei Jahre in Sankt Getreu gelebt und vier in Gauting", und er sagt die Namen wie die von Beach Resorts, aber wer sich auskennt, weiß: Das sind Irrenhäuser – oder wie auch immer man heute dazu sagt. Eigentlich, fand ich, ist er ein normaler Typ, er kam bloß nicht mehr so gut zurecht.
 
Ich bin der Security. Wenn eine Veranstaltung beginnt, und alle Leute drinnen sind, bleibe ich draußen stehen. Dann warte ich, und das ist gar nicht irgendwie romantisch, sondern langweilig. Später gehen alle Leute, und ich bleibe noch ein bisschen und packe beim Aufräumen mit an. Dann mache ich mich auf den Heimweg. Ich bin schon immer an Muckis Platz vorbeigekommen, ich habe mitbekommen, wie er ihn "bezogen" hat, aber es dauerte zwei Jahre, bis er mich, nach dem Vortrag eines berühmten Torwarts zum Thema "Die Philosophie der Nummer 1", schon von Weitem begrüßte: "Du bist doch der Australier", schrie er und nippte an seiner Limo.
 
"Quatsch", sagte ich und "Freilich", sagte der Mucki, "der Australier ist wieder da, braun bist geworden." Und von da an war das dann so, Andi der Aussie, später Aussie-Bär, der Statur wegen.
 
"Sonnenschirme sind eigentlich alles", sagte Mucki immer, sobald zu lange Ruhe eingekehrt war zwischen uns. Als ich das zum ersten Mal hörte, kannten wir uns noch nicht, also sagte ich: "Quatsch." Beim zweiten Mal sagte ich: "Na ja." Und schon beim dritten Mal fing ich an, darüber nachzudenken. "Wieso sitzt du hier?", fragte ich. "Zum Seele baumeln lassen." Mucki hat seine blaue Arbeitshose einfach angelassen, er sah immer aus, als käme er gerade aus der Sonnenschirmmanufaktur.
 
Jetzt ist Mucki verschwunden und das kann heißen: weggebracht oder tot. Ich stelle mir vor, dass ein Jogger ihn findet, wie er da liegt, ganz bleich unterm Bart und weggesackt, und während der Jogger auf der Stelle weiterjoggt, versucht er, Muckis Puls zu messen, was schwierig ist, ohne zu stolpern: bücken und joggen. Man weiß es ja nicht. Vielleicht taucht er wieder auf.
 
Ein Entenpärchen näherte sich uns und Mucki bückte sich in Richtung Boden. Dann schnellte sein Arm nach vorn wie eine Schleuder. Er warf mit Steinen, aber nicht mit Kieseln, nur Schotter und deswegen war es in Ordnung. Die beiden Enten schnatterten und wedelten mit ihren Flügeln, aber sie flogen nicht davon. Es war ein bisschen, als hätten sie damit gerechnet, von Mucki attackiert zu werden, als seien sie deswegen erst von der Isar hoch gekommen, um sich dann darüber beschweren zu können, streitsüchtig wie sie nun einmal sind, die Enten.
 
"Die alten Enten", sagte Mucki und schloss seine Augen. Er fühlte sich sicherer, wenn ich dabei war, das hat er mir gesagt, ich bin ja schließlich der Security.
 
"Wie isses denn so in Australien?", wollte er wissen.
 
"Staubig", sagte ich, und zumindest gelogen war das nicht.
 
Ich habe überlegt zur Polizei zu gehen, aber was hätte ich denen sagen können. Ich weiß noch nicht einmal, wie der Kerl wirklich heißt. Hallo, ich bin‘s, der Australier, der Mucki is‘ weg. Ich wäre zu den Leuten gegangen, die mit ihm verwandt sind, aber ich weiß nicht, ob überhaupt irgendjemand mit ihm verwandt ist. Ich schlug ein Telefonbuch auf, aber ich wusste nicht, wonach ich suchen soll.
 
Ein halbes Jahr vergeht. Mehrmals sehe ich Menschen, die ihm ähnlich sehen, so ähnlich, dass ich seinen Namen schon auf den Lippen habe, bis ich meinen Irrtum bemerke. Ein Jahr vergeht, ich schaue nach, ob jemand den Schnee zur Seite geräumt hat, auf der Bank, wo er immer saß.
 
Seit Mucki verschwunden ist, kenne ich mich besser aus mit der Welt. Anstatt mir mit ihm ein kleines Bier aus der Plastikflasche zu teilen, komme ich rechtzeitig nach Hause, um die Tagesthemen zu sehen. Die Wohnung ist kalt und leer und jeden Abend habe ich das Gefühl, ich wäre mindestens ein halbes Jahr nicht hier gewesen, während Caren Miosga schon die gemischten Meldungen von ihrem kleinen Zettel abliest: Das böige Wetter der vergangenen Tage hat einige Unfälle verursacht. In einer Kleinstadt wurde eine Frau, die trotz des Windes vor einem Straßencafé saß, von einem Sonnenschirm, der sich aus seiner Halterung gelöst hatte, im Gesicht getroffen. In Australien haben derweil Buschbrände das Hinterland erobert. Ein Korrespondent spricht in die Kamera, im Hintergrund sammeln sich Schaulustige, auch ein Mann mit blauer Arbeitshose ist dabei.

Ich würde Mucki alles zutrauen, aber wahrscheinlich ist das Quatsch, denn eigentlich kann ich nichts über ihn sagen. Alles, was ich weiß, habe ich dort hinterlassen, wo er, wenn man mich fragt, eigentlich hingehört.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Andreas Thamm bloggt unter derderm.wordpress.com. Seine Geschichten sind unter anderem in den Zeitschriften Wortwuchs, Bella Triste und der aktuellen Ausgabe der Münchner Krachkultur erschienen.

Text: jetzt-redaktion - Fotos: Marvin Ruppert, jakob-biazza, alex-burkhard, oh

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