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Aufleger-Thema
Alle fünf sind zu früh. Friedrich und Stefan alias Rhode & Brown stehen sieben Minuten vor dem vereinbarten Termin auf der Terrasse der Goldenen Bar. DJ Hell verratscht sich da schon am Nebentisch. Und Benjamin und Tom von Permanent Vacation kommen zeitgleich – aus verschiedenen Richtungen. Schwer vorstellbar, dass das bei Rockbands auch so perfekt choreografiert klappen könnte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Drei DJ-Generationen, die München prägen (von links): Tom Bioly, Benjamin Fröhlich, Helmut Geier, besser bekannt als DJ Hell, und Stephan Braun und Friedrich Trede alias Rhode & Brown.
jetzt.de München: Hell, du bist fast 30 Jahre älter als Friedrich und Stephan. Hast du schon mal von ihnen gehört?
Hell: Ich habe sie gestern noch im Internet überprüft. (lacht) Aber vorher kannte ich euch nicht, muss ich gestehen.
Und?
Hell: Richtig geile Sachen. Old School Deep House, würde ich mal sagen.
Friedrich: Kommt hin.
Hell: Viel New-York-Einfluss, frühe Achtziger und Neunziger. Ihr veröffentlicht ja auch auf richtig guten Labels. Hätte man ja mal mitbekommen können, dass ihr aus München seid . . .
Du hast seit Anfang der Neunziger in Berlin gelebt. Hast du die Münchner Szene von dort aus verfolgt?
Hell: Soll ich jetzt als erster erzählen? Mich würde ja viel mehr interessieren, was die Jungs zu erzählen haben. Ich habe gerade einen DJ-Mix von 1994 neu veröffentlicht – aus Helsinki, weil ich da morgen spiele. 1994! Das war vor genau 20 Jahren.
Friedrich: Da war ich gerade zwei Jahre alt.
Was interessiert dich denn bei Leuten, die jetzt Anfang 20 sind?
Hell: Na, wie sie produzieren zum Beispiel. Warum sie ausgerechnet auf Deep House setzen. Woher der New-York-Einschlag kommt. Wir mussten früher wirklich nach Chicago, Detroit oder New York fliegen, um mit der Szene in Kontakt zu kommen. Meistens in der Hoffnung, uns mit den dortigen Plattenhändlern gut zu stellen. Sonst bekamst du nämlich nicht die angesagten, guten Scheiben . . .
Friedrich: . . . wenigstens das ist doch schon mal deutlich besser als früher. Und wenn du erzählst, ihr musstet irgendwo hinfliegen, um an Musik zu kommen, ist auch das heute natürlich sehr anders. Ich beschäftige mich quasi den ganzen Tag damit, neue Sachen im Netz zu entdecken – und habe trotzdem noch ständig das Gefühl, etwas Wichtiges zu verpassen.
Benjamin: Es ist ja inzwischen auch zum Fulltime-Job geworden, auf dem Laufenden zu bleiben.
Tom: Dadurch, dass man immer alles auf der Welt checken kann, ist der ganze Prozess aber natürlich auch demokratisierter.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Vorreiter: DJ Hell, 51, gilt als einer der Pioniere der deutschen Techno-Szene. Er heißt bürgerlich Helmut Geier und kommt aus der Nähe von Traunstein. In den Achtzigern legte er in München als einer der ersten House-Platten aus Chicago auf. Später zog er nach Berlin und gründete 1996 sein Label International Deejay Gigolos, mit dem er vielen Acts zum Durchbruch verhalf. Heute lebt er wieder in München und spielt pro Jahr weiter gut hundert Auftritte weltweit.
Weil die Plattenläden früher eine Art Gralshüter waren?
Benjamin: Ja. Wenn du keinen wirklich erstklassigen Laden in der Nähe hattest, war es fast unmöglich, an gutes Zeug ranzukommen.
Tom: Und du musstest die Leute wirklich kennen. Heute kannst du quasi völlig anonym bleiben und trotzdem gute Releases kaufen.
Benjamin: Ich hatte immer das Gefühl, man muss erst mal ein Jahr lang in einen Laden gehen, bevor man angeschaut wird. Danach bekam man dann langsam die interessanten Sachen. Man musste sich das erarbeiten.
Hell: Ich habe Anfang der Neunziger im Hard Wax gearbeitet, einem Plattenladen in Berlin Kreuzberg. Da war das irgendwann so extrem, dass bestimmte DJs nicht bedient wurden.
Wer zum Beispiel?
Hell: Ich kann da keine Namen nennen, weil die später zum Teil sehr populär wurden.
Wie wurden die begehrten Platten unter den DJs verteilt?
Hell: Von den guten Sachen kamen maximal drei bis fünf Vinyls im Hard Wax an. Freitags, bevor alle raus sind zum Auflegen, hat man sich getroffen – Westbam, Tanith, Motte, Johnson, Rok und vielleicht noch Woody, der gerade aus München nach Berlin gezogen war. Rok hat die Sachen vorgespielt und dann gab’s eine Rangliste: Er selbst war ganz sicher Nummer eins. Dann kam, glaube ich, Westbam, Motte und Johnson haben sich tendenziell um Platz drei und vier gestritten und ich kam auch irgendwann kurz dahinter.
Verhaltenes Kichern bei den anderen.
Friedrich: Krass. Kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Ich frage mich gerade, ob ich das total scheiße fände, oder sogar interessant, wenn’s heute noch so wäre.
Hell: Das war schon ziemlich asozial! Rok hatte dadurch ständig Sachen, die konntest du nur in seinen Sets hören. (lacht)
Friedrich: Aber eben das finde ich auch spannend. Wenn ich jetzt in einen Club gehe, habe ich bei fast allem das Gefühl, es schon hundertmal gehört zu haben.
Ist es heute schwerer, exklusive Songs zu haben?
Tom: Exklusiv ist heute nur noch das, was du selbst produzierst, Edits, die du machst, oder unveröffentlichter Kram, den du von Freunden bekommst.
Alle nicken.
Weil es alles, was einmal veröffentlicht wurde, auch sofort auf Portalen wie Beatport gibt?
Stephan: Nicht zwingend sofort. Aber meistens sehr schnell.
Inzwischen sind DJs berühmt, man kennt ihre Gesichter. Wie war das, als du in den Achtzigern angefangen hast, Hell?
Hell: Je nach Selbstverständnis des Clubs wurde man auch mal zum einfachen Dienstleister degradiert. Angestellt, um Start und Stopp zu drücken.
Stephan: Ehrlich?
Hell: Ich war mal Resident im Park Café, das war damals ein sehr angesagter Club. Da gab es eine Wunschliste des Chefs, was zu welchem Zeitpunkt gespielt wird. Das ging mit Klassik los, zur Hauptzeit zwischen 2 und 4 Uhr kamen aktuelle Sachen aus den Charts. Und er wollte immer Jimi Hendrix hören. Aerosmith war auch dabei.
Friedrich: War das in vielen Clubs so?
Hell: Es gab oft einen Din-A4-Zettel mit einer groben Vorgabe. Keine genauen Titel, aber zumindest eine klare Richtung. Alles schön aufgelistet.
Friedrich: Unvorstellbar.
Hell: Warte! Im Park Café ging das sogar weiter: Der Chef hatte einen Schalter und ich hatte ein rotes Licht unterm DJ-Pult. Wenn das Licht anging, hieß das: falsche Mucke!
Schallendes Gelächter am Tisch.
Friedrich: Echt jetzt? Gab’s das öfter?
Hell: Das mit dem Licht war einzigartig. Das hat der Chef, Hansi Grandl, sich selbst ausgedacht. Wobei der tatsächlich auch ein wahnsinnig gutes Gespür für seine Läden hatte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Nachkommen: Friedrich Trede und Stephan Braun, beide 22, sind das DJ- und Produzenten-Duo Rhode & Brown. Sie sind mit House-Musik aufgewachsen: Stephan spielte das erste Mal mit 15 in einem Club. Ihre eigenen Tracks und Remixes sind oft düster, sie wurden von renommierten Labels in New York und London veröffentlicht. Friedrich und Stephan legen einmal im Monat im Kong auf, hin und wieder auch in Wien oder Berlin.
War dieses Verständnis verbreitet: Der Chef kennt seinen Laden am besten?
Hell: Nicht überall. Lupo . . .
. . . ein Münchner DJ aus den Achtzigern und Neunzigern, der vor kurzem verstorben ist . . .
Hell: . . . der hat im P1 zum Beispiel gemacht, was er wollte. Deshalb wurde er auch so ein Kult-DJ. Der hat, während er auflegte, Kassettenmitschnitte verkauft. Für damals 100 Mark. Und da gab es eine Warteliste! Er hatte eine Platte der New Yorker Künstlergruppe Silicon Soul – „Who Needs Sleep Tonight“ –, die hatte in ganz Deutschland nur er. Wenn du dieses Lied hören wolltest, musstest du ins P1 gehen.
Friedrich: Das war schon eine Kunst damals. Dieses Zeug überhaupt zu kennen und dann aufzutreiben.
Wie wird man heute Resident DJ?
Stephan: Ich denke, du musst Sachen machen, die irgendwie eigenständig sind und die dem Betreiber zu einem bestimmten Zeitpunkt gefallen. Und dann gehört viel Glück dazu.
Warum Glück?
Friedrich: Ich finde, dass gerade viel gleichgeschaltet ist. Es gibt nicht mehr viele stilistische Ausreißer bei den DJs nach oben oder unten. Und einige Leute, die etwas Ähnliches machen wie wir, sind damit jetzt nicht Residents im Kong.
Tom: Clubs schauen natürlich auch bei Facebook und Soundcloud: Wie viele Follower haben DJs, wie viele Leute bringen die realistisch in meinen Laden?
Stephan: Was auch schade ist, weil die Followerzahl dann mitbestimmt, wer wo spielen darf, obwohl die Musik nicht wirklich eigen und interessant ist.
Wie kommt es, dass House gerade so allgegenwärtig ist?
Tom: Das ist immer derselbe Zyklus: Disco, House, jetzt kommt wieder Techno.
Benjamin: Aber es ist gerade eine sehr angenehme Zeit für elektronische Musik. Ich finde, man kommt mit vielem durch.
Wie meinst du das?
Benjamin: Die Hörer sind nicht sehr dogmatisch. Man kann auch mal abgefahrenes Zeug spielen, ohne dass sie gleich weglaufen. Gerade hier in München.
Sind die Leute wirklich offener oder nur ironischer?
Benjamin: Das hat nix mit Ironie zu tun. Ich glaube eher, es ist alles so viel geworden, dass niemand mehr genau sagen kann, was cool ist.
Friedrich: Ich glaube, das Publikum hat aber inzwischen auch einen weiteren Horizont und ist deshalb offener für Abgefahrenes. Viele setzen sich jetzt genauer mit der Musik auseinander und wollen mehr als nur den Standardkram hören.
Trifft denn das Bild noch zu, dass elektronische Musik aus München besonders warm und discolastig ist?
Friedrich: Wenn ich unser Zeug anschaue, würde ich sagen: überhaupt nicht. Die Einflüsse kommen inzwischen aus der ganzen Welt. Regionalisierung gibt’s in der elektronischen Musik meiner Meinung nach kaum noch.
Tom: Dieser Disco-Begriff wird für München doch immer rausgekramt, ohne dass er – nach Giorgio Moroder – jemals so richtig zugetroffen hätte.
Benjamin: Wobei Techno doch schon besser nach Berlin gepasst hat als ins schöne, warme, saubere München.
Hell: Vorsicht, man unterschätzt die Stadt da leicht: Sven Väth im Babalu – das war wahrscheinlich die erste Afterhour Deutschlands. München war für ein paar Jahre tatsächlich die Feierhauptstadt der Republik. Mitte der Neunziger kamen die Frankfurter und Berliner alle nach München zum Feiern. Im Babalu und auf Bauernhöfen im Umland ging es damals immer ewig – mit Motte und Woody. Da kamen alle Posses. Von überall. Weil hier halt auch ne super Stimmung ist. Vor allem im Sommer (überlegt). Und im Winter schon auch. Also praktisch immer.
Alle lachen.
Wie schätzt ihr denn die Bedeutung von München in der elektronischen Musik gerade ein?
Stephan: Schwer zu sagen, wenn man selbst drinsteckt. Ich glaube aber, dass die Bedeutung wieder wächst. Allein mit den ganzen Clubs, die neu dazugekommen sind.
Benjamin: Als ich mit dem Weggehen angefangen habe, gab’s das Muffatcafé und das Atomic Café. Damals war ich noch nicht volljährig und musste immer ins Muffat gehen, als noch Café-Betrieb war, und dann so lange an einem Bier rumnuckeln, bis es endlich 23 Uhr war.
Stephan: Als ich angefangen habe, elektronische Musik zu hören, gab’s für mich die Rote Sonne und das Harry Klein – damals noch am Ostbahnhof. Mittlerweile sind noch mal mindestens vier Clubs dazugekommen, die der Stadt ein tolles Profil geben: Bob Beaman, Kong, Charlie, MMA.
Hell: Das Pacha bitte nicht vergessen! Die haben auch ein internationales Booking, mit sehr anständigen DJs.
Es kommt eher skeptisches Gemurmel auf.
Benjamin: Du hast doch da auch schon gespielt, oder?
Hell: Da haben sich alle aufgeregt und gezetert: „Wie kannst du nur?! Das ist doch verboten!“ Aber ich mag die Leute, die das Pacha leiten – Tom Hilner, René Vaitl. Und natürlich Michi Kern, ein wichtiger Vordenker in allen Lebenslagen. Das Pacha ist sicher nicht der fortschrittlichste Laden mit seinem Franchising-Konzept und den ganzen Fanartikeln von CDs über T-Shirts bis zur Sonnencreme. Aber ich spiel da gerne, auch, wenn ich von den Leuten massiv dafür kritisiert wurde.
Auch von den Bob-Beaman-Machern? Da legst du ja auch regelmäßig auf.
Hell: Gar nicht. Alle sind befreundet, da spricht man die Termine untereinander ab.
Friedrich: Das Publikum ist aber bestimmt ganz anders, ob du jetzt im Pacha spielst oder im Bob Beaman?
Hell: Das schon. Aber ich lade halt meine Leute noch dazu ein und dann ist das immer toll, da aufzulegen.
Benjamin: Spielst du da andere Musik?
Hell: Nie. Aber ich verzichte auf den ganz harten Techno und spiele eher ein House-Set.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Disco-Erben: Benjamin Fröhlich, 34, und Tom Bioly, 39, gehören als Permanent Vacation zu den aktivsten und auch außerhalb Münchens gefragtesten DJs der Stadt. Seit 2006 betreiben sie außerdem das gleichnamige Label, das international für seinen discolastigen Sound bekannt und geschätzt ist. Sie sind Resident DJs in der Wilden Renate in Berlin. In München spielen sie regelmäßig im Bob Beaman, Kong und Mixed Munich Arts (MMA).
Legt ihr in verschiedenen Städten unterschiedlich auf?
Benjamin: Eher von Club zu Club, weil das Set ja sehr abhängig von Größe und Atmosphäre ist.
Gibt’s Frühindikatoren dafür, wie ein Abend wird?
Hell: Ich checke als erstes immer die Beleuchtung. Viele Clubs machen schlicht zu hell und ruinieren damit die Stimmung. Die nächste Hürde ist die Technik am DJ-Pult. Das ist manchmal grausam: Monitorboxen fallen aus, Nadeln springen. Manchmal brauche ich die erste Stunde schon, nur um mit der Technik klarzukommen.
Benjamin: Oh Gott, tut das gut, das von jemandem wie dir zu hören!
Hell: Ja klar! Ich bin dann so genervt, dass ich in der zweiten Stunde kaum noch reinkomme. Und dann geh’ ich frustriert heim.
Ein bekannter Münchner Club-Betreiber ist vor ein paar Jahren nach Berlin gegangen, weil er genervt war. Er findet, die Stadt München stelle sich zu oft auf die Seite der Anwohner, die sich über Lärm beschweren – und mache so allmählich das Nachtleben kaputt. Seht ihr das auch so?
Benjamin: Das war vor fünf Jahren auf jeden Fall viel schlimmer.
Friedrich: Gerade die neuen Läden haben damit doch überhaupt keine Probleme, obwohl sie alle mitten in der Innenstadt sind.
Hell: Das war ja früher undenkbar: Clubs in der Innenstadt. Da haben wir’s in München jetzt sogar richtig gut. Da soll er sich mal Prenzlauer Berg anschauen: Da gab’s früher einige Clubs, die jetzt alle weg sind. Was aber auffällt, ist, dass es kaum Outdoor-Festivals in München gibt – das „Greenfields“ und jetzt vielleicht noch das „Organic Dance Music Festival“. Aber quasi nichts in der Stadt selbst. Warum nicht hier, auf dem P1-Parkplatz?
Tom: Wobei man da auch auf der Terrasse schon sehr leise spielen muss.
Hell: Für die Fußball-WM werden die Genehmigungen doch auch erweitert. Vielleicht wird das die Regeln dauerhaft lockern – zumindest für die Sommermonate Juni, Juli, August.
Tom: An der Isar wäre es doch auch schön. Ich kann schon verstehen, dass wegen der Renaturierung da jetzt vieles sehr ruhig ist und Outdoor-Partys nicht erlaubt sind. Aber es wäre toll, wenn das an ein, zwei Ecken ginge.
Text: jakob-biazza - und jan-stremmel; Fotos: juri-gottschall