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Alle weg

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A wie Alle weg
Etwa seit dem 20. Dezember wird es wieder sehr deutlich: Wir sind gar nicht so viele – wir Münchner (immerhin das haben wir mit Berlin gemeinsam). Die allermeisten kommen offenbar von außerhalb. Und da zieht es sie zu Weihnachten auch wieder hin. Ing-Flucht ist angesagt – oder wenigstens kleinere Reisen in die Außenbezirke. Wegen Verwandtschaft. Das hat freilich viele Vorteile: Parkplätze, Ruhe, Besinnlichkeit, Nacktflitzen. Die Kehrseite ist ein nur schwer abzuschüttelndes Gefühl von Provinzialität. Kassel stellt man sich so leer vor, oder Frankfurt an der Oder. Eine Großstadt eher nicht.
 
B wie Bus und Bahn
An Heiligabend macht dafür sogar die Fahrt mit Bus und U-Bahn Spaß. Mit einem oder mehreren großen Beuteln voller Geschenke zwischen den Beinen lassen sich die wenigen Mitfahrer in aller Ruhe betrachten – fast alle auf dem Weg in den heimatlichen Hafen. Fast alle entspannt. Keiner hat’s eilig, weil man schon genug Zeit mit der Bagage verbringen wird. Nur der Busfahrer will endlich ankommen. Das beschleunigt die Fahrt tendenziell, was Fahrgäste bei den Abfahrtszeiten möglicherweise einplanen sollten.
 
C wie Clubs
Dafür, dass alle weg sind, haben erstaunlich viele Clubs offen. Dafür, dass erstaunlich viele Clubs offen haben, können wir nur sehr wenige Veranstaltungen von Herzen empfehlen. Das liegt vor allem daran, dass das Programm noch etwas schrecklicher erscheint als sonst schon oft. Im P1 heißt der Abend zum Beispiel „White Christmas“, was bestimmt auch noch doppeldeutig gemeint ist. Die 089-Bar bewirbt ihre Weihnachtsparty mit „Wir verschenken 3 Tiffany-Ketten & Russian-Standard-Vodka-Flaschen“. Im Backstage gibt es wenigstens viel von Motörhead. Aber das ist alles eh egal: Wer weggeht, versucht sein Glück ja sowieso bei Münchens allerletztem Britwoch der Welt (Geschenk, schönstes) im dann bald verschwundenen Atomic Café.
 
D wie Die sind schuld
Meint Tief „Freia“, das über dem Nordmeer und Skandinavien steht, und Hoch „Thue“ (von den Azoren bis nach Südosteuropa). Beide sorgen dafür, dass es auch in München keine weißen Weihnachten gibt. Stattdessen: sieben bis zwölf Grad, Sprühregen, Wind, Schauer. Ist als Smalltalk-Thema damit so unerlässlich für Quatsch, der das Schweigen bricht, wie Knödel zur Gans.

E wie Euro geben
Kann man natürlich auch. Ist auch gut. Aber wenn wir ehrlich sind: Schon auch einfach, gell? Gerade zu Weihnachten. Deshalb die Energie vielleicht doch lieber aufsparen und im kommenden Jahr Zeit geben. Bei Hilfsprojekten zum Beispiel. Unser Vorschlag wäre Bellevue di Monaco – wobei wir einräumen müssen, dass wir mit denen personell auch etwas verbandelt sind.
 
F wie Fatschenkindl
Sehr, sehr, sehr alte Weihnachtstradition, die nur besonders akribische Stadthistoriker und Lokalredakteure kennen. Ist, frei übersetzt, eine Art eigenes Christkind der Münchner, das jedes Jahr vom ersten Weihnachtsfeiertag bis zum Dreikönigstag in der Bürgersaalkirche zur Verehrung ausgestellt wird.
 
G wie Geschenk, schönstes
Dass wir das noch erleben können: Ein allerletzter Britwoch im Atomic. An Heiligabend. Würdig! Und der Eintritt ist im Geschenkpaket auch gleich noch mit drinnen, also frei. Einlass ist ab 23 Uhr. Tanzverbot bis 0 Uhr. Wer nicht mehr reinkommt, was nun nicht ganz unwahrscheinlich ist, der verdrückt ein Tränchen und geht in die Favorit Bar (uebliche Verdächtige).
 
H wie Happy Birthday!
Untertitel der Veranstaltung: „Wir feiern den Geburtstag noch ein wenig weiter“. Und zwar den von Jesus. Am ausgelassensten tut das ziemlich sicher Jesus Rainer Maria Schießler – Münchens wohl bekanntester, weil eben auch ungewöhnlichster Pfarrer. Im Anschluss an die stets brechend volle Christmette in St. Maximilian, dem Notre-Dame der Isarvorstadt, gibt es im Seitenschiff Häppchen und Drinks. Schießler feiert dann meist die ganze Nacht mit Freunden durch. Wenn die sich schlafen legen, liest er die erste Messe des ersten Feiertages. Die Christmette beginnt um 22.30 Uhr. Titel des dazugehörigen Krippenspiels: „Gott existiert – Du bist es nicht!“
 
I wie Ing-Flucht
Hauptsächlich in großen Städten im südlichen Raum Deutschlands (ergo München) zu beobachtendes Phänomen der temporären, totalen Stadtverödung. Meint die zu Weihnachten reflexartig einsetzende Flucht der urbanen Bevölkerung in auf ing-endende Speckgürtelvororte. Hintergrund: Verwandtschaft. Resultat: Alle weg, Parkplätze und die verstärke Neigung zum Abhängen auf alten Schulhöfen und Nacktflitzen.

J wie Josef und Maria
Die Bars in der Klenzestraße, nicht die aus Nazareth. Klingen einladend, haben aber am 24. nur bis 15 Uhr geöffnet.
 
K wie Kellnern
Kleines Geheimnis aus der „Gastro“, wie wir Profis zu sagen pflegen: An Weihnachten zu kellnern, ist nicht so schlimm, wie es von außen aussieht. Es gibt kein anderes Datum, an dem die Leute so warm, zufrieden und vollgefressen aus dem Familienkreis in ihre Stammkneipe kommen, um sich mit denen zu treffen, die den Rest des Jahres aus unerfindlichen Gründen in Berlin/New York/London/Bielefeld verbringen. Alle freuen sich, ratschen und wollen einfach nur in Ruhe noch ein bis vier Biere trinken. Eigentlich wie immer also. Sie leuchten dabei aber alle ein bisschen.
 
L wie Lodendichte
Ist zu keiner anderen Zeit und an keinem anderen Ort auf der ganzen Welt höher als am 24. Dezember in der Michaelskirche in der Fußgängerzone.
 
M wie Mit echten Instrumenten
Eine gute Party an Heiligabend zu finden ist schwer? Pah! Wirklich schwer ist es nur, was mit Live-Musik zu finden. Mit Klicken und Scrollen bis kurz vor der Sehnenscheidendzündung gibt’s ziemlich genau zwei Treffer: Die von der Saxophonistin Stephanie Lottermoser geleitete Jam-Session in der Unterfahrt (21 Uhr; Achtung, das ist Jazz) und das Konzert der türkischen Sängerin Sila (23 Uhr; Achtung, das ist im Zenith). Kein Wunder also, dass man sogar froh ist über Weihnachtsmusik am Hauptbahnhof.
 
N wie Nacktflitzen . . .
. . . und andere Dinge, die man aufgrund von Alle weg dringend mal machen sollte, weil es auf den Straße so viel Platz gibt und keiner da ist, der einen sieht:
 
. . . Mit dem Sprinter nach Haidhausen fahren, einhändig vorwärts einparken und dabei sehr lässig aussehen.
 
. . . Auf alten Schulhöfen abhängen.
 
. . . Endlich wieder die Häuser in der Kaufingerstraße sehen – standen ja sonst immer so viele Menschen im Weg.
 
. . . Auf einem Supermarktparkplatz mit angezogener Handbremse ein paar Runden drehen.
 
. . . Auf dem Olympiaberg in einen Schlafsack gehüllt Sterne gucken (oder vielleicht auch Sex haben).
. . . Schaukeln! Auf einem Spielplatz. Macht superviel Spaß, aber sonst sitzen ja immer kleine Kinder auf der Schaukel oder Freunde könnten einen dabei sehen.
   
O wie Obdachlose
Werden an Weihnachten wieder verstärkt entdeckt. Das liegt auch dran, dass sonst alle weg sind und damit der Blick auf die traurigeren Momente der Stadt frei ist. Natürlich ist es toll, dass dann alle helfen wollen, beispielsweise mit der sehr großen Speisung im Hofbräuhaus. Aber wenn wir unser Engagement über das ganze Jahr verteilen würden, gäbe es halt trotzdem weniger Hunger.
 
P wie Parken
Niemals sonst findet sich in Haidhausen oder Schwabing so schnell ein Parkplatz für den 50-Meter-Sattelschlepper wie in der Weihnachtszeit. Unbedingt probieren. Dabei viel hupen.

Auf der nächsten Seite: Q wie Quatsch bis Z wie Zu, alles




Q wie Quatsch, der das Schweigen überbrückt
Sollte das Gespräch am weihnachtlichen Esstisch mal verebben, hier ein paar sehr nützliche Notsätze und -themen.
 
. . . Wusstet ihr, dass Elvis in München vermutlich seine erste Nackte gesehen hat (in einem Etablissement in der Herzogspitalstraße)?
 
. . . Viertel, in die man niemals ziehen würde, selbst wenn man dort eine Villa geschenkt bekäme (heißer Tipp: Schwabing).
 
. . . Wie der Hoeneß wohl dieses Jahr Weihnachten feiert?
 
. . . Fehlender Schnee (Die sind schuld)
 
. . . Dieter Reiters Frisur (optional Franck Ribérys Bart).
   
R wie Rückkehrer
Logische Gegenbewegung zu Alle weg. Bringen meist Spezialitäten aus der Heimat, Bargeld und einen dringenden Ausgehhunger mit. Sollte man sich also warmhalten, auch wenn sie einen eigentlich im Stich gelassen haben.
 
S wie Schnee
Gibt es nicht (Die sind schuld).
 
T wie Tanzverbot
Gibt es dafür schon. Natürlich. Betrifft den 24. Dezember – und dauert damit wiederum nur bis Mitternacht. Heißt konkret: In den Clubs wird etwas ruhigere Musik aufgelegt, bis es Mitternacht schlägt. Dann: Bäm!
 
U wie Uebliche Verdächtige
Findet man in der Favorit Bar, wo an Heiligabend seit (gefühlt) zwanzig Jahren die selben Herren auflegen: Bandleader G.Rag und der etwas weniger bekannte Autoskooter. Wer also bei Geschenk, schönstes nicht mehr reingekommen ist, läuft (besser noch: tanzt, sieht ja eh keiner) die Hochbrückenstraße runter, durchs Tal (leer), über den Marienplatz (sehr leer), Fußgängerzone (super leer) und links-rechts-links in die Damenstiftstraße, um sehr gute Musik zu hören.
 
V wie Verwandtschaft
Wohnt fast immer in Vaterstetten oder Baldham. Bisweilen auch in Hadern (natürlich nur die wenigen, die nicht in einem Ort wohnen, der auf -ing endet). Jedenfalls nie in zentralen Stadtteilen. Das hat Vorteile: Man lernt auch die wenig gentrifizierten Viertel mal kennen, die zu Weihnachten ja verhältnismäßig schön aussehen (Stichwort Lichterketten). Und es hat Nachteile: Vaterstetten, Baldham und bisweilen auch Hadern.
 
W wie Weihnachtsmusik am Hauptbahnhof
Der Posaunenchor spielt wie immer am Gleis 11 bei der Bahnhofsmission. Einblasen: 11.45 Uhr.
 
X wie X-Mas
Alle Veranstaltungen, in denen diese Zeichenkombination vorkommt, sind dringend zu meiden.
 
Y wie Youtube
Wer immer noch dran zweifelt, dass München um Weihnachten etwas provinziell wird, gibt bei Youtube „München Weihnachten“ ein. Der erste Treffer ist ein 27 Minuten und 30 Sekunden langes Video, in dem nichts passiert. Absolut gar nichts!
 
Z wie Zu, alles
Unbedingt also an Notration denken wegen Feiertagen. Ansonsten: Frohes Fest!

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