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Aiwangers Erben

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So richtig angekommen ist der Stadtverband München der Jungen Freien Wähler (JFW) noch nicht. Nicht in der realen Welt, aber auch nicht im Internet. Die Homepage existiert zwar schon, aber der letzte dort angekündigte Stammtisch war im April 2012. Wer Kontakt aufnehmen will, landet bei Markus Erhorn, der eine Dachauer Adresse angegeben hat. Keine Telefonnummer, keine Mailadresse. Zum Glück ist das Internet groß.

Markus Erhorn, 23, ist eigentlich Dachauer, arbeitet aber in München. Karl Ilgenfritz (26) kommt aus Kaufbeuren und hat hier studiert, und Felix Stahl (35) kommt aus Irschenberg und arbeitet beim Jobcenter als Sachbearbeiter. Alle drei sind entweder wegen des Berufs oder wegen ihres Studiums in die Stadt gekommen. Damit ist das erste Problem der JFW in München schon skizziert: Ihnen fehlt in den Städten einfach die Basis. Kaum einer von ihnen ist in der Stadt verwurzelt. Felix noch am ehesten: Er ist vor elf Jahren in die bayerische Hauptstadt gezogen und wollte eigentlich so schnell wie möglich wieder zurück aufs oberbayerische Land. Inzwischen aber hat er sich an die Stadt gewöhnt und will seine Wohnung am Hohenzollernplatz auf keinen Fall aufgeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Münchner Schattenkabinett der Jungen Freien Wähler: Felix Karl und Markus (v.l.). Der Janker ist übrigens kein Statement. Karl ist nach dem Fototermin aufs Oktoberfest gegangen.

Karl, Felix und Markus sind so etwas wie das Schattenkabinett des noch zu gründenden Stadtverbands der JFW in München. „Man muss zugeben, in München ist es schwierig für uns, sogar die alten Freien Wähler haben nicht mal 200 Mitglieder hier“, sagt Karl. Zu den unregelmäßigen Stammtischen im Unions-Bräu in Haidhausen kommen maximal zehn Leute. Nächstes Jahr, wenn der Wahlkampf richtig los geht, wollen sie den Stadtverband offiziell gründen. Warum erst 2013? Weil dann die Motivation bei allen hoffentlich ein bisschen größer ist. Das Problem: Die meisten, die zum Studieren in der Stadt sind, engagieren sich auch zu Hause in der Partei. Zusätzlich noch ein Amt in München zu übernehmen, ist viel verlangt. Karl zum Beispiel ist stellvertretender Landesvorsitzender der Jungen Freien Wähler, Felix engagiert sich in der Stadtpolitik, Markus ist Bezirksvorsitzender der JFW in Oberbayern.

Bei der letzten Wahl 2008 schafften es die Freien Wähler zum ersten Mal in den Landtag – mit beachtlichen zehn Prozent. Das wollen sie 2013 noch überbieten. Wenn am Sonntag gewählt würde, kämen sie in Bayern laut aktueller Umfragen auf acht bis neun Prozent.

Egal wen man fragt, die meisten jungen Stadtmenschen können mit den Freien Wählern dennoch nicht viel anfangen. Für die meisten sind sie „diese Bauernpartei mit dem niederbayerischen Vorsitzenden, der so komisch spricht“. Dieses Bild dürften sogar politisch interessierte Münchner zwischen 18 und 30 von der Partei haben. Dass die Partei auch eine Jugendorganisation hat, davon haben die meisten nie gehört. Verständlich – das Stammland der Freien Wähler, und damit auch ihrer Jugend, sind nach wie vor die ländlichen Gemeinden. 40 000 Mitglieder haben die Freien Wähler in Bayern, überwiegend außerhalb der großen Städte. Etwa ein Zehntel davon ist unter 35 Jahre alt.

Die Mutterpartei macht es den Jungen Freien Wählern auch nicht gerade einfach. Ihr Vorsitzender Hubert Aiwanger will die alten Freien Wähler 2013 auch in den Bundestag bringen und macht deshalb Stimmung gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die Rettung angeschlagener Krisenstaaten. Das macht die Partei für Republikaner und nationalistische Gruppen attraktiver, aber nicht unbedingt für Jugendliche. Trotzdem schließen sich die Jungen Freien Wähler Aiwangers Kurs an, wenn auch, wie sie sagen, aus anderen Gründen. „Wir machen uns Sorgen um unsere Demokratie“, erklärt Karl. „Den Jugendlichen oder den normalen jungen Erwachsenen hauen die Themen sicher nicht so vom Hocker. Für uns ist es natürlich viel schwieriger in München als für die Jusos, aber da müssen wir eben durch.“ Die Jusos können eine Legalisierung weicher Drogen fordern und wollen das Asylgesetz abschaffen, die Jungen Freien Wähler müssen Teenagern erklären, warum der ESM Europa schadet.

Die Freien Wähler sind nicht aufregend und wild. Ihr angestaubtes Image macht die Jugendarbeit schwieriger. Deshalb greifen die JFW mitunter zu ausgefallenen Ideen. Der Landesverband in Nordrhein-Westfalen hat zum Beispiel eine Technik entwickelt, wie sie klassischerweise von Headhuntern aus der Wirtschaft eingesetzt wird: Dort sprechen die Jungen Freien Wähler gezielt Blogger und andere Meinungsmacher im Internet an, wenn ihnen auffällt, dass es Gemeinsamkeiten im Denken gib. Manchmal sei das für die Angesprochenen ein richtiger Aha-Effekt, wenn ihnen auffällt, dass es da diese ähnlich denkende Partei gibt. Auch in München denken sie jetzt darüber nach, auf diese Art nach potenziellem Nachwuchs zu suchen.

Um die Jugend heute zu erreichen, muss man im Internet präsent sein, das wissen auch die Jungen Freien Wähler. Aber sie zieren sich noch. Karl twittert zwar seit einem Monat und hat kürzlich auch einmal mitfahrgelegenheit.de ausprobiert. Er glaubt aber nicht an den Hype um die große Bedeutung des Internets für die Politik: Die Bundestagswahl im nächsten Jahr werde nicht im Netz entschieden. „Natürlich ist das für die Kommunikation untereinander super, um sich zu verständigen. Dafür benutzen wir das schon“, sagt er. Felix ist nicht bei „dem Facebook“ und wie er gehört hat, ist das auch gerade wieder am Abflauen. Und Markus ergänzt: „Man darf auch den Blick auf die Realität nicht verlieren. Das Internet ist schon nützlich. Echte politische Themen findet man immer noch auf der Straße und in der S-Bahn.“ Natürlich ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung dieser anderen Partei: Die Piraten sitzen zwar nicht mit am Tisch, aber ihre Existenz ist spürbar. Transparenz und eine ergebnisoffene Diskussionskultur, das waren Werte, mit denen auch die Freien Wähler vor fünf Jahren angetreten sind. Und dann kommen diese Internet-Nerds und tun so, als hätten sie das erfunden.

Nein, auf die Piraten sind sie nicht gut zu sprechen, hier bei den JFW. Weltfremd seien die und gerade deshalb erfolgreich. „Die bedienen dieses Gefühl, dieses ‚ich möchte was ändern, ich weiß nur noch nicht was und wie‘“, sagt Karl. Bei den Jungen Freien Wählern dagegen stelle man nicht einfach die Systemfrage, sondern gehe von dem aus, was bereits funktioniert. Inhaltlich landen die beiden Parteien ziemlich weit auseinander. Das liegt laut Karl hauptsächlich an der Realitätsferne der anderen: „Das sind Positionen, die lassen sich nicht durchhalten.“ Bedingungsloses Grundeinkommen, kostenloser Nahverkehr – alles schöne Vorstellungen, aber eben utopisch.

Die Jungen Freien Wähler wollen realistische kleine Schritte gehen, setzen sich für ein kostenfreies Studium ein, fordern mehr Lehrer für bessere Bildung und kämpfen für bezahlbaren Wohnraum in der Stadt. Der Schlüssel dafür liegt für Karl auch in der Politik der Freien Wähler auf dem Land. Wenn nämlich nicht mehr alle Franken glauben, nur in Nürnberg und München lasse es sich gut leben, dann steigen auch die Mieten nicht uns Unermessliche. Das zumindest wäre auch für junge Münchner ein Grund, für die Freien Wähler zu stimmen.


Text: max-muth - Foto: juri-gottschall

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